Blitzer-Bußgeldbescheide rechtswidrig bei Verweigerung von Blitzer Rohdaten (BVerfG, Beschl. v. 12.11.2020 – BvR 1616/18)

Das Bundesverfassungsgericht hat bestätigt, dass geblitzte Autofahrer Anspruch auf Einsicht in die Rohdaten haben (2 BvR 1616/18).

Blitzer-Rohdaten

Unter den Gerichten herrschte lange Zeit Uneinigkeit darüber, ob Betroffene in Owi-Verfahren die Blitzer-Rohdaten herausverlangen können. Anlass des Streits war, dass einige Blitzer Rohdaten nicht speichern. Eine Herausgabe dieser Daten war deshalb nicht möglich.

Faires Verfahren?

Anwälte und einige Gerichte sahen darin einen Verstoß gegen das faire Verfahren, so auch das saarländische Verfassungsgericht (Lv 7/17). Betroffenen wird die Verteidigung erschwert, wenn sie lediglich den Geschwindigkeitsverstoß, nicht aber die Blitzer Rohdaten mitgeteilt bekommen.

„… wird schon richtig sein”

Einige Gerichte machten es sich hingegen einfach, indem sie entschieden, dass Betroffene kein Einsichtsrecht haben, weil die Blitzer fehlerfrei arbeiten. Zu diesen Gerichten gehört das OLG Oldenburg (2 Ss Owi 233/19). Die Erkenntnis, dass die Blitzer ordnungsgemäß arbeiten, beruhe auf „Erfahrung“. Es handele sich um so genannte standardisierte Messverfahren, bei denen regelmäßig alles stimme. Betroffene müssten erst einmal die Umstände erschüttern, auf denen die Erfahrung beruht. Da das regelmäßig unmöglich ist, haben geblitzte Autofahrer praktische keinen Anspruch auf Einsicht in Blitzer Rohdaten.

Vorenthaltung der Blitzer Rohdaten ist rechtswidrig

Da BVerfG erteilte der Auffassung der Oldenburger Richter eine klare Absage. Mit einem fairen Verfahren ist es nicht vereinbar, wenn Betroffenen Blitzer Rohdaten vorenthalten werden. Dies verstößt gegen Art. 2 Absatz 1 und Art. 20 Absatz 3 GG, da Betroffene keine Möglichkeit haben, fehlerhafte Messungen zu beanstanden. Betroffene haben daher ein Recht darauf, die Blitzer Rohdaten einzusehen, auch wenn diese nicht Teil der Bußgeldakte sind. Wenn Betroffene oder deren Verteidiger dies begehren, muss sich die Bußgeldbehörde die Rohdaten beschaffen.

Hintergrund

Das BVerfG hat eine Selbstverständlichkeit entschieden. Dass Gerichte, wie das OLG Oldenburg (2 Ss Owi 233/19), dennoch sträubten, ist dadurch zu erklären, dass das Akteneinsichtsrecht in die Blitzer-Rohdaten Missbrauchspotenzial bietet. Verteidiger nutzen die Akteneinsicht gern als taktisches Mittel. Häufig finden sich in den Rohdaten gar keine Ansatzpunkte für Fehlmessungen.

Eine nicht gewährte Akteneinsicht stellt trotzdem einen Verfahrensverstoß dar, der zur Rechtswidrigkeit des Bescheids führt. Ein gefundenes Fressen für Verteidiger. Das ist Gerichten ein Dorn im Auge. Das mag verständlich sein, rechtfertigt aber nicht die Preisgabe grundlegender Verfahrensrechte.

BVerfG, Beschluss vom 12.11.2020 – 2 BvR 1616/18

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