Kind hat gegen Mutter Anspruch auf Auskunft über die Identität des leiblichen Vaters (BGH, Beschl. v. 19.01.2022 – XII ZB 183/21)

Einem Kind steht gegen die Mutter ein Anspruch auf Auskunft zu, wer der leibliche Vater ist.

Schwierige Verhältnisse

Das im Jahr 1984 von der damals 16-jährigen Mutter geborene Kind wollte die Identität des Vaters erfahren. Die Mutter, die die Schule ohne Abschluss verlassen hatte, lebte zunächst in einem Mutter-Kind-Heim und später in einer Mädchen-WG. Sie gab das Kind schließlich zur Adoption frei und es wurde von einem Ehepaar adoptiert.

Das Kind machte 2018 einen Auskunftsanspruch gegen die Mutter geltend. Die Mutter erteilte die Auskunft nicht. Sie habe die Schwangerschaft erst im siebten Monat bemerkt und könne nicht sagen, wer der Vater ist.

Nachdem das Amtsgericht den Anspruch verneint hat, verpflichtete das OLG Stuttgart die Mutter, dem Kind alle Männer mit Namen und Adressen zu nennen, mit denen sie in der Zeit der Empfängnis Sex hatte.   

Auskunft über Sex-Partner

Hiergegen wandte sich die Mutter mit einer Rechtsbeschwerde zum BGH. Das oberste deutsche Zivilgericht bestätigte die Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart. Die Mutter ist verpflichtet, dem Kind Auskunft über diejenigen Männer zu erteilen, mit denen sie zur Zeit der Empfängnis Geschlechtsverkehr gehabt hat. Der Anspruch ergebe sich aus § 1618a BGB.

„§ 1618 a BGB Pflicht zu Beistand und Rücksicht

Eltern und Kinder sind einander Beistand und Rücksicht schuldig“

(Familienrechtliche Generalklausel)

Zwar sei aus § 1618a BGB nicht ausdrücklich herzuleiten, dass ein Kind gegen einen Elternteil Anspruch auf Auskunft über die Identität des anderen Elternteils hat. Die Pflicht, sich einander Beistand und Rücksicht zu gewähren, umfasse aber den Anspruch auf Auskunft. Diese Auslegung liegt darin begründet, dass die Kenntnis der eigenen Abstammung das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Kindes gemäß Art. 2 Absatz 1 i.V.m. Art. 1 Absatz 1 GG berührt, zu dessen Schutz der Staat verpflichtet ist. 

Darin, dass die leibliche Mutter aufgrund der Adoption nicht mehr die rechtliche Mutter des Kindes war (§ 1755 Absatz 1 Satz 1 BGB), sahen die Karlsruher Richter kein Hindernis. Das Auskunftsschuldverhältnis sei bereits vor der Adoption entstanden und durch die Adoption nicht erloschen. Ein Erlöschen des Auskunftsanspruchs hätte zu dem nicht hinnehmbaren Ergebnis geführt, dass das Kind keine Möglichkeit hat, seine Abstammung zu erfahren. Bei der Entscheidung fiel auch ins Gewicht, dass die Mutter keine nachvollziehbaren Gründe für die Verweigerung der Auskunft vorgebracht hat. 

Hintergrund

Die Entscheidung stärkt die Rechte von Kindern. Rechtspolitisch ist das zu begrüßen. Aus rechtsstaatlicher Sicht ist die Entscheidung aber bedenklich, denn mit dem Hineininterpretieren eines Auskunftsanspruchs in § 1618a BGB entfernt sich das Gericht von der Vorschrift und liefert diese ein stückweit der Phantasie der Richter aus. Was in diesem Fall gut gemeint sein mag, ist schlecht für die Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit der Justiz. 

Indem der BGH dem Paragraphen eine Bedeutung beimisst, die dem Wortlaut nicht zu entnehmen ist, spielt das Gericht Ersatzgesetzgeber. Zutreffend führt der BGH aus, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht den Staat zum Schutz privater Interessen verpflichtet. Der aus der Schutzpflicht resultierende Auftrag ist herzuleiten aus den Grundrechten, für das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Absatz 1 i.V.m. Art. 1 Absatz 1 GG. In erster Linie richtet sich dieser Auftrag aber an den Gesetzgeber und eher nicht an die Gerichte, die Paragraphen extensiv auszulegen. Dafür sieht das Grundgesetz die Gewaltenteilung zwischen Legislative und Judikative vor (Art. 20 Absatz 2 Satz 2 GG), die durch Entscheidungen wie diese zu verschwimmen droht. 

Abgrenzung zur Kuckuckskind-Entscheidung des BVerfG

Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Fall, in dem der scheinbare Vater eines Kindes – für welches er jahrelang Unterhalt gezahlt hatte – von der Mutter Auskunft über den wahren Erzeuger des Kindes verlangt hat, entschieden, dass ein Auskunftsanspruch nicht auf § 242 BGB gestützt werden kann (BVerfG, Beschl. v. 24.02.2015 – 1 BvR 472/14). Die Mutter zur Auskunft über ihre Sex-Partner zu verpflichten sei ein erheblicher Eingriff in das Persönlichkeitsrecht, der nicht auf die zivilrechtliche Generalklausel gestützt werden könne, sondern einer expliziten gesetzlichen Grundlage bedürfe. 

㤠242 BGB Leistung nach Treu und Glauben

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.“

(Zivilrechtliche Generalklausel)

Ein solcher Auskunftsanspruch, so das BVerfG, kann nicht auf die zivilrechtliche Generalklausel gestützt werden. Zivilgerichte, die einen solchen Auskunftsanspruch aus § 242 BGB herleiten – wie es der BGH in früheren Entscheidungen getan hat -, überschreiten die Grenzen der der richterlichen Rechtsfortbildung. Vielmehr sei es Aufgabe des Gesetzgebers, eine Anspruchsgrundlage gesetzlich zu regeln (BVerfG – 1 BvR 472/14). 

Der BGH hat sich nicht davon abhalten lassen, den Auskunftsanspruch des Kindes auf die Generalklausel des § 1618a BGB zu stützen. Dies stünde, so der BGH, nicht im Widerspruch zur verfassungsrechtlichen Rechtsprechung, denn der Fall liege beim Auskunftsanspruch des Kindes anders. Beim Auskunftsanspruch des Kindes gehe es, anders als beim Auskunftsanspruch des Scheinvaters im Kuckuckskind-Fall, nicht allein um finanzielle Interessen. 

Die Begründung des BGH dafür, dass ein Auskunftsanspruch des Kindes ganz anders zu bewerten sei als der des Scheinvaters, überzeugt nicht. Denn die Begründung impliziert, dass es dem Scheinvater des Kuckuckskindes nur ums Geld geht. Das ist aber nicht zwingend der Fall. Das Interesse des Scheinvaters daran, die Abstammung des Kindes aufzuklären, berührt zwar in erster Linie sein Portemonnaie aber zumindest auch sein Persönlichkeitsrecht. 

Ob man die Kritik teilt oder nicht, Jurastudierende können sich auf neue Fragen bei der mündlichen Prüfung gefasst machen. Denn die ohnehin interessante Drittwirkung von Grundrechten über zivilrechtliche Generalklauseln ist nun um eine Konstellation reicher. Aus rechtlicher Sicht besonders reizvoll sind zudem die Reibungspunkte und die Abgrenzung zur Kuckuckskind-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. 

BGH, Beschluss vom 19.01.2022 – XII ZB 183/21

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