Airline muss Entschädigung für Flugausfall zahlen – trotz Streik des Bodenpersonals (BGH, Urt. v. 04.09.2018 – X ZR 111/17)

Reisende haben bei Verspätungen und Flugausfällen einen gesetzlichen Anspruch auf Entschädigung. Geregelt ist dies in der EU-Fluggastrechte-Verordnung (VO EU 261/2004). Verspätet sich ein Flug oder fällt er aus, haben Fluggesellschaften Entschädigung zu leisten, es sei denn dass die Verspätung auf „außergewöhnliche Umstände“ zurückzuführen ist, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären (Art. 5 Absatz 3 FlugGR-VO).

Flugausfall durch Streik “außergewöhnliche Umstände”?

Ob Verspätungen oder Ausfälle durch Streiks des Bodenpersonals solche „außergewöhnlichen Umstände“ darstellen können, war bislang in Deutschland nicht höchstrichterlich geklärt. Das hat sich nun geändert: das oberste deutsche Zivilgericht, der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass Streiks des Bodenpersonals die gesetzlichen Ansprüche auf Entschädigung nicht zwangsläufig ausschließen (X ZR 111/17).

Der Fall

Geklagt hatte ein Ehepaar, das 2015 von Hamburg nach Lanzarote fliegen wollte. Aufgrund eines Streiks des Bodenpersonals am Hamburger Flughafen gingen die Sicherheitskontrollen nur sehr schleppend vonstatten, sodass sich die Airline dazu entschloss, das Flugzeug ohne Passagiere starten zu lassen.
Die Kläger verlangten Entschädigung für den Flugausfall. Die Airline weigerte sich unter Hinweis auf „außergewöhnliche Umstände“. Die Annulierung des Fluges sei auf den Streik des Bodenpersonals zurückzuführen, was die Airline nicht hätte vermeiden können.

Von den Behinderungen an den Kontrollstellen seien zahlreiche Fluggäste betroffen gewesen, die nicht zeitgerecht abgefertigt werden konnten. Außerdem habe der starke Andrang an den verbliebenen Kontrollstellen dazu geführt, dass die Sicherheitskontrollen nicht mit der sonst üblichen Sorgfalt durchgeführt worden sind. Darin sei ein Sicherheitsrisiko zu erblicken, was ebenfalls dafür spreche, das Flugzeug ohne Passagiere starten zu lassen. Die beim Amtsgericht und Landgericht Hamburg erfolglosen Kläger gingen gegen die Zurückweisung in Revision zum BGH, mit Erfolg:

BGH Pflicht zur Entschädigung trotz Streiks

Der Bundesgerichtshof entschied, dass Streiks des Bodenpersonals zwar durchaus „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne von Art. 5 Absatz 3 FlugGR-VO sein können, welche die Airline von der Pflicht zur Entschädigung befreie. Allerdings setzt das nach der Fluggästeverordnung voraus, dass die Folgen des Streiks nicht mit zumutbaren Maßnahmen abwendbar waren und eine Absage des Fluges erforderlich war. Diese Anforderungen lagen nicht vor bzw. das Landgericht hat keine hinreichenden Feststellungen dazu getroffen.

Nach Auffassung des BGHs war die Airline nämlich nicht allein deshalb zur Absage des Fluges gezwungen, weil zahlreiche Passagiere nicht rechtzeitig durch die Sicherheitskontrolle gekommen sind. Dass durch den Streik kein einziger Passagier rechtzeitig am Gate gewesen ist, hat das Landgericht nicht festgestellt.

Dem Argument der Airline, dass aufgrund des erhöhten Andrangs bei den wenigen Kontrollpunkten Sicherheitsbedenken bestanden haben, erteilte der BGH eine Absage: die Gewährleistung sicherer Kontrollen sei Aufgabe der Luftsicherheitsbehörde und des dafür zuständigen Personals. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die wenigen verbliebenen Kontrollstellen keine hinreichenden Sicherheitsüberprüfungen durchgeführt haben, waren hier nicht ersichtlich. Die Airline kann sich daher auf Sicherheitsbedenken nicht berufen.

Aufgrund der lückenhaften Feststellungen durch die Vorgerichte hat der BGH keine Entscheidung zur Sache gefällt, sondern den Rechtstreit zurückverwiesen an das Landgericht Hamburg.

Hintergrund: Die Fluggastrechte-Verordnung regelt Entschädigungsansprüche von Passagieren und nimmt billig-Airlines wie Ryan-Air ebenso in die Pflicht wie etablierte Anbieter, wie Lufthansa oder Emirates. Die EU-Verordnung ist EU-weit unmittelbar geltendes Recht. Das letzte Wort zur Anwendung und Auslegung hat deshalb faktisch der EuGH.

Dass die nun – mit Wirkung für Deutschland – durch den BGH getroffene Entscheidung durch den EuGH anders entschieden wird, ist nicht zu erwarten. Der BGH legt den Begriff der „außerordentlichen Umstände“ eng aus und liegt damit auf der passagierfreundlichen Linie des EuGH.

Festgehalten werden kann, dass Airlines Flüge auch dann durchführen müssen, wenn nur wenige Passagiere rechtzeitig am Gate sind. Sagt eine Airline dennoch den Flug ab, z. B. weil zur vorgesehenen Abflugzeit nicht genügend Passagiere am Gate sind, muss die Airline Entschädigung zahlen.

Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels lagen die Urteilsgrüne der BGH-Entscheidung nicht vor.

BGH, Urteil vom 04.09.2018 – X ZR 111/17

Landgericht Hamburg, Urteil vom 13.09.2017 – 309 S 127/15

Amtsgericht Hamburg, Urteil vom 16.10.2015 – 13 C 50/15

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