Abgasskandal – Haftung des Herstellers wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (LG Kiel, Urt. v. 18.05.2018 – 12 O 371/17)

Der Hersteller eines vom so genannten Abgasskandal betroffenen Neuwagens haftet gegenüber dem Käufer wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB. Unbeachtlich ist dabei, ob das vom Hersteller angebotene „Software-Update“ am Fahrzeug durchgeführt worden ist oder nicht. So entschied das Landgericht Kiel (LG Kiel) in seinem Urteil vom 18.05.2018 (12 O 371/17).

Der Fall:

Der Kläger erwarb bei einem Vertragshändler der beklagten Herstellerin  ein Dieselfahrzeug als Neuwagen zu einem Kaufpreis von ca. 28.500,- €. Bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug handelte es sich um ein vom so genannten Abgasskandal betroffenes Fahrzeug, da es mit einer Manipulationssoftware versehen war. Die Manipulationssoftware erkennt, wenn sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand befindet und schaltet in diesem Fall in einen besonderen Modus. In diesem Modus kommt es zu einer erhöhten Rückführung von Abgasen, was zur Folge hat, dass der nach der Euro-5-Norm einzuhaltende Schadstoffausstoßwert eingehalten wird. Im normalen Fahrbetrieb hingegen kommt es zu einem höheren Schadstoffausstoß, da der besondere Modus nicht aktiviert ist. Aufgrund der Manipulation erhielt die Beklagte die EG-Typengenehmigung für das Fahrzeug des Klägers. Die Entscheidung über den serienmäßigen Einbau der Manipulationssoftware bei diversen Fahrzeugmodellen trafen Entwicklungsingenieure der Beklagten. Nach Bekanntwerden des „Abgasskandals“ verpflichtete das Kraftfahrt-Bundesamt die Beklagte, bei den betroffenen Fahrzeugen die Manipulationssoftware zu entfernen und ein entsprechendes „Software-Update“ durchzuführen. Der Kläger ließ ein solches Update am streitgegenständlichen Fahrzeug durchführen.

Der Kläger begehrt mit der vor dem LG Kiel erhobenen Klage von der Herstellerin des Fahrzeugs als Schadensersatz die Erstattung des vollen Kaufpreises, Zug um Zug gegen Rückgabe des gekauften Fahrzeugs. Er ist der Auffassung, die Beklagte habe ihn vorsätzlich und sittenwidrig geschädigt. Bei Kenntnis von der verbauten Manipulationssoftware und den damit verbundenen Folgen für den Schadstoffausstoß hätte der Kläger nach seinem Vortrag den Kaufvertrag über das streitgegenständliche Fahrzeug nicht geschlossen.

Die Beklagte beantragte Klagabweisung und bestreitet in dem Verfahren das Verbauen einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Zudem sei das Fahrzeug technisch sicher, in der Fahrbereitschaft nicht eingeschränkt und auch die EG-Typengenehmigung wurde nicht aufgehoben, so die Beklagte. Insbesondere liege keine sittenwidrige Schädigung vor.

Das LG Kiel hatte nun über die Schadensersatzklage des Klägers gegen die Herstellerin als Beklagte zu entscheiden.

Die Entscheidung:

Mit Urteil vom 18.05.2018 verurteilte das LG Kiel die Beklagte wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von ca. 17.000,- €, Zug um Zug gegen Rückgabe des gekauften Fahrzeuges. Die Höhe des Schadensersatzes entspricht dem vom Kläger gezahlten Kaufpreis abzüglich Nutzungsersatz für die während der Besitzzeit gezogenen Nutzungen. Den vollen Kaufpreis konnte der Kläger als Schadensersatz nicht erfolgreich geltend machen. Die Klage war daher dem Grunde nach vollumfänglich und der Höhe nach zum Teil begründet.

Das LG Kiel stellte fest, dass dem Kläger gegen die Beklagte ein Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB zusteht.

Die schädigende Handlung liegt nach Auffassung des LG Kiel „in dem arglistigen Inverkehrbringen des mangelhaften Fahrzeugs unter Geheimhaltung der bewusst eingebauten Funktion zur Manipulation der Emissionswerte auf dem Prüfstand durch Mitarbeiter der Beklagten in der Entwicklungsabteilung“. In jedem Fall ist das streitgegenständliche Fahrzeug mangelhaft gewesen, so das LG Kiel. Ein Mangel ist insbesondere aufgrund der Tatsache gegeben, dass die Beklagte sich die Erteilung der EG-Typengenehmigung durch die Manipulationssoftware erschlichen hat, so das LG Kiel. Der Käufer kann jedenfalls erwarten, dass die Emissionswerte seines Fahrzeugs zumindest ähnlich hoch ausfallen, wie im Prüfstand, wenn vergleichbare Bedingungen gegeben sind. Auch die Tatsache, dass die zuständigen Behörden die verbaute Abschalteinrichtung als unzulässig einstufen und deren Beseitigung fordern, führt zu einer Bewertung des Fahrzeugs als mangelhaftes Fahrzeug, so das LG Kiel in seinem Urteil.

Neben der schädigenden Handlung ist nach Auffassung des LG Kiel auch von einem Schaden des Klägers auszugehen. Hier liegt der Schaden gemäß § 826 BGB in dem Abschluss eines ungewollten Kaufvertrages über ein mangelhaftes Fahrzeug, so das LG Kiel. Der Begriff des Schadens nach § 826 BGB ist weit zu fassen. Nach Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ist ein Schaden im Sinne des § 826 BGB „nicht nur jede nachteilige Einwirkung auf die Vermögenslage, sondern darüber hinaus jede Beeinträchtigung eines rechtlich anerkannten Interesses und jede Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung“ (BGH, NJW 2004, 2971-2974 Rn. 41). Die Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung resultiert hier aus dem Abschluss des Kaufvertrages über ein mangelhaftes Fahrzeug. Der Schaden ist unabhängig davon eingetreten, ob das streitgegenständliche Fahrzeug durch die Manipulationssoftware einen Wertverlust erlitten hat oder nicht. Auch das zwischenzeitlich durchgeführte Software-Update ändert hieran nichts, so das LG Kiel. Nach anerkannter Rechtsprechung muss sich ein arglistig getäuschter Käufer einer mangelhaften Sache nicht auf eine Beseitigung des Mangels verweisen lassen. Dies gilt insbesondere für den Käufer eines Neuwagens, der kein mangelhaftes Fahrzeug erwerben möchte, auch wenn der Mangel noch beseitigt werden soll, so das LG Kiel in seinem Urteil.

Darüber hinaus geht das LG Kiel auch von einer Sittenwidrigkeit aus. Eine sittenwidrige Schadenszufügung liegt dann vor, wenn das Verhalten gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Grundsätzlich begründet eine bewusste Täuschung zur Herbeiführung eines Vertragsschlusses die Sittenwidrigkeit, so das LG Kiel. Insbesondere bei dem in diesem Zusammenhang arglistigen Verschweigen eines Mangels durch den Verkäufer (BGH, Urteil vom 20.04.1988 – VIII ZR 35/87) und der vorsätzlichen Herbeiführung eines Sachmangels ist von einer sittenwidrigen Schadensherbeiführung gemäß § 826 BGB auszugehen, darauf weist das LG Kiel in seinem Urteil hin. In diesem Rechtsstreit ist nach Auffassung des LG Kiel von einer Sittenwidrigkeit auszugehen, da „Mitarbeiter der Beklagten vorsätzlich mangelhafte Fahrzeuge unter Geheimhaltung der bewusst eingebauten Funktion zur Manipulation der Emissionswerte auf dem Prüfstand in Verkehr bringen lassen haben“. Das LG Kiel stellt in seinem Urteil fest, dass das schädigende Verhalten der Beklagten sowohl wegen seines Zwecks als auch wegen der angewandten Mittel mit Rücksicht auf die dabei gezeigte Gesinnung als verwerflich anzusehen ist. „Die Beklagte hat mit dem Einsatz der Manipulationssoftware massenhaft und mit erheblichem technischen Aufwand gesetzliche Vorschriften zum Umwelt- und Gesundheitsschutz ausgehebelt und zugleich Kunden getäuscht“, so das LG Kiel. Dabei hat die Beklagte bewusst das ihr entgegengebrachte Vertrauen der Verbraucher ausgenutzt. Die unternehmerische Freiheit findet ihre Grenze in jedem Fall dort, „wo das besondere Vertrauen unter Inkaufnahme einer essenziellen Schädigung der potentiellen Kunden ausgenutzt wird, um aus Gewinnstreben sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen“, hierauf weist das LG Kiel in seinem Urteil hin. Diese Grenze ist nach Auffassung des LG Kiel überschritten. Das Verhalten der Beklagten ist daher als verwerflich anzusehen.

Die Beklagte handelte nach Auffassung des LG Kiel auch vorsätzlich. Vorsätzliches Verhalten nach § 826 BGB liegt bereits dann vor, wenn der Täter im Bewusstsein handelt, dass die Schädigung im Bereich des Möglichen liegt und das Schädigungsrisiko billigend in Kauf nimmt, so das LG Kiel. Den verantwortlichen Mitarbeitern der Beklagten ist hier nach Auffassung des LG Kiel Vorsatz vorzuwerfen. So setzt der Einsatz der Manipulationssoftware „denknotwendig eine aktive, im Hinblick auf das Ergebnis gewollte präzise Programmierung voraus und schließt die Annahme einer fahrlässigen Herbeiführung dieses Zustandes aus“. Insbesondere nahmen die Verantwortlichen billigend in Kauf, dass der Einsatz der Manipulationssoftware unredlich im Verhältnis zu den potentiellen Kunden sein konnte und gegen geltende Gesetze verstoße, so das LG Kiel in seinem Urteil. Dabei hatten die verantwortlichen Mitarbeiter der Beklagten billigend in Kauf genommen, dass Endverbraucher, wie hier der Kläger, sittenwidrig geschädigt würden.

Das LG Kiel rechnet das Verhalten der Mitarbeiter gemäß § 831 BGB der Beklagten zu. Insbesondere handelte es sich bei den Mitarbeitern der Beklagten im Bereich der Motorenentwicklung um von der Beklagten bestellte Verrichtungsgehilfen, wobei nicht erforderlich ist, dass diese verantwortlichen Verrichtungsgehilfen namentlich bekannt sind, hierauf weist das LG Kiel hin. Mit einer möglichen Enthaftung hatte sich das LG Kiel nicht auseinanderzusetzen, da die Beklagte in dem Rechtsstreit nicht vorgetragen hat, die verantwortlichen Mitarbeiter sorgfältig ausgewählt und überwacht zu haben. Das LG Kiel nahm darüber hinaus auch eine Haftung der Beklagten für das Verhalten der verantwortlichen Mitarbeiter wegen Organisationsverschulden nach § 31 BGB an.

Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs nach § 826 BGB waren nach dem Urteil des LG Kiel gegeben.

Gemäß § 249 Absatz 1 BGB ist von der Beklagten der Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. In diesem Fall hätte der Kläger nicht den Kaufvertrag über das streitgegenständliche Fahrzeug geschlossen und auch den Kaufpreis nicht gezahlt. Zu ersetzen ist daher der Kaufpreis, allerdings unter Abzug der während der Besitzzeit gezogenen Nutzungen, so das LG Kiel. Der Nutzungswert berechnet sich, „indem der Bruttokaufpreis mit den gefahrenen Kilometern multipliziert und das Produkt durch die zu erwartende Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs dividiert wird“. Nach Schätzung der Gesamtlaufleistung durch das LG Kiel auf 250.000 km und Abzug des entsprechenden Nutzungsersatzes ergibt sich ein von der Beklagten zu erstattender Schaden in Höhe von ca. 17.000,- €.

Nach dem Urteil des LG Kiel ist die Beklagte daher verpflichtet, dem Kläger Schadensersatz in Höhe von ca. 17.000,- € wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zu zahlen, Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs.

LG Kiel, Urt. vom 18.05.2018 – 12 O 371/17

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