Wer betrunken Pedelec fährt, riskiert nicht bloß seine Gesundheit, sondern macht sich unter Umständen sogar strafbar.
Trunkenheit im Verkehr bei 1,1/1,6 Promille
Unabhängig von einem Fahrfehler macht sich nach § 316 StGB strafbar, wer im Zustand der absoluten Fahruntüchtigkeit im Verkehr ein Fahrzeug führt. Die Grenze der absoluten Fahruntüchtigkeit beträgt bei Radfahrern 1,6 Promille BAK, bei Fahrern von Autos, Motorrädern und Mofas hingegen nur 1,1 Promille. Bei diesen Werten ist sicher davon auszugehen, dass der Fahrer nicht in der Lage ist, ein Fahrzeug sicher zu führen.
Ist ein Pedelec strafrechtlich ein Fahrrad?
Aus strafrechtlicher Sicht ist die Frage, ob es sich bei einem Pedelec, also einem Fahrrad mit elektrischer Tretunterstützung, um ein Fahrrad oder um ein Gefährt handelt, das mit einem Motorrad oder Mofa vergleichbar ist, von großer Bedeutung. Denn davon hängt ab, ob der Pedelec-Fahrer, der zwischen 1,1 und 1,6 Promille intus hat, eine Straftat begeht. Über diese Rechtsfrage hatte das OLG Karlsruhe zu entscheiden.
1,59 Promille BAK
Mit 1,59 Promille BAK wurde ein Pedelec-Fahrer erwischt. Sein Pedelec hatte im Bereich zwischen 6 und 25 km/h eine Tretunterstützung. Sowohl das Amts- als auch das Landgericht sprachen ihn vom Vorwurf der Trunkenheit im Verkehr frei. Maßgeblich dafür war die Anwendung des für Radfahrer geltenden Grenzwerts von 1,6 Promille BAK, der hier nicht erreicht war. Hiergegen wandte sich die Staatsanwaltschaft, die meinte, dass auf Pedelec-Fahrer der Grenzwert von 1,1 Promille anzuwenden sei.
Für Pedelec gilt der 1,6 Promille-Grenzwert
Das OLG Karlsruhe erteilte der Auffassung der Staatsanwaltschaft eine Absage. Für Pedelecs gelte nicht der für Autos, Motorräder und Mofas anwendbare Grenzwert von 1,1 Promille, sondern der für Fahrräder anwendbare Grenzwert von 1,6 Promille. Mit 1,59 Promille lag der Angeklagte hier unterhalb des Grenzwerts. Der Freispruch wird daher voraussichtlich bestätigt.
Zwischen Mofa und Fahrrad
Pedelecs bewegen sich nach Auffassung der Karlsruher Richter zwischen Fahrrädern und Mofas. Da Pedelecs sich nur unter Anwendung von Muskelkraft fortbewegen lassen, verbiete sich die Anwendung des 1,1 Promille-Grenzwerts. Ob Pedelecs bei aktiviertem Motor Kraftfahrzeuge sind, spielt nach der Auffassung des OLG strafrechtlich keine Rolle. Denn maßgeblich stellten die Karlsruher Richter darauf ab, dass derzeit keine wissenschaftlich fundierten Erkenntnisse darüber vorliegen, dass an das Führen von Pedelecs Anforderungen zu stellen sind, die über die an Radfahrer zu stellenden Anforderungen hinausgehen.
Kritik
Zustimmung verdient die Entscheidung im Hinblick darauf, dass ein Pedelec wohl eher mit einem Fahrrad als mit einem Mofa vergleichbar ist. Die Begründung für die Anwendung des 1,1 Promille-Grenzwerts überzeugt indessen nicht. Eine 250-Watt-Tretunterstützung leistet mehr als der durchschnittliche Radfahrer für längere Zeit auf die Pedale bringt. Bei voll aktivierter Tretunterstützung ist daher der Muskelaufwand marginal, was das Pedelec eher wie ein Mofa erscheinen lässt, denn die Hauptkraft resultiert keineswegs aus den Muskeln, sondern dem Elektromotor. Diese obergerichtliche Entscheidung wird daher sicherlich nicht das letzte Wort zum BAK-Grenzwert für Pedelecs sein. Bis auf weiteres können sich Pedelec-Fahrer aber zumindest im Zuständigkeitsbereich des OLG Nürnberg ein „Extra-Bierchen“ gönnen.
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 14.07.2020 – 2 Rv 35 Ss 175/20
Anmerkung: Es handelt sich um einen Hinweisbeschluss, zu dem die Beteiligten Stellung nehmen können. Zum Zeitpunkt des Zustandekommens dieses Beitrags lag die endgültige Entscheidung noch nicht vor.
Zur Anwendbarkeit des 1,1 Promille-Grenzwerts auf einen elektrischen Rollstuhl vgl. OLG Nürnberg, Besch. v. 13.12.2010 – 2 St OLG Ss 230/10