Anforderungen an optisch bedrängende Wirkung von WEA (OVG Münster, Urt. v. 24.02.2023 – 7 D 316/21.AK)

Das OVG NRW hat über die Anforderungen an eine optisch bedrängende Wirkung von Windenergieanlagen entschieden (7 D 316/21.AK). Bei der Genehmigung von WEA ist das Gebot der Rücksichtnahme einzuhalten. Dazu zählt das Erfordernis, dass WEA keine optisch bedrängende Wirkung auf Wohngebäude haben dürfen. Das Gesetz bestimmt, dass bei Einhaltung eines Abstands der zweifachen Gesamthöhe in der Regel keine optisch bedrängende Wirkung anzunehmen ist (§ 249 Abs. 10 BauGB). Zu messen ist ab dem Mastmittelpunkt.

Regelannahme § 249 Abs. 10 BauGB: Keine optisch bedrängende Wirkung bei 2H

Bestimmt das Gesetz eine Rechtsfolge „in der Regel“, handelt es sich nicht um eine absolute, sondern um eine Regelung, von der es Ausnahmen geben kann. Die Münsteraner Richter haben die Anforderungen an eine Ausnahme von der Regel gemäß § 249 Absatz 10 BauGB konkretisiert und geurteilt, dass dafür atypische Umstände gegeben sein müssen. 

Ausnahme von der Regel: atypische Umstände

Eine Atypik erfordert, dass bei dem zu beurteilenden Fall andere als die regelmäßig anzutreffenden Umstände anzutreffen sind. Zu den regelmäßig anzutreffenden Umständen zählen:

  • mehrere WEA-Rotorgrößen 
  • unterschiedliche Rotorstellungen von WEA in Abhängigkeit von Hauptwindrichtung
  • Ausrichtung der Räume des Wohnhauses
  • vorhandener oder fehlender Sichtschutz
  • vorhandene Sichtschutzeffekte durch Vegetation (z.B. Einzelbäume, Baumgruppen, Wald) 
  • bauliche Anlagen
  • topographische Höhendifferenzen
  • Vorbelastungen durch andere WEA

Atypische Umstände können nach Auffassung des OVG-Senats nur solche sein, die im Hinblick auf die Beeinträchtigung anders als regelmäßig anzutreffende Umstände sind. Das bedeutet, dass regelmäßig anzutreffende Faktoren trotz erheblicher Auswirkungen auf die Nachbarschaft nicht zur Begründung einer Atypik geeignet sind. Das OVG bezeichnet dies als „abstrahierte“ Anwendung der 2H-Regel. 

Im entschiedenen Fall gelang den Klägern nicht, das Gericht vom Vorliegen aypischer Umstände zu überzeugen. 

Hintergrund

Die Entscheidung bestätigt die gesetzgeberische Entscheidung zugunsten von WEA-Vorhaben. Ganz überraschend ist die Sichtweise des OVGs zur Atypik nicht, allerdings erscheint die pauschale Absage an etliche Umstände, die prinzipiell für die Begründung einer Atypik in Betracht kommen, sehr umfassend.

Anforderungen an atypische Umstände – Frage des Einzelfalls

Die Rechtsauffassung des OVG NRW lässt für eine Atypik nicht mehr viel Raum, denn über die angeführten regelmäßig anzutreffenden Umstände hinaus sind kaum Umstände für eine besondere Betroffenheit denkbar, anhand derer vorab eine Fallgruppenbildung erfolgen könnte. Damit verbleibt für den Einwand der Atypik allein eine einzelfallbezogene Betrachtung. Diese kann durch einen Ortstermin des Gerichts geschehen, d.h. die Richter schauen sich die Situation vor Ort an.

Wenn die WEA noch nicht realisiert sind, kann eine künstliche Visualisierung einen Eindruck von den Auswirkungen geben. Hierfür werden mehrere Blickrichtungen ausgewählt, und die WEA maßstabs- und realitätsgetreu in die Bilder oder Videosequenzen per Foto- oder Videomontage hineinmontiert.

Eine Atypik kann im Einzelfall vorliegen, wenn die Auswirkungen erheblich über das normalerweise Anzutreffende hinausgehen oder wenn ein Zusammenwirken mehrerer Umstände besonders nachteilige Auswirkungen hat, z.B. wenn 2H kann eingehalten sind, sich das Haus in Hauptwindrichtung befindet, die WEA auf einem Hügel oder einem Bergkamm stehen und sich ringsherum im Nahbereich bereits Bestands-WEA befinden. 

OVG Münster, Urteil vom 24.02.2023 – 7 D 316/21.AK

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