BGH billigt Verwendung von Dashcam-Videos als Beweismittel im Zivilprozess trotz Datenschutz-Verstoß (BGH, Urt. v. 15.05.2018 – VI ZR 233/17)

Der Bundesgerichtshof (BGH) macht den Weg frei für die Verwertung von Dashcam-Videos als Beweismittel im Zivilprozess. In der Enscheidung, zu der die Urteilsgründe noch nicht vorliegen, schloss sich das oberste deutsche Zivilgericht der Rechtsauffassung der meisten Gerichte an, die eine anlasslose Daueraufzeichnung im Straßenverkehr als rechtswidrig einstuften. Darin liegt nämlich ein Verstoß gegen § 4 BDSG und eine Rechtfertigung nach §§ 6b, 28 BDSG kommt nicht in Betracht. Die fehlende Einwilligung der gefilmten Verkehrsteilnehmer kann, so der BGH, nicht durch überwiegende Interessen der Beweissicherung überwunden werden, denn eine permanente anlasslose Videoaufzeichnung widerspricht dem Verhältnismäßigkeitsprinzip. Ausdrücklich stellte der BGH darauf ab, dass eine Aufzeichnung kurz vor und nach einem Unfallereignis – z. B. ausgelöst durch Erschütterungen oder starke Beschleunigungskräfte – als milderes Mittel in Betracht kommen. Trotz der datenschutzrechtlichen Rechtswidrigkeit hält der BGH die bei einer anlasslosen permanenten Aufzeichnung gewonnenen Videoaufnahmen aber für verwertbar.

Anlasslose Videoaufzeichnung führt nicht zu Beweisverwertungsverbot

Aus der Rechtswidrigkeit der Videoaufnahen folgt aber nicht zugleich ein Beweisverwertungsverbot im Zivilprozess. Damit widerspricht der BGH den meisten Gerichten, die aus der datenschutzrechtlichen Rechtswidrigkeit der Aufzeichnungen zugleich ein Beweisverwertungsverbot schlussfolgerten. Die Verwertbarkeit von Videoaufnahmen sei vielmehr in einer umfassenden Interessen- und Güterabwägung anhand der Umstände des Einzelfalls festzustellen. Dabei steht das Interesse des Beweisführers an der Durchsetzung seiner Ansprüche und zugleich auf rechtliches Gehör (Art. 103 Absatz 1 GG) sowie eine funktionierende Rechtspflege dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des des Beweisgegners (Art. 1 Absatz 1 i. V. m. Art. 2 Absatz 1 GG) gegenüber, der in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung und dem Recht am eigenen Bild betroffen sein kann. Bei der Abwägung fiel ins Gewicht, dass sich der Beklagte freiwillig in den öffentlichen Straßenverkehr begeben hat und dass die Videoaufnahmen nur das wiedergaben, was ohnehin für jedermann sichtbar war. Zugunsten des Beweisführers wurde gewertet, dass dieser angesichts der Schnelligkeit des Verkehrs in Beweisnot war und es in solchen Fällen häufig an verlässlichen Anknüpfungstatsachen fehlt, die für eine unfallanalytische Aufklärung gebraucht werden. Das besondere Gewicht des Interesses des Dashcam-Nutzers an der Beweissicherung komme auch durch das Gesetz zum Ausdruck, indem das unerlaubte Entfernen vom Unfallort unter Strafe gestellt ist (§ 142 StGB).

Rechtswidriges Mitgefilmen von Verkehrsteilnehmern rechtfertigt kein Verwertungsverbot

Bemerkenswert und in der deutschen Zivilrechtsprechung neu ist, dass der BGH den Verstoß gegen Rechte anderer Verkehrsteilnehmer, die bei der anlasslosen Videoaufzeichung mitgefilmt werden, nicht für ein Verwertungsverbot ausreichen lässt. Zwar liege darin regelmäßig eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der anderen Verkehrsteilnehmer (Art. 1 Absatz 1 i. V. m. Art. 2 Absatz 1 GG) und eine Verletzung des Datenschutzrechts. Diese Verstöße können hohe Geldbußen nach sich ziehen und, im Falle vorsätzlicher geschäftsmäßiger Begehung, sogar die Verhängung einer Freiheitsstrafe. Zweck der Datenschutzregelungen sei aber nicht die Verhinderung der Verwertung der Aufzeichnungen im Zivilprozess.

Ist die Dashcam nun legal?

Nein. Es bleibt dabei, dass die anlasslose permanente Aufzeichnung illegal ist. Allerdings werden solche Aufnahmen künftig im Zivilprozess Verwendung finden. Daran ändert auch die Klarstellung der Karlsruher Richter nichts, dass es stets einer Abwägung im Einzelfall bedarf, denn der entschiedene Fall ist auf die meisten Dashcam-Fälle übertragbar. In der Praxis wird das Urteil zu einem Vormarsch von Dashcams führen. Wer das Risiko eines Datenschutz-Vergehens eingehen möchte und für den Fall eines Unfalls gewappnet sein möchte, kann nun munter filmen. Die Entscheidung des BGHs kann getrost als Dammbruch bezeichnet werden. Denn Dashcam-Datenschutzverstöße werden in der Praxis kaum geahndet. Der BGH nimmt damit einmal mehr in Kauf, dass Menschen sich bewusst rechtwidrig verhalten (vgl. auch Videoaufnahmen – Bio-Hühner BGH, Urt. v. 10.04.2018 – VI ZR 396/16). Das verleiht der Entscheidung einen negativen Beigeschmack.

Dashcam im Straßenverkehr nach der EU-DSGVO?

Die Rechtsprechung des BGHs zur Verwertung von anlasslosen permanent aufgenommenen Dashcam-Videos wird voraussichtlich auch unter der Datenschutz-Grundverordnung der EU (DSGVO) Bestand haben. Nach dieser auch in Deutschland ab dem 25.05.2018 unmittelbar geltenden Verordnung ist die anlasslose permanente Aufzeichnung ebenfalls rechtswidrig. Beweisverwertungsverbote sind weder in der DSGVO noch in dem ergänzend anzuwendenden Bundesdatenschutzgesetz (novelliert mit Wirkung zum 25.05.2018) geregelt. Da der BGH die datenschutzrechtliche Rechtswidrigkeit nicht als Hindernis für die Verwertbarkeit als Beweismittel im Zivilprozess ansieht, stehen weder die DSGVO noch das BDSG 2018 einer Verwertung von Dashcam-Videos im Zivilprozess entgegen.

BGH, Urteil vom 15.05.2018 – VI ZR 233/17 (Urteilsbegründung liegt noch nicht vor)

BGH-Presseerklärung 88/2018

 

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