Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter beim Verwaltungsgericht

Bei Klagen vor dem Verwaltungsgericht erhalten sowohl der Kläger als auch der Beklagte die Möglichkeit, sich zu der Übertragung des Rechtsstreits auf einen Einzelrichter zu äußern. Regelmäßig setzen die Verwaltungsgerichte hierfür eine Frist. Gesetzlich vorgesehen ist, dass die Kammer den Rechtsstreit auf eines ihrer Mitglieder als Einzelrichter übertragen „soll“ (§ 6 Absatz 1 Satz 1 VwGO), wenn die Sache weder tatsächlich noch rechtlich schwierig ist und keine grundsätzliche Bedeutung hat. Sofern auch nur eine dieser Voraussetzungen zu bejahen ist, scheidet die Übertragung auf den Einzelrichter aus und die Kammer hat das Verfahren in der gesetzlichen Besetzung zu führen. Aus der Formulierung der Vorschrift ergibt sich, dass die Übertragung auf den Einzelrichter der Regelfall sein soll.

Darf die Aufforderung zur Stellungnahme ignoriert werden?

Sofern sich eine Partei nicht fristgerecht oder gar nicht zu der Übertragung auf einen Einzelrichter äußert, bleibt das rechtlich folgenlos. Von der Formulierung des gerichtlichen Schreibens hängt es allerdings ab, ob es höflich ist, sich zu der Anfrage zu äußern. Wem die Übertragung auf den Einzelrichter egal ist, kann die Anfrage ohne weiteres ignorieren, wenn das Gericht die Anfrage lediglich „mit der Möglichkeit der Äußerung“ übermittelt hat. Der Übertragung hat nämlich stets eine Anhörung der Beteiligten vorauszugehen. Da es sich dabei um eine gesetzlich vorgesehene Formalie handelt, gibt es keine Pflicht, sich zu äußern. Manchmal formulieren Gerichte die Anfrage zur Stellungnahme zur Übertragung auf den Einzelrichter aber auch als Aufforderung zur Äußerung. Daraus ist zu entnehmen, dass das Gericht eine Stellungnahme erwartet. Zwar bleibt ein Ignorieren der Aufforderung auch hier rechtlich folgenlos. Es ist aber eine Frage des guten Tons, dass einer gerichtlichen Aufforderung Folge geleistet wird.

Vage Anforderungen an „keine besonderen Schwierigkeiten“ und „grundsätzliche Bedeutung“

Das Gericht hat eine Ermessensentscheidung zu treffen, die indessen durch das Gesetz gewissermaßen vorbestimmt ist („soll“ … übertragen). Ob eine Sache nicht „schwierig“ ist, hängt von den Umständen des Falles ab. In der Rechtsprechung wird davon ausgegangen, dass eine Sache dann keine besonderen Schwierigkeiten aufweist (§ 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 VwGO), wenn sie in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht höchstens durchschnittlich ist. Tatsächliche Schwierigkeiten können aufgrund eines komplexen Sachverhalts und der Notwendigkeit einer umfassenden Beweisaufnahme anzunehmen sein. Regelmäßig genügt aber allein das Erfordernis einer umfassenden Beweisaufnahme nicht, um die Sache als schwierig anzusehen. In rechtlicher Hinsicht kommt es außerdem auf die Erfahrungen und Kenntnisse des Richters an: wenn dieser in dem jeweiligen Rechtsgebiet besonders viele Verfahren durchgeführt hat, ist für ihn die Sache meistens nicht „schwierig“. Gelangt das Gericht zu der Überzeugung, dass es sich nicht um eine schwierige Sache handelt, haben die Parteien dagegen praktisch keine Handhabe, denn dem Gericht wird bei der Frage der Schwierigkeit eine so genannte Einschätzungsprärogative zugebilligt, sodass die Übertragung auf den Einzelrichter praktisch nur auf grobe Fehler überprüfbar wäre. Für die Parteien ist das aber meistens nicht relevant, da gegen die Übertragung auf den Einzelrichter ohnehin keine Rechtsmittel gegeben sind. Allenfalls eine verfahrensfehlerhafte (z. B. unterbliebene Anhörung) oder eine krass fehlerhafte Übertragung könnten als Verfahrensmangel gerügt werden (Art. 101 Absatz 1 Satz 2 GG).

Die Übertragung auf den Einzelrichter setzt außerdem voraus, dass die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat (§ 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 VwGO). Grundsätzliche Bedeutung kann bei sozialen, politischen oder wirtschaftlichen Auswirkungen der Entscheidung anzunehmen sein oder wenn eine Abweichung von der Rechtsprechung anderer Verwaltungsgerichte oder Oberverwaltungsgerichte diskutiert wird oder wenn zu einer Rechtsfrage noch keine gefestigte Rechtsprechung existiert.

Fazit

Meistens wird eine Stellungnahme zur Frage der Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter das Gericht nicht von der Übertragung abhalten. Allerdings gibt es zahlreiche Zweifelsfälle, bei denen das Verwaltungsgericht durchaus in die eine oder andere Richtung beeinflusst werden kann. In der Praxis spielen die Fälle der grundsätzlichen Bedeutung (§ 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 VwGO) nur eine untergeordnete Rolle. Meistens wird die Übertragung auf den Einzelrichter anhand der Schwierigkeit (§ 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 VwGO) entschieden, zumal Fälle grundsätzlicher Bedeutung oft auch besondere Schwierigkeiten aufweisen. Bei einer Stellungnahme sollte daher der Schwerpunkt auf die Schwierigkeit gelegt werden. Sofern es sich um einen „Allerweltsfall“ handelt, hindert das allein das Vorliegen einer besonderen Schwierigkeit noch nicht. Allerdings sollte, wenn eine Übertragung auf den Einzelrichter nicht gewünscht ist, in solchen Fällen herausgestellt werden, welche Besonderheiten des Einzelfalls eine rechtlich gänzlich andere Beurteilung rechtfertigen.

Zur Frage, ob ein Einzelrichter die Berufung zulassen darf: Zulassung der Berufung durch Einzelrichter am Verwaltungsgericht

2 Gedanken zu „Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter beim Verwaltungsgericht“

  1. Es gibt im Internet Aussagen, dass ein Einzelrichter keine Berufung im Verwaltungsrecht zulassen kann. Ist jedoch nicht weiter begründet. Könnten Sie den Artikel bitte um diese Info ergänzen?
    Sozusagen: Möglichen Einfluss des Einzelrichters auf den weiteren Prozessverlauf.

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