Mit einem Testament hat man die Möglichkeit, über sein Vermögen zu bestimmen. Dabei ist man grundsätzlich frei, denn das Gesetz legt fest, dass man selbst darüber bestimmen darf, wer Erbe ist und wer nicht (§ 1937 BGB). Diese Testierfreiheit unterliegt allerdings Grenzen.
So hatte ein Erblasser in seinem Testament bestimmt, dass seine Frau und ein Sohn aus erster Ehe jeweils 25% erben sollten. Die restlichen 50% sollten die beiden Kinder eines anderen Sohns erben. Allerdings nur dann, wenn diese den Erblasser mindestens sechsmal im Jahr besuchen. Weiter hieß es: „… Sollte das nicht der Fall sein, d.h. mich keiner besuchen, werden die restlichen 50 % des Geldes zwischen meiner Frau … und meinem Sohn [aus erster Ehe] … aufgeteilt“. Das Testament war den Familienangehörigen bekannt. Die damals minderjährigen Enkel erfüllten die Besuchspflicht nicht. Die Ehefrau und der Sohn aus erster Ehe beantragten nach dem Tod des Erblassers einen Erbschein, mit einer Erbschaft von jeweils 50%. Der Erbschein wurde antragsgemäß erteilt.
Hiergegen erhoben die Enkel, die den Erblasser nicht besucht hatten, Beschwerde. Mit Erfolg. Das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. entschied, dass die Bestimmung, dass die Erbschaft nur dann anfällt, wenn die Enkel ihn besuchen, sittenwidrig und damit nichtig ist.
Rechtlich handelt es sich bei der Bestimmung um eine aufschiebende Bedingung, die den Eintritt einer Rechtsfolge von bestimmten Umständen abhängig macht (§ 158 BGB). Zwar sei es Sache des Erblassers über sein Vermögen zu bestimmen. Die Testierfreiheit gilt allerdings nicht grenzenlos. Wenn die Bedingung den Erben unzumutbar unter Druck setzt und ein Verhalten bewirken soll, welches eigentlich Freiwilligkeit voraussetzt, kann die Grenze zur Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) überschritten sein. So sah es das OLG Frankfurt a.M. hier. Besuche sind regelmäßig eine Sache der freien inneren Überzeugung. Wenn der Erblasser durch einen wirtschaftlichen Anreiz erreichen möchte, dass er besucht wird, sei das eine sittenwidrige und damit unwirksame Bestimmung. Die Bedingung führe aber nicht zugleich zum Wegfall der Erbeinsetzung. Das OLG meint, dass, wenn der Erblasser von der Sittenwidrigkeit der Bedingung gewusst hätte, davon auszugehen, dass er die Enkel trotzdem als Erben eingesetzt hätte.
Hintergrund
Die Nichtigkeit von Bestimmungen in Testamenten ist nur ausnahmsweise anzunehmen. Ohne Zuhilfenahme von Gerichtsentscheidungen zu konkreten Fällen lassen sich Testamente kaum zuverlässig als sittenwidrig oder unbedenklich qualifizieren. Denn weder die Lektüre von § 138 BGB noch die in der Rechtsprechung verwendete Formel für die Sittenwidrigkeit führen zu zuverlässigen Ergebnissen.
„alle billig und gerecht Denkenden“
Eine Bestimmung kann unter Berücksichtigung aller Umstände dann sittenwidrig sein, wenn sie „gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“ verstößt. Juristisch interessant ist, dass das OLG zwar die Sittenwidrigkeit der Bedingung annahm, aber an der Erbeinsetzung nicht zweifelte. Das widerspricht dem Prinzip, dass zusammenhängende Regelungen grundsätzlich miteinander stehen und fallen (§ 139 BGB). Das bedeutet, dass die Nichtigkeit der Bedingung auch die Nichtigkeit der Erbeinsetzung der Enkel zur Folge hätte. Über diese juristische Hürde kommt das OLG hinweg, indem es den mutmaßlichen Willen des Erblassers durch eine eigene Regelung ersetzt.
Gericht ersetzt Willen des Erblassers
Dass Gerichte den Willen von Menschen praktisch ersetzen, ist eine heikle Sache. So auch hier, denn man fragt sich, woher das Gericht wissen kann, dass der Erblasser seine Enkel auch dann als Erben eingesetzt hätte, wenn er von der Nichtigkeit der Besuchspflicht gewusst hätte. Das Gegenteil könnte ebenso der Fall sein.
OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 05.02.2019 – Az. 20 W 98/18