Verspätete Durchführung einer Wiedereingliederungsmaßnahme (Hamburger Modell) – Schadensersatz (LArbG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 23.05.2018 – 15 Sa 1700/17)

Ermöglicht der Arbeitgeber einem schwerbehinderten Arbeitnehmer nicht rechtzeitig eine behindertengerechte Beschäftigung, kann der Arbeitnehmer Schadensersatz in Höhe der entgangenen Vergütung verlangen. Einen Anspruch auf behindertengerechte Beschäftigung hat der schwerbehinderte Arbeitnehmer auch im Rahmen einer betrieblichen Wiedereingliederung (Hamburger Modell). Ein entsprechendes Urteil fällte das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (LArbG Berlin-Brandenburg) am 23.05.2018 (15 Sa 1700/17).

Der Fall:

Die Klägerin ist bei dem beklagten Land als Lehrerin beschäftigt. Sie ist als schwer behinderter Mensch anerkannt. Nachdem die Klägerin im Oktober 2013 arbeitsunfähig erkrankt ist, beantragte sie im Januar 2015 unter Vorlage einer entsprechenden ärztlichen Bescheinigung bei dem beklagten Land die Durchführung einer Wiedereingliederung. In der ärztlichen Bescheinigung ist als Tag der Wiederherstellung der vollen Arbeitsfähigkeit der 28.03.2015 angegeben. Das beklagte Land lehnte die von der Klägerin begehrte Wiedereingliederung ab. Die Klägerin legte daraufhin eine weitere ärztliche Bescheinigung vor und verlangte weiterhin die Wiedereingliederung. Anfang März 2015 schlossen die Parteien einen Vertrag zur Wiedereingliederung, welche am 07.04.2015 begann. Ab dem 13.05.2015 arbeitete die Klägerin wieder in Vollzeit bei dem beklagten Land und erhielt ab diesem Zeitpunkt wieder ihre volle Vergütung. Die Klägerin verlangte von dem beklagten Land Schadensersatz wegen der verspäteten Durchführung der Wiedereingliederungsmaßnahme. Hätte die Wiedereingliederung der Klägerin, wie von dieser zuerst beantragt, früher begonnen, wäre die Klägerin bereits am 07.04.2015 voll arbeitsfähig gewesen und nicht erst am 13.05.2015. Der Klägerin hätte daher bereits ab dem 07.04.2015 die volle Vergütung zugestanden. Die ihr damit entgangene Vergütung machte die Klägerin bei dem beklagten Land als Schadensersatz geltend. Sie erhob zunächst Klage auf Zahlung der ihr entgangenen Vergütung bei dem zuständigen Arbeitsgericht. Das Arbeitsgericht wies die Klage der Klägerin vollumfänglich ab. Es begründete die Klagabweisung damit, dass keine Erklärung der Ärzte dahingehend vorgelegt wurde, dass die Klägerin bei dem Start der Wiedereingliederung tatsächlich ab dem 07.04.2015 nicht mehr arbeitsunfähig gewesen wäre. Zudem sei von der Klägerin nicht nachgewiesen worden, dass die verspätete Wiedereingliederung kausal für den Schaden gewesen ist.

Die Klägerin legte gegen das klagabweisende Urteil des Arbeitsgerichts Berufung beim LArbG Berlin-Brandenburg ein, worüber nun zu entscheiden war.

Die Entscheidung:

Das LArbG Berlin-Brandenburg gab der Klägerin Recht und hob das Urteil des Arbeitsgerichts auf. Das beklagte Land wurde verurteilt, der Klägerin die ihr entgangene Vergütung nebst Zinsen zu zahlen.

Nach Auffassung des LArbG Berlin-Brandenburg stand der Klägerin aufgrund der verspäteten Wiedereingliederung durch das beklagte Land die entgangene Vergütung als Schadensersatz zu. „Versäumt es der Arbeitgeber schuldhaft, die behinderungsgerechte Beschäftigung eines schwer behinderten Arbeitnehmers nach § 81 Absatz 4 Satz 1 Nr. 1 bis 5 SGB IX zu ermöglichen, hat der Arbeitnehmer einen Schadensersatzanspruch in Höhe der entgangenen Vergütung nach § 280 Absatz 1 BGB sowie aus § 823 Absatz 2 BGB in Verbindung mit § 81 Absatz 4 Satz 1 SGB IX“, so das LArbG Berlin-Brandenburg in seinem Urteil. Nach § 81 Absatz 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX a.F. (ab dem 01.01.2018: § 164 Absatz 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX) kann ein schwerbehinderter Arbeitnehmer eine anderweitige behindertengerechte Tätigkeit auch im Rahmen der betrieblichen Wiedereingliederung verlangen, so das LArbG Berlin-Brandenburg. Voraussetzung hierfür ist, dass der Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung vorlegt, aus der sich „Art und Weise der empfohlenen Beschäftigung, Beschäftigungsbeschränkungen, Umfang der täglichen oder wöchentlichen Arbeitszeit sowie die Dauer der Maßnahme ergeben“. Daneben muss die ärztliche Bescheinigung eine Prognose enthalten, aus der sich der voraussichtliche Zeitpunkt der Wiederaufnahme ergibt, hierauf weist das LArbG Berlin-Brandenburg in seinem Urteil hin. Die dem LArbG Berlin-Brandenburg vorgelegte ärztliche Bescheinigung enthielt sämtliche erforderlichen Angaben, insbesondere wurde als Zeitpunkt der voraussichtlichen Wiederherstellung der vollen Arbeitsfähigkeit der 28.03.2015 prognostiziert. Die prognostizierte volle Arbeitsfähigkeit der Klägerin lag damit in jedem Fall auch am 07.04.2015 vor. Nach Auffassung des LArbG Berlin-Brandenburg hat das beklagte Land auch schuldhaft den Anspruch der Klägerin auf Wiedereingliederung verletzt. Insbesondere wurde vom beklagten Land nicht dargelegt, dass ihm die Erfüllung dieses Anspruchs unzumutbar gewesen ist oder mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden gewesen wäre, so das LArbG Berlin-Brandenburg. Die Kausalität des Schadens ergibt sich nach Auffassung des LArbG Berlin-Brandenburg unmittelbar aus der ärztlichen Bescheinigung. Hinzu kommt, dass das beklagte Land keine Indizien für eine eventuell fehlerhafte Bescheinigung vorgetragen hat.

Nach alledem geht das LArbG Berlin-Brandenburg davon aus, dass der Klägerin der von ihr geltend gemachte Schadensersatzanspruch aufgrund der verspäteten Wiedereingliederung zusteht. Die Berufung hatte daher Erfolg und das beklagte Land wurde zur Zahlung der entgangenen Vergütung an die Klägerin verurteilt.

LArbG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 23.05.2018 – 15 Sa 1700/17

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