Stürzt ein Fußgänger auf einem unebenen Gehweg aufgrund von herausragenden Gehwegplatten, sind für die Frage, ob eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht vorliegt, die Umstände des jeweiligen Einzelfalls entscheidend. Zu den konkreten Umständen des Einzelfalles gehören insbesondere die Art und Beschaffenheit der Unebenheit, die Lage, die örtliche Gegebenheit und die jeweilige Ortskenntnis des Verunfallten. Die pauschale Bestimmung einer Verkehrspflichtverletzung anhand des Maßes des Herausragens einer Gehwegplatte genügt nicht. Eine solche Entscheidung traf das Amtsgericht Offenbach (AG Offenbach) in seinem Urteil vom 01.03.2018 (33 C 226/17).
Der Fall:
Der Kläger war am späten Abend als Fußgänger auf einem Gehweg unterwegs. Aufgrund einer hochstehenden Gehwegplatte stürzte er und zog sich Schürfwunden am rechten Unterarm, am Ellenbogen und Kniegelenk sowie an der rechten Großzehe zu. Der Kläger behauptet, die Gehwegplatte, über die er gestürzt ist, stand zum Umfallzeitpunkt ca. 4-5 cm hoch. Dies sei für den Kläger nicht erkennbar gewesen, so dass er darüber stürzte. Er verlangt von der Beklagten, die als Stadt für die Instandhaltung und die Verkehrssicherheit des Gehweges zuständig ist, Schmerzensgeld in Höhe von 1.500,- €, Taxigeld für die nach dem Sturz durchgeführte Taxifahrt nach Hause sowie die Erstattung der vorgerichtlichen Anwaltskosten. Die Beklagte bestreitet in dem Verfahren das vom Kläger behauptete Herausragen der Gehwegplatte von 5 cm. Zudem sei dem Kläger als Anwohner der Zustand des Gehweges bekannt, wobei der Zustand des Gehweges insgesamt als ausreichend und verkehrssicher anzusehen sei. Das AG Offenbach hatte darüber zu entscheiden, ob die Beklagte ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt hat und dem Kläger ein Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadensersatz zusteht.
Die Entscheidung:
Das AG Offenbach wies die Klage ab. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadensersatz gegen die Beklagte zu, so das AG Offenbach. Insbesondere kann nach Auffassung des AG Offenbach der Beklagten eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht nicht vorgeworfen werden. Vielmehr habe sich durch den Sturz des Klägers das allgemeine Lebensrisiko verwirklicht.
Das AG Offenbach ging zwar nach Durchführung der Beweisaufnahme davon aus, dass der Sturz des Klägers auf eine hochstehende Gehwegplatte zurückzuführen war. Dass die Gehwegplatte, wie vom Kläger behauptet, tatsächlich 4 cm hoch stand, konnte das AG Offenbach nach Inaugenscheinnahme des Gehwegs nicht feststellen. Unabhängig davon, wie hoch die Gehwegplatte tatsächlich herausragte, sind für die Entscheidung, ob eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht vorliegt, die Gesamtumstände des Einzelfalls zu bewerten. So schließt sich das AG Offenbach der Auffassung des Bundesgerichtshofs (BGH) an, „dass ein für sich allein betrachteter unerheblicher Höhenunterschied durch das kumulative Zusammenwirken mit weiteren Umständen von Bedeutung werden kann und eine vom Verkehrssicherungspflichtigen zu beseitigende Gefahr für die Verkehrsteilnehmer begründen kann“ (BGH, Urteil vom 27.10.1966 – III ZR 132/65). Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung des BGH muss ein Fußgänger grundsätzlich mit kleinen Unebenheiten auf Fußgängerwegen rechnen. Der Umfang der für die Instandhaltung des Gehweges der Beklagten obliegenden Verkehrssicherungspflicht bestimmt sich danach, was ein vernünftiger Benutzer an Sicherheit erwarten darf, so das AG Offenbach. Eine Bagatellgrenze im Hinblick auf das Maß des Höhenunterschiedes bei Gehwegplatten lässt sich nach Auffassung des AG Offenbach nicht ziehen. Auch wenn in der Rechtsprechung vertreten wird, dass Höhenunterschiede von 2 cm von Fußgängern hinzunehmen sind und im innerstädtischen Bereich bei einem Höhenunterschied von 3 cm von einem verkehrswidrigen Zustand auszugehen ist, sind die weiteren Umstände des Einzelfalls für die Beurteilung heranzuziehen, so das AG Offenbach. So sind neben der Höhe und der Ausgestaltung der Unebenheit die konkreten Umstände der Unfallörtlichkeit, die Lage, die Verkehrsdichte, die Ablenkung der Nutzer und die Lichtverhältnisse heranzuziehen. Wenn Gefahren bestehen, die auch für einen sorgfältigen Benutzer nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind und auf welche er sich nicht oder nicht rechtzeitig einstellen konnte, ist ein Tätigwerden des Verkehrssicherungspflichtigen geboten, so das AG Offenbach.
Das AG Offenbach kommt nach Beurteilung der Gesamtumstände des Einzelfalls zu dem Ergebnis, dass die Beklagte ihrer Verkehrssicherungspflicht ausreichend nachgekommen ist. Zunächst steht für das AG Offenbach nach Durchführung der Beweisaufnahme fest, dass die Beklagte ihrer Überwachungspflicht durch regelmäßige und engmaschige Kontrollen hinreichend nachgekommen ist. So ist die Kontrolle des Gehweges durch Mitarbeiter der Beklagten monatlich erfolgt und hat zuletzt keine neuen Beschädigungen ergeben. Tatsächlich befand sich der Gehweg in einem desolaten Zustand. Jedoch kann die Gefahrenstelle „von jedem durchschnittlich sorgfältigen Fußgänger bereits bei flüchtigen Hinsehen und auch bei Dunkelheit im Licht der Straßenlaternen ohne weiteres sofort bemerkt werden“, so das AG Offenbach. Die Straßenlaternen am Unfallort befinden sich in unmittelbarer Nähe im Abstand von ca. 5-6 Metern. Am Unfallort ist nach Auffassung des AG Offenbach von einer überdurchschnittlich guten Beleuchtungssituation auszugehen. Aus diesem Grund war die Beklagte nicht verpflichtet, auf den Zustand des Gehweges gesondert hinzuweisen, so das AG Offenbach.
Darüber hinaus weist das AG Offenbach darauf hin, dass eine Haftung des Verkehrssicherungspflichtigen dann ausscheide ,“wenn derjenige, der an einer Plattenkante zu Fall gekommen ist, aufgrund des konkreten Zustandes des Weges die Gefahr ohne weiteres hätte erkennen können“. Insbesondere könne der durchschnittlich vernünftige Fußgänger nicht ernsthaft darauf vertrauen, „dass ein erkennbar vom Idealzustand abweichender Gehweg in jeder Beziehung sicher ist“, so das AG Offenbach. Für den Kläger war aufgrund der bestehenden Unebenheiten eine erhöhte Stolpergefahr sofort erkennbar, hierauf weist das AG Offenbach in seinem Urteil hin. Hinzu kommt, dass der Kläger bereits in der Vergangenheit nach eigener Aussage den Gehweg und insbesondere die Unfallstelle oft begangen ist, um zu seinem Wohnhaus zu gelangen, dies ohne dabei zu Fall zu kommen. Die Sturzstelle kann daher grundsätzlich vom Kläger gemeistert werden, so das AG Offenbach. Der Kläger war daher nach Auffassung des AG Offenbach gehalten, auf den Zustand des Weges selbst zu achten. Da ihm zudem der Zustand des Weges bekannt war, konnte und musste man von ihm eine erhöhte Aufmerksamkeit erwarten, so das AG Offenbach.
Das AG Offenbach kommt zu dem Ergebnis, dass das Sturzgeschehen des Klägers die Realisierung der allgemeinen Lebensgefahr darstellt. Ein Entschädigungsanspruch steht dem Kläger daher nicht zu, so das AG Offenbach.
Da dem Kläger ein Entschädigungsanspruch nicht zusteht, wies das AG Offenbach mit seinem Urteil vom 01.03.2018 die Klage auf Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz ab.
AG Offenbach, Urt. vom 01.03.2018 – 33 C 226/17