Schuldirektorin scheitert mit Klage gegen Inklusion (VG Bremen, Urt. v. 27.06.2018 – 1 K 762/18)

Die verbeamtete Direktorin einer Bremer Schule erhielt die Weisung, an ihrem Gymnasium für das Schuljahr 2018/2019 bis zu fünf Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Bereich der Wahrnehmungs- und Entwicklungsstörung aufzunehmen. Dabei handelt es sich um Kinder, die aufgrund eingeschränkter intellektueller Funktion oder personalen oder sozialen Defiziten voraussichtlich lebenslang Unterstützung benötigen (§ 7 Absatz 4 EVuP Bremen). Die Direktorin der Schule wollte die Weisung nicht akzeptieren, denn nach ihrer Auffassung würden dadurch die Kapazitäten für reguläre Schüler unrechtmäßig beschränkt. Für eine solche Beschränkung bedürfe es einer Rechtsgrundlage. Da eine solche nicht existiere, sei die Weisung rechtswidrig. Bei ihrem Dientsherrn, der Senatorin für Kinder und Bildung der Hansestadt Bremen, fand sie damit kein Gehör und wandte sich mit einer Feststellungsklage an das Verwaltungsgericht Bremen. Die dafür notwendige Klagebefugnis stützte die Direktorin auf ihre Stellung als Lehrerin und Schulleiterin (§§ 59, 63 BremSchVwG), das den Gymnasien eingeräumte Selbstverwaltungsrecht gebe ihr das Recht, das Fehlen einer Rechtsgrundlage gerichtlich geltend zu machen. Ohne Erfolg. Das VG Bremen entschied, dass ihre Feststellungsklage mangels Klagebefugnis unzulässig ist und wies die Klage ab. Notwendig für die Klagebefugnis entsprechend § 42 Absatz 2 VwGO ist, dass die Klägerin die Verletzung eigener Rechte geltend machen kann. Nicht ausreichend ist die Beanstandung, dass die Weisung einer Rechtsgrundlage entbehre, denn daraus ergibt sich zwar möglicherweise eine Rechtsverletzung, aber nicht zugleich eine Verletzung von Rechten der Klägerin. Daran ändert nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Bremen auch der Umstand nichts, dass die Klägerin Lehrerin und Schulleiterin ist, denn die gesetzlich zugebilligten Freiheiten der Organisation des Schulbetriebs geben der Klägerin keine eigene Rechtsposition. Denn letztlich entscheidet stets der Dienstherr, der über die Einrichtung von Klassenverbänden – und damit über Aufnahmevoraussetzungen – im Wege der ihm zugeordneten Fachaufsicht entscheidet (§ 11 Absatz 2 Satz 2 BremSchVwG). Anders als dies z. B. in bestimmten Bereichen im Wege des Organstreitverfahrens möglich ist, sieht das Bremische Schulrecht ein solches Verfahren gerade nicht vor. Damit bleibt die Weisung der Senatorin eine allein innerdienstliche Angelegenheit, gegen die sich die Schulleiterin nicht zur Wehr setzen darf. Von evident schwerwiegend verfassungswidrigen Fällen abgesehen, haben Beamte den Weisungen ihrer Vorgesetzten Folge zu leisten, und zwar auch dann, wenn die Weisungen rechtswidrig sind. Innerdienstlich können sich betroffene Beamte im Wege der Remonstration gegen die Weisung wenden, was aber keine eigene Rechtsposition begründet, sondern allein der Haftungsentlastung des Beamten dient.

Wenngleich es darauf gar nicht mehr ankam, da die Klage bereits unzulässig ist, führte das Gericht auch aus, dass die Weisung rechtmäßig gewesen sei. Das Bremer Schulrecht sehe in § 3 Absatz 4 BremSchulG den Auftrag vor, dass sich die Schulen zu inklusiven Schulen entwickeln sollen. Die Bremer Schulen sollen im Rahmen ihres Erziehungs- und Bildungsauftrags die Inklusion aller Schülerinnen und Schüler unabhängig von ihrer Herkunft, ihrer Staatsbürgerschaft, Religion oder Beeinträchtigung in das gesellschaftliche Leben und die schulische Gemeinschaft befördern und Ausgrenzungen Einzelner vermeiden. Dies umfasse nach § 5 Absatz 4 BremSchulG auch die Einbeziehung Behinderter. Der Umstand, dass hierdurch weniger reguläre Schüler Zugang zum Gymnasium erhalten, werde dadurch relativiert, dass in Bremen sowohl die Oberschule als auch das Gymnasium alle Abschlüsse ermöglichen.

Hintergrund: Das Ergebnis der Entscheidung überrascht nicht. Selbstverständlich können sich Beamte nicht im Wege der Feststellungsklage gegen Weisungen ihres Dienstherrn wenden. Ein solches Recht wäre das Ende des Rechtsstaats, weil dann die ohnehin schwer belasteten Gerichte eine kaum zu bewältigende Aufgabe hätten und der in weiten Teilen noch immer auf Beamtentum bauende Verwaltungsapparat schlichtweg nicht mehr funktionieren würde. Interessant an der Entscheidung ist daher nicht wirklich, dass sich die A 16-Beamtin eine Weisung gefallen lassen muss. Die Entscheidung illustriert vielmehr, dass Lehrer die Entscheidungen ihrer Dienstherren praktisch willenlos umzusetzen haben, und zwar auch in Angelegenheiten, von denen sie keineswegs überzeugt sind. Die Inklusion führt regelmäßig zu erhitzten Gemütern. Befürworter loben die Einbeziehung Behinderter in das gesellschaftliche Leben, wozu das gemeinsame Lernen in den Schulen gehört. Wer diese hehren Ziele kritisiert, läuft Gefahr, gar nicht erst zu Wort zu kommen, denn gegen die Einbeziehung von Behinderten kann man schlichtweg nichts einwenden. Wenn da nicht die Realität wäre: Denn die Inklusion läuft in der Praxis längst nicht so wie in der Theorie. Mit der Abschaffung der Förderschulen und der Einbeziehung der Kinder in die Regelschulen entfällt nämlich nicht der Förderbedarf. Vielmehr muss dieser nun bei den Regelschulen zusätzlich geleistet werden, obwohl diese mit ihren eigenen Problemen bereits genug zu tun haben. Schüler, deren Leistungen nicht für eine Gymnasialempfehlung ausreichen, weil ihnen prognostisch nicht zugetraut wird, das Abitur zu schaffen, müssen sich damit abfinden, dass vormalige Förderschüler einen Platz am Gymnasium bekommen – auch wenn sie keine realistische Chance haben, jemals das Abitur zum machen. Das VG Bremen hat nun klargestellt, dass Lehrer dagegen nichts unternehmen können. Dass das Gericht sich ausführlich zur materiell-rechtlichen Rechtslage geäußert hat, liegt wohl daran, Klagen von Eltern vorzubeugen, denn diesen könnte über Art. 6 GG sehr wohl eine Klagebefugnis zuzugestehen sein. Diesen Eltern sendet das Gericht ein klares Zeichen, dass es entgegen der Auffassung der Schuldirektorin sehr wohl eine Rechtsgrundlage für die Inklusion sieht. Beim VG Bremen hat daher eine Klage von Eltern ebenfalls keine guten Erfolgsaussichten. Gleiches gilt selbstverständlich für eine mögliche Klage von Schülern, die ebenfalls klagebefugt sein dürften entsprechend § 42 Absatz 2 VwGO, und vertreten durch ihre Eltern klagen könnten.

VG Bremen, Urteil vom 27.06.2018 – 1 K 762/18

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