Kerntheorie bei Unterlassung einer Äußerung (LG Frankfurt a.M., Beschl. v. 28.10.2019 – 2-03 O 152/19)

Wer zur Unterlassung einer Äußerung verpflichtet ist, schuldet nicht bloß die Unterlassung der konkret beschriebenen Äußerung, sondern darf auch sinngleiche Äußerungen nicht tätigen.

Unterlassung & Kerntheorie

Die Kerntheorie findet Anwendung bei der Auslegung von Unterlassungspflichten. Häufig kommt es zu Streit darüber, ob wegen einer Äußerung eine Vertragsstrafe geschuldet oder ein Ordnungsgeld (§ 890 ZPO) festzusetzen ist.

Bei der Prüfung, ob ein Verstoß vorliegt, kommt zunächst einmal auf den Inhalt der Pflicht an. Unproblematisch ist das, wenn der Tatbestand der Unterlassungspflicht erfüllt ist.

Beispiel:

Die Unterlassungspflicht lautet: „Der Schuldner verpflichtet sich, es zu unterlassen, den Gläubiger als Trottel zu bezeichnen“.

Wenn der Schuldner den Gläubiger als „Trottel“ bezeichnet, ist der Tatbestand der Pflicht erfüllt. Einer Vertragsstrafe oder einem Ordnungsgeld wird der Schuldner hier kaum entgehen können.

Schwieriger sind aber Fälle, in denen kein klarer Verstoß gegen die Unterlassungspflicht vorliegt. Hier kommt die Kerntheorie zur Anwendung. Sie besagt, dass sich eine Verpflichtung auch auf kerngleiche Pflichten erstreckt. Das bedeutet, dass ein Verhalten, welches dem Wortlaut nach zwar nicht den Tatbestand erfüllt, aber „im Kern“ dasselbe ist, gleichwohl tatbestandsmäßig ist. Die im Wettbewerbsrecht entwickelte Kerntheorie verfolgt das Ziel, den Anwendungsbereich einer Pflicht so zu erweitern, dass sinngleiche Verstöße erfasst werden.

Kerntheorie bei Texten

Bei der Textberichterstattung sind Gerichte zurückhaltend mit der Anwendung der Kerntheorie. Das liegt am besonderen Schutz der Meinungs- und Pressefreiheit (Art. 5 Absatz 1 Satz 1 und 2 GG).

Das Landgericht Frankfurt am Main hat sich nun zur Anwendung der Kerntheorie bei der Textberichterstattung bekannt (2-03 O 152/19).

Dem Streit lag ein Ordnungsgeldantrag gemäß § 890 ZPO zugrunde. Der Gläubiger warf dem Schuldner den Verstoß gegen eine Unterlassungspflicht vor. Diese hatte zum Gegenstand, die folgende Äußerung zu unterlassen:

„Dort führen sie X, den Gym-Besitzer, als Beschuldigten. Sie verdächtigten ihn, etwas mit dem Schuss auf den Trainer zu tun zu haben. … X sei es wohl nicht selbst gewesen, er, der Trainer, vermute aber, dass X dahinterstecke. Mehr haben die Ermittler nicht in der Hand. Sie führen unabhängig von X drei weitere Männer als Beschuldigte.“

Der Schuldner ließ sich indessen von weiterer Berichterstattung über die Angelegenheit nicht abhalten und äußerte:

„Dort führen sie insgesamt vier Männer als Beschuldigte, natürlich auch aus dem Boxmilieu, in dem der Trainer den Täter der seiner Auftraggeber vermutet“.

Der Gläubiger sah darin eine kerngleiche Äußerung. Der Schuldner widersprach und meinte, dass die Kerntheorie in der Textberichterstattung keine Anwendung finde.

Anwendung der Kerntheorie

Das Frankfurter Gericht stellte nun klar, dass die Kerntheorie auch bei der Textberichterstattung Anwendung findet. Wenn man das anders sehen wollte, würden Unterlassungspflichten bei Äußerungen weitestgehend leer laufen. Denn Schuldner könnten sich einer Haftung einfach durch eine geringfügige Änderung des Textes entziehen. Um das zu vermeiden, sind auch sinngleiche Äußerungen von der Unterlassungspflicht umfasst.

Hier gelangte das Landgericht zu der Überzeugung, dass die beanstandete Äußerung den Kernbereich der Unterlassungspflicht verlassen habe. Dies resultiere aus mehreren Umständen. So werde der Gläubiger in der neuerlichen Berichterstattung nicht mehr namentlich genannt, was eine geringere Eingriffsintensität zur Folge habe.

Außerdem sei in der Ursprungsfassung des Berichts der Verdacht geäußert worden, der Gläubiger stecke hinter dem Angriff, in der zweiten Berichterstattung taucht dieser Verdacht nicht mehr auf. Ferner sei nun nicht mehr die Rede davon, dass es sich beim Gläubiger um die hauptsächlich als Täter in Betracht kommende Person handele.

Ein kerngleicher Verstoß liege nicht vor, das Landgericht wies den Antrag auf Festsetzung eines Ordnungsgeldes zurück.

Landgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 28.10.2019 – 2-03 O 152/19

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