Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass es für die Triage einer gesetzlichen Regelung bedarf (1 BvR 1541/20).
Die Triage hat eine erhebliche Grundrechtsrelevanz, denn die Verweigerung lebensrettender Maßnahmen kommt einer Entscheidung über Leben und Tod gleich. Dass es in Deutschland für die Triage kein Gesetz gibt, überrascht. Schließlich gibt es in Deutschland kaum einen Bereich ohne gesetzliche Regelung.
Rechtlicher Graubereich
Ohne ein Gesetz für die Triage ist es ständige Praxis, dass sich Ärzte und Pflegekräfte, wenn sie bei knappen Ressourcen eine Triage-Entscheidung treffen müssen, in einem rechtlichen Graubereich bewegen. Was für die betroffenen Patienten über Leben und Tod entscheidet, ist für die Entscheidungsträger rechtlich riskant, denn dass sie bei einer Triage-Entscheidung, die schließlich ursächlich für den Tod von Menschen sein kann, straffrei ausgehen, ist keineswegs sicher. Denn die Triage orientiert sich an mehr oder weniger vagen Empfehlungen medizinischer Fachgesellschaften. Siehe dazu: Leben oder Tod nach „klinisch-ethischen Empfehlungen“ / Behandlung bei Knappheit.
Knappe Ressourcen
Bislang konnte man diesen rechtlichen Graubereich hinnehmen, weil die Triage praktisch kaum relevant war. Es gab kaum einmal die Situation, dass die Ressourcen derart knapp waren, dass einzelne Patienten keine Behandlung erhalten konnten. So blieben die rechtlichen Fragen eher ein Spielfeld für Juristen als ein Anwendungsfall für Gerichte. Das hat sich mit der Corona-Pandemie geändert. Mit Covid-19 rückt das Risiko näher, dass mehr behandlungsbedürftige Patienten vorhanden sind als Ressourcen.
Ungleichbehandlung bei Triage
Geklagt hatten Behinderte, die bei den Triage-Entscheidungen, die anlässlich der Pandemie absehbar sind, eine strukturelle Ungleichbehandlung rügten. Da Behinderte häufig in Heimen und Betreuungseinrichtungen leben, besteht ein höheres Ansteckungsrisiko. Viel schlimmer ist noch, dass die Kriterien der medizinischen Fachgesellschaften für Behinderte besonders problematisch sein können. So falle bei der Behandlungsentscheidung die prognostizierte Überlebensdauer ebenso ins Gewicht, wie die Lebensqualität. Dies sind aber Faktoren, bei denen Nichtbehinderte regelmäßig besser abschneiden als Behinderte. Mit dem Benachteiligungsverbot sei das nicht zu vereinbaren:
„Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“
Das Art. 3 Absatz 3 Satz 2 GG
Schutzauftrag an den Gesetzgeber
Das Bundesverfassungsgericht hat den Klägern weitestgehend Recht gegeben (1 BvR 1541/20). Aus Art. 3 Absatz 3 Satz 2 GG ergibt sich ein Auftrag an den Gesetzgeber, dafür zu sorgen, dass Behinderte nicht benachteiligt werden. Eine klagefähige Rechtsposition, die auf gesetzgeberisches Handeln gerichtet ist, lässt sich daraus aber nur dann herleiten, wenn die gerügte Ungleichbehandlung nicht anderweitig zu beheben ist. Diese Voraussetzungen sahen die Karlsruher Richter hier als gegeben an. Unter bestimmten Voraussetzungen könne sich die gesetzliche Schutzpflicht zu einer Handlungspflicht verdichten. So liegt der Fall hier, wie das BVerfG klar feststellte.
„Der Gesetzgeber hat bislang keine hinreichenden Vorkehrungen getroffen, um die Beschwerdeführenden wirksam vor einer solchen Benachteiligung zu schützen“
BVerfG, Beschluss vom 16.12.2021 – 1 BvR 1541/20
Handlungspflicht Triage-Gesetz
Der Gesetzgeber ist daher verpflichtet – so das BVerfG – diesen Missstand durch eine gesetzliche Regelung zu beheben. Wie der Gesetzgeber das tut, das heißt welche konkreten Regelungen das Triage-Gesetz haben muss, ist Sache der Entscheidung des Gesetzgebers, dem generell ein sehr weiter Spielraum zusteht.
BVerfG, Beschluss vom 16.12.2021 – 1 BvR 1541/20
1 Gedanke zu „Triage-Gesetz – Auftrag an den Gesetzgeber (BVerfG, Beschl. v. 16.12.2021 – 1 BvR 1541/20)“