Diesel-Betriebsuntersagung wegen Nichtteilnahme an Rückruf (VG Sigmaringen, Beschl. v. 04.04.2018 – 5 K 1476/18)

Der Halter eines vom so genannten Abgasskandal betroffenen Dieselfahrzeuges kann die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs beantragen, wenn ihm gegenüber eine sofort vollziehbare, aber ermessensfehlerhafte Betriebsuntersagung ausgesprochen wurde. Die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit einer Betriebsuntersagung ist rechtswidrig, wenn diese nicht ausreichend schriftlich begründet wurde. Diese Entscheidung traf das Verwaltungsgericht Sigmaringen (VG Sigmaringen) mit seinem Beschluss vom 04.04.2018 (5 K 1476/18).

Der Fall:

Der Antragsteller ist Halter eines vom so genannten Dieselskandal betroffenen Dieselfahrzeugs, welches mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Bezug auf den Schadstoffausstoß ausgestattet ist. Trotz Anordnung des Kraftfahrt-Bundesamtes, bei den betroffenen Fahrzeugen die unzulässige Abschalteinrichtung zu entfernen, nahm der Antragsteller nicht innerhalb der Frist an der Rückrufaktion zur Umrüstung seines Fahrzeuges teil. Nachdem das Kraftfahrt-Bundesamt das für den Antragsteller zuständige Landratsamt über die Fahrzeuge, die nicht an der Rückrufaktion teilgenommen haben, informiert hatte, wurde er von diesem aufgefordert, den Mangel innerhalb einer bestimmten Frist zu beseitigen bzw. beseitigen zu lassen. Gleichzeit teilte das Landratsamt mit, dass es den Betrieb des Fahrzeugs gemäß § 5 Absatz 1, 2 FZV untersagen und das Fahrzeug zwangsweise außer Betrieb setzen werde, wenn der Antragsteller die Frist nicht einhalte. Der Antragsteller reagierte nicht. Daraufhin untersagte das Landratsamt dem Antragsteller den Betrieb des Fahrzeugs im öffentlichen Verkehr ab einem bestimmten Datum, wenn der Antragsteller nicht bis dahin die Mangelbeseitigung nachweise. Zugleich wurde dem Antragsteller aufgegeben, nach fruchtlosem Fristablauf die Zulassung abzugeben und die Kennzeichen zur Entstempelung vorzulegen. Zur Begründung der Betriebsuntersagung hieß es, der Antragsteller habe nicht an der erforderlichen Rückrufaktion teilgenommen. „Art und Umfang des Mangels stellen eine erhebliche Gefährdung beim Betrieb des Fahrzeugs auf öffentlichen Straßen für die Sicherheit und Gesundheit von Personen dar“, so die Begründung der Betriebsuntersagung. Darüber hinaus ordnete das Landratsamt den sofortigen Vollzug an. In der Begründung zum Sofortvollzug heißt es: „es bestehe ein besonderes öffentliches Interesse daran, dass nicht vorschriftsmäßige Fahrzeuge zum Schutz der anderen Verkehrsteilnehmer vom Betrieb im öffentlichen Straßenverkehr ausgeschlossen würden. Dieses öffentliche Interesse überwiege das private Interesse des Antragstellers, bis zur Bestandskraft dieser Entscheidung mit seinem Fahrzeug am öffentlichen Straßenverkehr teilzunehmen.“

Der Antragsteller legte hiergegen Widerspruch ein und beantragte im Eilrechtsschutz vor dem VG Sigmaringen die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs anzuordnen bzw. wiederherzustellen. Er begründete dies unter anderem damit, dass für ihn die Beseitigung der Abschalteinrichtung unzumutbar sei, da er damit wichtige Beweismittel für einen späteren Rechtsstreit mit dem Hersteller zerstören würde. Über den Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung des vom Antragsteller eingelegten Widerspruchs hatte das VG Sigmaringen zu entscheiden.

Die Entscheidung:

Das VG Sigmaringen entschied in seinem Beschluss vom 04.04.2018, dass der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs anzuordnen bzw. wiederherzustellen, zulässig und begründet ist.

Zum einen geht das VG Sigmaringen davon aus, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der Betriebsuntersagung bereits formell rechtswidrig ist, da sie von der Antragsgegnerin nicht ausreichend schriftlich begründet wurde (§ 80 Absatz 3 Satz 1 VwGO). Die Antragsgegnerin war gemäß § 80 Absatz 3 Satz 1 i.V.m. § 80 Absatz 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO verpflichtet, das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung Ihres Bescheides schriftlich zu begründen. Hintergrund der gesetzlich auferlegten Begründungspflicht ist unter anderem, dass der Betroffene die Entscheidungsgründe nachvollziehen und für sich die Erfolgsausichten eines etwaigen Rechtsmittels abschätzen kann, so das VG Sigmaringen. Auch eine ordnungsgemäße Überprüfung durch das Verwaltungsgericht lässt sich nur durch eine ausreichende Begründung der Sofortvollzugsanordnung durchführen, da diese die behördlichen Erwägungen offen legt. Auf die inhaltliche Richtigkeit der Begründung kommt es nicht an, so das VG Sigmaringen. Die Behörde muss jedoch nachvollziehbar begründen, „dass und aus welchen besonderen Gründen die Behörde im konkreten Fall dem besonderen öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes Vorrang vor dem Aufschubinteresse des Betroffenen einräumt“, so das VG Sigmaringen. Eine pauschale und formelhafte Begründung genügt nicht (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 24.06.2002 – 10 S 985/02, VBlBW 2002, 441). Nach Auffassung des VG Sigmaringen genügte die Begründung der Sofortvollzugsanordnung nicht den gesetzlichen Anforderungen. Die Antragsgegnerin hat pauschal das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung damit begründet, dass nicht vorschriftsmäßige Fahrzeuge „zum Schutz der anderen Verkehrsteilnehmer“ vom Betrieb im öffentlichen Straßenverkehr ausgeschlossen werden müssten. Dies könnte nach Auffassung des VG Sigmaringen formal ausreichend sein, wenn es sich um eklatante Sicherheitsmängel am Fahrzeug handelt und von diesem eine erhebliche Gefahr ausgeht. Dies ist jedoch bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug nicht der Fall. Die Antragsgegnerin hat weder in ihrem Bescheid noch in diesem Rechtsstreit vorgetragen, dass das Fahrzeug mit der unzulässigen Abschalteinrichtung überhaupt die Verkehrssicherheit beeinträchtigt. Auch die Beeinträchtigung der Umwelt bzw. eine Umweltgefahr ist von der Antragsgegnerin in ihrer Begründung nicht dargelegt worden. Das VG Sigmaringen geht daher davon aus, dass die pauschale Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht ausreichend war. Hieraus ergibt sich nach Auffassung des VG Sigmaringen die formelle Rechtswidrigkeit der Sofortvollzugsanordnung.

Zum anderen hat der Antragsteller nach der Entscheidung des VG Sigmaringen auch einen Anspruch auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs. Einen solchen Anspruch kann der Antragsteller trotz Aufhebung der Sofortvollzugsanordnung geltend machen, da die Antragsgegnerin eine weitere Sofortvollzugsanordnung mit ordnungsgemäßer Begründung verfassen könnte. Der Anspruch auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs ist dann gegeben, wenn das private Interesse an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs das öffentliche Interesse am Sofortvollzug überwiegt. Ergibt eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage im Eilrechtsverfahren, dass der Bescheid offensichtlich rechtswidrig ist, ist ein überwiegendes Interesse des Antragstellers gegenüber dem Sofortvollzugsinteresse anzunehmen. Das VG Sigmaringen geht nach summarischer Prüfung davon aus, dass die Betriebsuntersagung ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig ist. Die Betriebsuntersagung nach § 5 Absatz 1 FZV liegt im Ermessen der zuständigen Behörde, falls sich ein Fahrzeug als nicht vorschriftsmäßig nach der FZV erweist. Bei einer Ermessensentscheidung kann das Gericht die Entscheidung der Behörde nur auf Ermessensfehler hin überprüfen. Im vorliegenden Fall hat nach Auffassung des VG Sigmaringen die Antragstellerin in ihrer Begründung der Betriebsuntersagung lediglich pauschal auf die „Sicherheit und Gesundheit von Personen“ abgestellt. Gar keine Erwähnung finden Umweltgesichtspunkte oder die Luftreinhaltung. Die Antragstellerin ging damit ausweislich der in der Begründung angegebenen Erwägungen von einem unzutreffenden Sachverhalt aus. Das VG Sigmaringen weist darauf hin, dass vom Fahrzeug des Antragstellers keine unmittelbaren Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer ausgehen. Auf die Gefahren für die Umwelt und die Belange der Luftreinhaltung ist die Antragsgegnerin gar nicht eingegangen. Dies wäre aber nach Auffassung des VG Sigmaringen erforderlich gewesen. Insbesondere hätte die Antragsgegnerin darlegen müssen, „inwieweit die individuelle Inanspruchnahme von einzelnen Betroffenen einen relevanten Beitrag zur -fraglos zu bewirkenden– Luftreinhaltung zu tragen vermag.“ Diesbezüglich hat die Antragstellerin in ihrer Begründung keine Angaben gemacht. Das VG Sigmaringen geht daher davon aus, dass die Antragsgegnerin in ihrer Ermessensentscheidung von einem falschen Sachverhalt ausgegangen ist. Damit ergibt die vorgenommene summarische Überprüfung, dass die Entscheidung der Antragsgegnerin zur Betriebsuntersagung ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig gewesen ist. Die Anfechtung des Bescheides im Hauptsacheverfahren hätte damit voraussichtlich Erfolg. Hieraus folgt, dass das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs das öffentliche Interesse am Sofortvollzug der Betriebsuntersagung überwiegt. Die vom Antragsteller vorgetragenen Bedenken in Bezug auf eine mögliche Beweisvereitelung durch das Entfernen der Abschalteinrichtung im Hinblick auf einen privatrechtlichen Rechtsstreit waren für die Entscheidung des VG Sigmaringen nicht von Bedeutung. Es erfolgte lediglich der Hinweis, dass der Antragsteller ohne weiteres im Vorfeld, etwa in einem selbstständigen Beweisverfahren, Beweise hätte sichern können. Zudem handele es sich um eine Entscheidung im Bereich der Gefahrenabwehr, auf die eine möglicherweise privatrechtliche Auseinandersetzung hier keinen Einfluss hat.

Das VG Sigmaringen hat die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers mit seinem Beschluss vom 04.04.2018 wiederhergestellt bzw. angeordnet. Der Widerspruch des Antragstellers gegen die Betriebsuntersagung hat damit aufschiebende Wirkung und die Betriebsuntersagung kann von der Antragsgegnerin zunächst nicht vollzogen werden.

Der Streitwert wurde auf 1.250,- € festgesetzt.

VG Sigmaringen, Beschluss vom 04.04.2018 – 5 K 1476/18

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