Das Betreiben einer Kindertageseinrichtung in einer als „Laden mit Lager“ bezeichneten Teileigentumseinheit ist zulässig, wenn es sich um eine gemischte WEG-Anlage handelt. Dies geht es einem aktuellen Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 13.12.2019 hervor (V ZR 203/18).
Geräuscheinwirkungen von Kindertageseinrichtungen
Die Frage, wann und in welchem Umfang „Kinderlärm“ hinzunehmen ist, beschäftigt immer wieder die Gerichte. Auch in diesem, über mehrere Instanzen geführten, Rechtsstreit ging es um die Frage, ob Geräuscheinwirkungen, die von einer Kindertageseinrichtung ausgehen, hingenommen werden müssen.
Kinderlärm ist grundsätzlich hinzunehmen
Der BGH hat sich in seinem aktuellen Urteil hierzu klar positioniert. Vor dem Hintergrund der eindeutigen Regelung des § 22 Absatz 1a BImSchG, wonach Geräuscheinwirkungen, die von Kindertageseinrichtungen und Kinderspielplätzen ausgehen, keine schädlichen Umwelteinwirkungen darstellen, ist „Kinderlärm“ grundsätzlich hinzunehmen.
Dieser Grundsatz gilt auch im WEG-Recht
Dieser Grundsatz hat nach dem Urteil des BGH Ausstrahlungswirkung auf das Wohnungseigentumsrecht und ist bei der Frage der Nutzung einer Teileigentumseinheit in einer WEG-Anlage zu berücksichtigen.
Unterlassungsanspruch bei anderweitiger Nutzung
Grundsätzlich, so der BGH, kann ein Wohnungseigentümer von dem Mieter einer anderen Einheit Unterlassung nach § 1004 BGB verlangen, wenn dieser die Einheit anders nutzt, als in der Teilungserklärung vorgesehen.
Betreiben einer Kindertageseinrichtung in Eigentumseinheit
Die Kläger in diesem Rechtsstreit machten genau diesen Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte geltend, denn die Beklagte betrieb in einer als „Laden mit Lager“ ausgewiesenen Eigentumseinheit ein Eltern-Kind-Zentrum. Vormittags betrieb die Beklagte einen Mini-Kindergarten, nachmittags gab es einen offenen Spieltreff sowie diverse Kinderkurse. Geöffnet war der Eltern-Kind-Treff montags bis freitags von 9.00 Uhr bis 18.00 Uhr.
Abweichende Nutzungsvorgabe in Teilungserklärung
Da diese Nutzung von der in der Teilungserklärung angegebenen Nutzung als „Laden mit Lager“ abwich, klagten die Kläger gegen die Beklagte auf Unterlassung der Nutzung als Eltern-Kind-Zentrum. Das Landgericht gab der Klage statt. Die Berufung der Beklagten blieb ohne Erfolg. Nun entschied der BGH über die Revision der Beklagten.
Entscheidung des BGH
Der BGH gab der Betreiberin des Eltern-Kind-Zentrums Recht und wies die Klage ab!
Tatsächliche Nutzung stört nicht mehr als vorgesehene Nutzung
Wenngleich ein Unterlassungsanspruch bei von der Teilungserklärung abweichenden Nutzung grundsätzlich besteht, gilt dies jedoch nicht, wenn die tatsächliche Nutzung bei typisierender Betrachtung nicht mehr stört, als die erlaubte Nutzung.
Privilegierung von Kinderlärm nach § 22 BImSchG
Bei der Beurteilung dieser Frage ist die Regelung des § 22 Absatz 1a Satz 1 BImSchG von besonderer Bedeutung, so der BGH. Hiernach sind Geräuscheinwirkungen, die von Kindertageseinrichtungen, Spielplätzen und ähnlichen Einrichtungen nach dem klaren Wortlaut im Regelfall nicht als schädliche Umwelteinwirkung zu sehen, so der BGH.
Nutzung kann ausgeschlossen werden
Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Nutzung einer Teileigentumseinheit als Kindereinrichtung ausdrücklich oder konkludent ausgeschlossen ist, so der BGH. Ein solcher ausdrücklicher Ausschluss liegt hier nicht vor.
Konkludenter Ausschluss der Nutzung als KITA bei besonderem Charakter der WEG-Anlage
Auch konkludent ist der Betrieb einer solchen Einrichtung nicht ausgeschlossen. Dies könnte nach Auffassung des BGH dann der Fall sein, wenn eine Anlage nach der Teilungserklärung zum Beispiel als so genanntes Ärztehaus konzipiert ist. Dann würde die Nutzung einer Einheit als Kindertageseinrichtung dem professionellen Charakter einer solchen Anlage widersprechen, so der BGH.
WEG-Anlage als gemischte Anlage mit Läden und Büros
Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Bei der WEG-Anlage handelt es sich um eine gemischte Anlage, in der neben Wohnungen ausdrücklich auch Büros, Läden und Geschäfte vorgesehen sind. Wendet man nun den Grundsatz der Privilegierung von Kinderlärm in Kindereinrichtungen nach § 22 Absatz 1a Satz 1 BImSchG an, „gehen bei der gebotenen typisierenden Betrachtungsweise die mit dem Betrieb des Eltern-Kind-Zentrums verbundenen Störungen nicht über das hinaus, was bei dem Betrieb eines Ladens regelmäßig zu erwarten ist”. Dies geht aus dem Urteil des BGH hervor.
Weite Auslegung des Begriffs “Kindertageseinrichtung”
Grundsätzlich weist der BGH noch darauf hin, dass der Begriff der Kindertageseinrichtung nach § 22 Absatz 1a Satz 1 BImSchG weit zu fassen ist. Denn nur dann könne das gesetzgeberische Signal für eine kinderfreundliche Gesellschaft umgesetzt werden!
Kein Unterlassungsanspruch
Da aufgrund der grundsätzlichen Privilegierung von Kinderlärm die tatsächliche Nutzung der Räumlichkeiten als Eltern-Kind-Zentrum im Hinblick auf das Störungspotential nicht über die vorgesehene Nutzung als „Laden mit Lager“ hinausgeht, hatten die Kläger keinen Unterlassungsanspruch. Der BGH wies aus diesem Grund die Klage auf Unterlassung des Betreibens der Kindereinrichtung ab.
Hilfsanträge zurückverwiesen
Lediglich die Hilfsanträge der Kläger wurden zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Hier ging es um die Nutzung einer Außenfläche als Abstellfläche für Kinderwagen und Fahrräder, sowie um den Antrag, dass in der Wohnung der Kläger ein Lärmpegel von 52 db nicht überschritten werden soll. Das Berufungsgericht muss hierüber erneut verhandeln und dann entscheiden.
BGH, Urteil vom 13.12.2019 – V ZR 203/18