Zulässigkeit einer Anlaufpraxis für Coronaverdachtsfälle in unmittelbarer Nachbarschaft (VG Bremen, Beschl. v. 20.3.2020 – 5 V 533/20)

Der Betrieb einer Anlaufpraxis für Coronaverdachtsfälle in unmittelbarer Nähe eines Anwohners kann von diesem nicht im einstweiligen Rechtsschutz angegriffen werden. Es besteht kein Anspruch auf Erlass einer entsprechenden einstweiligen Anordnung, da nicht in Grundrechte des Anwohners eingegriffen wird. So entschied das Verwaltungsgericht Bremen (VG Bremen) am 20.03.2020 (5 V 533/20).

Angst vor Ansteckung

Die Angst vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus ist groß. Über die Sorge einer Anwohnerin, in deren Nähe eine Anlaufpraxis für Coronaverdachtsfälle eröffnet werden soll, hatte das VG Bremen zu entscheiden.

Anlaufpraxis für Coronaverdachtsfälle

Eine Anwohnerin aus Bremerhaven wurde darüber informiert, dass in einem Gebäudekomplex neben ihrem Wohnhaus in Kürze eine Praxis für Coronaverdachtsfälle eröffnet werden soll. Diese Praxis ist ausschließlich für Menschen gedacht, die Symptome einer Coronaerkrankung aufweisen. Sie sollen bei entsprechenden Symptomen und einer Überweisung vom Hausarzt oder des Kassenärztlichen Bereitschaftsdienst die Praxis aufsuchen können.

Schutzzelt für wartende Patienten

Auf einem Parkplatz hinter dem Eingangstor zur Praxis ist ein Schutzzelt vorgesehen. Dort sollen sich die wartenden Coronaverdachtsfälle aufhalten. Hinweisschilder sollen gewährleisten, dass die Verdachtsfälle direkt zum Wartebereich der Praxis geleitet werden. Dies ging aus der Pressemitteilung der Betreiberin der Praxis hervor.

Anwohnerin wohnt im Nachbarhaus

Die Anwohnerin selbst wohnt und arbeitet im Nachbarhaus. Ihr Wohnhaus und der Gebäudekomplex mit der streitgegenständlichen Praxis sind durch eine Querstraße voneinander getrennt. Da die Anwohnerin aufgrund einer Vorerkrankung zur Risikogruppe zählt, war diese nun in besonderer Sorge, sich anzustecken.

Antrag auf einstweilige Anordnung

Sie verlangte im einstweiligen Rechtsschutz die Untersagung des Betriebs der geplanten Anlaufpraxis. Aufgrund des zu befürchtenden regen Publikumsverkehrs von infizierten Menschen, sei das Risiko besonders hoch, sich anzustecken. Dies müsse die Anwohnerin nicht hinnehmen, insbesondere weil sie wegen ihrer Vorerkrankung zur Risikogruppe gehört.

Entscheidung des VG Bremen

Das VG Bremen entschied: Die Praxis darf öffnen!

Die Anwohnerin hat keinen Anordnungsanspruch im Hinblick auf die Untersagung des Betriebs einer entsprechenden Anlaufpraxis, so das VG Bremen. Die summarische Prüfung im einstweiligen Rechtsschutz führte zu dem Ergebnis, dass ein Anspruch auf Untersagung des Betriebs der Praxis nicht gegeben war.

Artikel 2 GG

Im vorliegenden Fall kam ein Anspruch wegen der Verletzung des Grundrechts aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) in Betracht. Schutzgut ist hier die Integrität des menschlichen Körpers. Dieses Grundrecht ist als Abwehrrecht gegen Maßnahmen ausgestaltet, die die körperliche Substanz beeinträchtigen. So geht es aus dem Beschluss des VG Bremen hervor.

Kein Eingriff in Grundrecht

In das Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG wird jedoch nach Auffassung des VG Bremen nicht eingegriffen. Es liegt weder ein gezielter Eingriff, noch eine besondere Gefährdungslage vor, die einen faktischen Eingriff bedeuten würde, so das VG Bremen.

Kein gezielter Eingriff

Dass die Betreiberin der Praxis nicht gezielt in das Schutzgut des Artikel 2 GG eingreifen wollte, liegt auf der Hand. Damit liegt nach dem Beschluss des VG Bremen in jedem Fall kein gezielter Eingriff vor.

Faktischer Eingriff?

Zu prüfen hatte das VG Bremen jedoch, ob eine besondere Gefährdungslage vorlag, die im Ergebnis einen faktischen Eingriff bedeuten würde. Dies ist nach der Rechtsprechung nur dann der Fall, wenn eine besondere Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung vorliegt.

Besondere Gefährdungslage

Die Schwelle zum Eingriff ist in diesem Fall überschritten, wenn „sich im Einzelfall aus dem Produkt aus Gefahrennähe, -ausmaß und Rang des bedrohten Rechtsgutes ein so erhebliches Gewicht ergibt, dass eine Risikotragung subjektiv nicht mehr zumutbar ist“, so das VG Bremen.

Risiko der Ansteckung nicht unzumutbar gesteigert

Eine solche Gefährdungslage liegt hier nach Auffassung des VG Bremen jedoch nicht vor. Das VG Bremen geht davon aus, dass das Risiko einer Ansteckung nicht in unzumutbarem Maße gesteigert ist.

Kaum unmittelbare Auswirkungen auf Anwohner

Unmittelbare Auswirkungen auf die Anwohnerin bestehen nur bei einem Kontakt mit Personen, die auf dem Weg zur Praxis oder zurück sind, so das VG Bremen. Insbesondere ist nicht vorgesehen, dass sich die betreffenden Personen auf der Straße oder den Wegen aufhalten. Dies ist auch nicht wahrscheinlich, da diese direkt zum als Wartebereich der Praxis hinter dem Eingangstor geleitet werden. Hierauf weist das VG Bremen in seinem Beschluss hin.

Hygienemaßnahmen zumutbar

Das VG Bremen macht in seinem Beschluss deutlich, dass der Anwohnerin zuzumuten ist, dem geringfügig gesteigerten Risiko einer Ansteckung mit geeigneten Hygienemaßnahmen zu begegnen. Hierzu zählen das Einhalten des empfohlenen Sicherheitsabstands, gute Händehygiene sowie das Befolgen der „Hust- und Niesregeln“.

Risikopatienten müssen besonders umsichtig sein

Da die Anwohnerin nach eigenen Angaben selbst zur Risikogruppe gehört, ist diese nach Auffassung des VG Bremen ohnehin gehalten, sich besonders umsichtig zu verhalten. Das VG Bremen weist darüber hinaus darauf hin, dass im Moment nur die wichtigsten Termine stattfinden sollen und die Anwohnerin ihre Erledigungen z.B. nach Schließung der Praxis erledigen könne.

Keine erhebliche Gefährdungslage

Nach Auffassung des VG Bremen liegt eine Rechtsgutsverletzung bei der Anwohnerin nicht vor. Es mangelt an einer Gefährdungslage, die so erheblich ist, dass diese als faktischer Eingriff gewertet werden könne. So geht es aus dem Beschluss des VG Bremen hervor.

Maßnahmen nach Infektionsschutzgesetz

Ergänzend weist das VG Bremen darauf hin, dass eine etwaige Beeinträchtigung von Grundrechten nach § 16 Absatz 1 Satz 1 Infektionsschutzgesetz gerechtfertigt sein dürfte. Hiernach können notwendige Maßnahmen zur Abwendung drohender Gefahren ergriffen werden. Die geplante Anlaufstelle für Coronaverdachtsfälle kann eine solche Maßnahme sein, so das VG Bremen.

Innenstadtlage nicht zu beanstanden

Auch die Tatsache, dass sich die Anlaufpraxis in der Innenstadt befindet, ändert nach Auffassung des VG Bremen hieran nichts. Schließlich muss die Erreichbarkeit einer solchen Praxis gewährleistet sein, so das VG Bremen.

Eilantrag abgewiesen

Die Anwohnerin konnte einen Anordnungsanspruch nicht geltend machen. Das VG Bremen hat den Eilantrag der Anwohnerin auf Untersagung des Betriebs der Coronapraxis abgewiesen.

VG Bremen, Beschluss vom 20.03.2020 – 5 V 533/20

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