Ersatzeinreichung bei technischer Störung des beA – nachträgliche Glaubhaftmachung nur ausnahmsweise zulässig (OVG Rh-Pf, Beschl, v. 08.08.2022 – 8 A 10330/22)

Bei Gerichten ist die Einreichung von Schriftsätzen durch Anwälte zwingend in elektronischer Form vorgesehen. Verstößt ein Anwalt gegen diese Pflicht, etwa durch postalische Übermittlung eines Schriftsatzes oder per Faxversand, kann der eingereichte Schriftsatz keine Frist wahren. Die Übermittlung ist schlichtweg unwirksam.

Ersatzeinreichung bei technischer Störung: § 55d VwGO / § 130d ZPO

Für den Fall, dass das beA vorübergehend nicht verfügbar ist, oder dass andere technische Hindernisse existieren, besteht die Möglichkeit der Ersatzeinreichung. Diese ermöglicht die Übermittlung per Post oder per Fax. Erforderlich ist aber, dass mit der Einreichung oder unverzüglich danach glaubhaft gemacht wird, dass eine technische Störung vorgelegen hat. 

„Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen“

(§ 55d Satz 4 VwGO / § 130d Satz 3 ZPO)

Nachträgliche Glaubhaftmachung unzulässig

Das OVG Rheinland-Pfalz vertritt die Auffassung, dass die nachträgliche Glaubhaftmachung einer vorübergehenden Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung vorrangig zusammen mit der Ersatzeinreichung zu erfolgen hat (8 A 10330/22). Eine nachträgliche Glaubhaftmachung ist nach Auffassung der Koblenzer Richter nur dann zulässig, wenn der Anwalt erst kurz vor Fristablauf feststellt, dass eine elektronische Übermittlung nicht möglich ist und bis zum Fristablauf keine Zeit mehr verbleibt, die Unmöglichkeit dazulegen und glaubhaft zu machen.

Am 04.04.2022, dem Tag des Fristablaufs, hatte der Anwalt einen Schriftsatz per Fax eingereicht. Die Einreichung war unwirksam, weil sie als Fax nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen elektronischen Form entsprach. Am 08.04.2022 reichte der Anwalt eine Glaubhaftmachung gemäß § 55d Satz 4 VwGO ein. Laut OVG Koblenz war die Glaubhaftmachung unbeachtlich, weil der Anwalt diese bereits am 04.04.2022 hätte einreichen können.

Das OVG Koblenz hat entschieden, dass die Nachreichung der Glaubhaftmachung unwirksam ist, weil der Anwalt die Glaubhaftmachung bereits am 04.04.2022 hätte einreichen können. Das Erfordernis des Vorrangs der Glaubhaftmachung zusammen mit der Ersatzeinreichung ergebe sich aus dem Gesetzeswortlaut und dem Willen des Gesetzgebers, mit der Vorschrift eine Beschleunigung des Verfahrens zu erreichen. Die Nachreichung der Glaubhaftmachung sei daher nur unter der weiteren Voraussetzung zulässig, dass diese nicht zusammen mit der Ersatzeinreichung hat erfolgen können. Da dafür keine Anhaltspunkte vorlagen, war die nachgereichte Glaubhaftmachung unbeachtlich.

Vier Tage nicht „unverzüglich“ gem. § 121 BGB

Außerdem sei die vier Tage später erfolgte Nachreichung nach Auffassung des OVG Koblenz nicht mehr unverzüglich. „Unverzüglich“ bedeutet „ohne schuldhaftes Zögern“ (§ 121 BGB). Eine konkrete Frist legt das Gesetz nicht fest. In der Rechtsprechung herrscht aber weitestgehend Einigkeit darüber, dass nach Verstreichen von mehr als einer Woche in der Regel nicht mehr von „unverzüglich“ auszugehen ist. Diese grobe Richtschnur verschärft das OVG Koblenz nun erheblich, indem die Nachreichung binnen vier Tagen nicht mehr „unverzüglich“ sein soll. 

Inhalt der Glaubhaftmachung unzureichend

Auch an den Inhalt der Glaubhaftmachung stellt das Gericht hohe Anforderungen. Der Anwalt hatte dargelegt, dass ein Versenden von Schriftsätzen zum fraglichen Zeitpunkt nicht möglich gewesen sei. Dies hatte er durch eine eidesstattliche Versicherung belegt. Nach Auffassung des Gerichts genügt das nicht für die Glaubhaftmachung einer technischen Störung, sondern sei nur eine Behauptung. Vielmehr verlangt das Gericht konkrete Darlegungen zu technischen Gründen:

„Die Glaubhaftmachung setzt … eine Erläuterung des technischen Grundes voraus“

(OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 08.08.2022 – 8 A 10330/22)

Dabei ist interessant, welche weiteren Darlegungen das Gericht ebenfalls für unzureichend hält. Der Anwalt hatte die Glaubhaftmachung nämlich noch einmal nachgebessert. Auch das war für das OVG Koblenz unzureichend:

Das Gericht hat beanstandet, dass der Anwalt nicht erklärt hatte, 

  • warum keinem der anderen in der Kanzlei tätigen Anwälte eine beA-Benutzerkarte zum Versenden von Schriftsätzen zur Verfügung steht,
  • warum kein Versand nach qualifizierter elektronischer Signatur durch Mitarbeiter möglich gewesen sei,
  • warum ein Screenshot oder Foto der Fehlermeldung nicht möglich gewesen sei. 

Hintergrund

Die Ersatzeinreichung nach § 55d VwGO bzw. § 130d ZPO hat eine große praktische Bedeutung, denn leider funktioniert das beA nicht zuverlässig, sodass Anwälte auf absehbare Zukunft nicht auf das gute alte Faxgerät verzichten können. Nicht immer lassen sich die Ursachen für eine technische Störung nachvollziehen. Wenn man das Gesetz und die zugehörige Begründung liest, mag das halb so schlimm erscheinen. Denn eine Ersatzeinreichung setzt nicht voraus, dass eine Störung beim beA vorliegt. Der Grund darf auch in der Sphäre des Anwalts liegen, z. B. durch eine Nichtverfügbarkeit des Internetzugangs. Dabei sind durchaus Fälle denkbar, in denen der Anwalt keine Fehlermeldung vom beA erhält, von denen er einen Screenshot machen könnte. 

Zu strenge Anforderungen

Das OVG Rheinland-Pfalz stellt zu strenge Anforderungen an die Glaubhaftmachung der technischen Störung. Das beginnt bereits bei der Auslegung der gesetzlich vorgesehenen Möglichkeit der Glaubhaftmachung zusammen mit der Ersatzeinreichung „oder“ unverzüglich danach. Die vom OVG geforderte zusätzliche Voraussetzung, dass eine nachträgliche Glaubhaftmachung nur dann zulässig sei, wenn eine Glaubhaftmachung zusammen mit der Ersatzeinreichung nicht möglich war, ist nicht mit dem Gesetzeswortlaut in Einklang zu bringen. Das Gesetz enthält eine solche zusätzliche Voraussetzung nicht. Auch die Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung ändert daran nichts. Denn die Gesetzesbegründung mag zwar für die Auslegung heranzuziehen sein, setzt sich aber nicht gegenüber dem Wortlaut des Gesetzes durch. Hinzu kommt, dass die Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung fehlerhaft ist, denn der Gesetzgeber hat in der Gesetzesbegründung mit keinem Wort zum Ausdruck gebracht, dass ein Nachreichen der Glaubhaftmachung nur dann zulässig sein soll, wenn die Glaubhaftmachung bei der Einreichung nicht möglich war. Richtig ist, dass der Gesetzgeber das Nachreichen der Glaubhaftmachung für diesen Fall beschrieben hat – von der Beschreibung eines Anwendungsfalls taugt aber nicht für die Herleitung eines ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals. Die Entscheidung des OVG Koblenz ist insoweit grob fehlerhaft. 

Zweifeln begegnet auch die Feststellung, dass die Nachreichung vier Tage später nicht mehr unverzüglich gewesen sei. Warum nun ausgerechnet beim fehleranfälligen beA ein so strenger Maßstab gelten soll, wo ansonsten fünf oder sogar sieben Tage zugebilligt werden, ist nicht verständlich. Da Anwälte von Gesetzes wegen Profis sind, mag dies einer kritischen Würdigung noch standhalten. 

Darlegung der technischen Störung

Völlig überzogen sind indessen die Anforderungen des OVGs an die Darlegungen zur technischen Ursache der Störung. Auch hier löst sich das OVG Koblenz in nicht hinnehmbarer Weise vom Wortlaut des Gesetzes. Das Gesetz stellt auf den einreichenden Anwalt ab. Dementsprechend kommt es nicht darauf an, ob andere Anwälte derselben Kanzlei den Schriftsatz hätten versenden können. Maßgeblich ist allein, ob bei dem versendenden Anwalt eine technische Störung vorgelegen hat. Ebenso kann es nicht darauf ankommen, ob der Schriftsatz qualifiziert elektronisch signiert durch einen nichtanwaltlichen Mitarbeiter hätte versendet werden können. Denn die Vorhaltung der Möglichkeit der qualifizierten Signierung ist keine Anwaltspflicht und spielt § 55d VwGO oder für § 130d ZPO keine Rolle. 

Fehlentscheidung mit Auswirkungen

Die Entscheidung hält einer kritischen Prüfung nicht stand. Sie enthält grobe rechtliche Fehler und überspannt die Anforderungen an die Glaubhaftmachung einer technischen Störung. Anwälte müssen die Entscheidung aber trotzdem im Blick haben und müssen die überzogenen Anforderungen vorsorglich befolgen. Anderenfalls droht ihnen die Haftung aufgrund einer Pflichtverletzung aus dem Anwaltsvertrag. 

Eines noch: In der Beschlussbegründung heißt es, dass der Anwalt in seinem Büro in Trier drei beA-Karten habe, unter anderem eine für „Rechtsanwalt Zahnd“. Wenn man diesen namentlich erwähnen möchte, müsste eigentlich eine DSGVO-konforme Zustimmung vorliegen. So streng wie das Gericht bei der Glaubhaftmachung der technischen Störung und der Nachreichung ist, wird es diese Zustimmung sicherlich eingeholt haben, oder? 

Die Entscheidung zeigt einmal mehr, dass das beA endlich funktionsfähig gemacht werden muss, wenn es das eigentliche Ziel erreichen soll. Bisher hat das beA zu keiner Entlastung der Justiz geführt und ebenso wenig zu einer Beschleunigung von Verfahren. Dass die Risiken eines unzuverlässigen Systems auf die Anwender abgewälzt werden, und nichts anderes tut die OVG-Koblenz-Entscheidung, begegnet großen Bedenken. 

OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 08.08.2022 – 8 A 10330/22

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