Datenschützer hatten schon vor Wirksamwerden der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO – 25.05.2018) Entwarnung gegeben: Eine Abmahnwelle werde es nicht geben. Diese Gelassenheit hat bei Beobachtern zu Kopfschütteln geführt, denn klar ist, dass zahlreiche Vorgaben wettbewerbsrelevant sind und sich damit prinzipiell für Abmahnungen eignen. Selbstverständlich können sich Konkurrenten untereinander kostenpflichtig abmahnen, wenn jemand sich nicht an die Regeln hält. Dass daraus ein unangenehmes Geschäftsmodell werden kann, war vorhersehbar.
Bundesjustizministerin Barley schien den Ernst der Lage zu erkennen, indem sie einen Tag vor dem 25.05.2018 erklärte, gegen Abmahner vorgehen zu wollen (Spiegel Online, 24.05.2018). Wie sie das tun möchte, blieb indessen ihr Geheimnis. Dabei hätte der Gesetzgeber durchaus Möglichkeiten gehabt, die strengen Wettbewerbsregeln für den Datenschutz zu lockern. So hätte festgelegt werden können, dass im Falle einer erstmaligen Abmahnung kein Kostensersatz verlangt werden kann. Professionellen Abmahnern hätte damit der Wind aus den Segeln genommen werden können. Geschehen ist dergleichen aber nicht. Aus rechtlicher Sicht ist die Ankündigung Barleys, gegen Abmahner vorgehen zu wollen, völlig wertlos, denn sie hat gar nicht die Macht, Abmahnungen zu verhindern oder unseriösen Abmahnern das Handwerk zu legen. Die Ministerin hat sich nämlich – so wie jeder – an die Gesetze zu halten. Sie ist deshalb auf die Anwendung der Gesetze beschränkt, und diese lassen Abmahnungen nun einmal zu.
Vorsprung durch Rechtsbruch
Die Nichteinhaltung von Datenschutz-Vorgaben nach der DSGVO kann dann wettbewerbsrelevant sein, wenn die Nichtbefolgung im Vergleich zu anderen Marktteilnehmern einen Vorteil bewirken kann. Rechtlich bezeichnet man das als “Vorsprung durch Rechtsbruch”. Wer beispielsweise Preise unzureichend ausweist, indem er Preisbestandteile weglässt oder nicht ordnungsgemäß ausweist, verstößt gegen das Gesetz und erlangt einen Vorteil, denn seine niedrigeren Preise locken mehr Kunden an. Konkurrenten können deshalb abmahnen. Der abmahnende Konkurrent erhält den Aufwand erstattet. Da der Aufwand im Wesentlichen aus Anwaltskosten besteht, handelt es sich um ein Geschäftsmodell der Anwälte.
DSGVO-Vorgaben wettberwerbsrelevant?
Unter den zahlreichen Vorgaben der DSGVO und des BDSG 2018 finden sich zahlreiche wettbewerbsrechtlich relevante Maßgaben. Wer beispielsweise nicht ordnungsgemäß über die Rechte von Betroffenen aufklärt, minimiert das Risiko, dass Betroffene ihre Rechte geltend machen. Gegenüber Konkurrenten stellt das einen Vorteil dar, da jemand, der ordnungsgemäß über Rechte aufklärt, öfter mit der Ausübung von Rechten konfrontiert wird. Gleiches gilt für die Angaben zum Verantwortlichen und zum Datenschutzbeauftragten. Auch die Vollständigkeit und Richtigkeit der Datenschutzerklärung sowie die Einbindung der Cookie-Hinweise können Ansatzpunkte für Abmahnungen sein.
Erste Fälle DSGVO-Abmahnungen
Erwartungsgemäß befassen sich erste DSGVO-Abmahnungen mit klaren Fällen: So wurden Abmahnungen bekannt, die das Fehlen von Datenschutzerklärungen zum Gegenstand hatten, die das Verwenden von Google-Fonts, eine fehlerhafte Anwendung von Google-Analytics oder die Einbindung rechtswidriger Plugins beanstandeten. Mit Spannung dürfen nun erste Entscheidungen von Gerichten abgewartet werden, die darüber zu befinden haben, ob die Maßgaben wettbewerbsrelevant sind. Eine gewisse Hürde stellt dabei das notwendige Wettbewerbsverhältnis dar, denn erforderlich ist stets, dass der Abmahner mit dem Abgemahnten in einem Konkurrenzverhältnis steht. Es ist deshalb damit zu rechnen, dass einige Fälle bereits daran scheitern. Die Vielzahl der Fälle wird das aber nicht betreffen, denn praktisch läuft es so, dass Abmahn-Anwälte sich die passenden Konkurrenten “aussuchen”. Dabei handelt es sich oft um Unternehmen, die mehr schlecht als recht am Markt tätig sind – manchmal drängt sich der Verdacht auf, dass es diese Unternehmen nur gibt, um sie zum Abmahnen vorzuschieben. Nachweisen lässt sich ein solcher Rechtsmissbrauch nur selten. Und wer auf Hilfe von Frau BJMin Barley hofft, wird enttäuscht werden, denn genauso wenig wie sie das UWG abschaffen kann, darf sie den Gerichten vorschreiben, dass DSGVO-Abmahnungen als rechtsmissbräuchlich anzusehen sind.
Vorboten der Abmahn-Welle oder Panikmache?
Die zaghaften Anfänge können der Anfang einer Abmahn-Welle sein, die Deutschland noch nicht erlebt hat. Wer das als Panikmache abtut, wird erleben, dass Gerichte die wettbewerbsrechtliche Relevanz einzelner DSGVO-Maßgaben immer weiter ausdifferenzieren werden – und damit liefern sie den Abmahnern die Anleitung dafür, wie sie personell, logistisch und vor allem mit welchen “Mandanten” aufgestellt sein sollten, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Die frühzeitige Entwarnung vieler Datenschützer mag für diejenigen, die von teuren Abmahnungen betroffen sind, wie blanker Hohn erscheinen. Immerhin gab es genug Warnungen vor einer Abmahn-Welle. Dass Datenschützer in gewisser Weise der Wirklichkeit entrückt sind, ist auch kein Geheimnis. Wer sich beruhigen lassen hat, ist also selbst schuld.
Kosten einer DSGVO-Abmahnung
Betroffene müssen die Kosten einer berechtigten DSGVO-Abmahnung tragen. Diese werden anhand des Streitwerts berechnet. Die ersten unter Geltung der DSGVO bekannt gewordenen Abmahnungen legten Streitwerte zwischen 2.500 und 7.500 Euro zugrunde. Für Betroffene fallen dann folgende Kosten an:
- 837,76 Euro, bei einem Streitwert von 7.500 Euro (1,5 Geschäftsgebühr gemäß Nummer 2300 VV RVG zzgl. Postauslagen).
- 382,59 Euro, bei einem Streitwert von 2.500 Euro (1,5 Geschäftsgebühr gemäß Nummer 2300 VV RVG zzgl. Postauslagen).
Teurer wird es, wenn der Fall zu Gericht geht. Dann riskieren Betroffene, wenn jeweils zwei Anwälte befasst sind, Kosten zwischen 1.388,16 Euro (bei einem Streitwert von 2.500 Euro) und 2.962,82 Euro (bei einem Streitwert von 7.500 Euro). Je nach Verstoß und wirtschaftlicher Bedeutung können die Streitwerte sowohl nach unten als auch nach oben erheblich abweichen.
Die “Musik” wird daher nicht von den Aufsichtsbehörden kommen, die mit Bußgeldrahmen von 10.000.000 bis 20.000.000 Euro eine große Keule schwingen, sondern von Abmahnern. Immerhin wird es deren Verdienst sein, einige der schwammigen Vorschriften der DSGVO mit Leben zu füllen.
Die Schelte von politischer Seite darf den Abmahnern herzlich egal sein. Denn das Geschäftsmodell wird dadurch nicht gefährdet. Dass die Abmahner nun die Bösen sein sollen, hinterlässt einen verwirrenden Eindruck, denn die Abmahner halten sich an das Recht, indem sie es anwenden und – zugegebenermaßen – ausnutzen. Bei Lichte betrachtet sollte sich die Kritik vielmehr gegen die Politik wenden, die es versäumt hat, den Abmahnern etwas entgegen zu setzen. Unrealistische Ankündigungen reichen nicht. Im Gegenteil: Barley, die selbst Juristin ist, sollte wissen, dass es nicht in ihrer Macht liegt, wirksam etwas gegen Abmahner zu tun. Abmahnungen können nicht per Ministererlass verboten werden. Erforderlich wäre eine Änderung des Gesetzes, die Abmahnungen zumindest wirtschaftlich uninteressanter macht.