Mit den Anforderungen an die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit hat sich der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg befasst (5 S 548/18). Der Antragsteller wandte sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine Rückbauverfügung. Begründet wurde die Rückbauverfügung damit, dass das Bauwerk den Festsetzungen des geltenden Bebauungsplans widersprach. Der Kläger beantragte daraufhin, ihm eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans zu gewähren. Damit fand er weder bei der Baubehörde Gehör noch beim Verwaltungsgericht Stuttgart, welches seinen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung (§ 80 Absatz 5 VwGO) zurückwies. Damit wollte sich der Antragsteller aber nicht abfinden und erhob Beschwerde zum VGH BW. Mit Erfolg. Der VGH BW gab dem Antrag statt und hob die erstinstanzliche Entscheidung des Verwaltungsgerichts und zugleich die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit auf. Zwar sei das Vorbringen des Antragstellers, er habe einen Antrag auf Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans zu gewähren, rechtlich nicht erfolgreich. Dem Antrag war aber dennoch zu entsprechen, weil die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit nicht den Anforderungen entsprach. Die Anordnung, die von Gesetzes wegen schriftlich zu begründen ist, befasste sich mit einem ganz anderen Sachverhalt, nämlich einer Nutzungsuntersagung. Hier ging es aber um eine Rückbauverfügung. Dass der Antragsteller dieses rechtliche Argument nicht in der Beschwerde vorgebracht hat, so der VGH BW, sei hier unschädlich, denn es handele sich um einen offenkundigen Fehler, der ausnahmsweise abweichend von § 146 VwGO auch dann beachtet werden kann, wenn er nicht geltend gemacht wird.
Hintergrund: Die Entscheidung ist verfahrensrechtlich interessant. § 146 Absatz 4 Satz 6 VwGO bestimmt, dass das Beschwerdegericht vom Antragsteller nicht vorgebrachte Gründe nicht zu berücksichtigen hat. Oberverwaltungsgerichte machen von dieser „Arbeitserleichterung“ gern Gebrauch, indem sie Beschwerden bereits deshalb zurückweisen, weil sie dem Begründungserfordernis nicht entsprechen. Beschwerdeführer haben in solchen Fällen hinzunehmen, dass sie trotzdem sie materiell-rechtlich im Recht sind, kein Recht bekommen. Selten sind Entscheidungen, in denen trotz unzureichender Begründung eine Beschwerde erfolgreich ist. So entschied der VGH BW hier. Dass der Rechtswidrigkeitsgrund der mangelhaften Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit in der Beschwerdebegründung nicht thematisiert worden sei, sei irrelevant, da es sich um einen offenkundigen Mangel handele. Die Berücksichtigung sei im Sinne der Verfahrensökonomie, weil gegebenenfalls weitere Verfahren vermieden werden. Mit guten Gründen kann nun – zumindest beim VGH BW – verlangt werden, dass die strengen Darlegungs- und Begründungsanforderungen im Beschwerdeverfahren gemäß § 146 VwGO nicht für offensichtliche Rechtswidrigkeitsmängel gelten. Was „offensichtlich“ ist, ist eine Frage des Einzelfalls.
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.06.2018 – 5 S 548/18