Kein Widerspruchsrecht des Nachbarn gegen Baugenehmigung nach einem Jahr (OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 13.03.2017 – 8 A 11416/16)

Der Widerspruch eines Nachbarn gegen eine Baugenehmigung ist nach Ablauf von einem Jahr, seit dem er von der Erteilung der Baugenehmigung Kenntnis erlangt hat oder hätte Kenntnis erlangen können, unzulässig. Dies ergibt sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben in Anlehnung an § 70 Absatz 2 VwGO in Verbindung mit § 58 Absatz 2 VwGO, wie das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (OVG Rheinland-Pfalz) in seinem Beschluss vom 13.03.2017 entschieden hat (8 A 11416/16). Das OVG Rheinland-Pfalz bestätigte damit das Urteil vom Verwaltungsgericht Trier (VG Trier), gegen das der Kläger mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung vorgehen wollte. Der Kläger erhob zunächst Anfechtungsklage vor dem VG Trier und begehrte die Aufhebung der zu Gunsten des Beigeladenen erteilten Baugenehmigung zur Errichtung eines Anbaus im Erdgeschoss sowie von Balkonen auf der Rückseite des Nachbarhauses. Das VG Trier wies die Klage ab und begründete die Klagabweisung damit, dass der Kläger sein Widerspruchsrecht verwirkt habe, da er seinen Widerspruch im für eine Anfechtungsklage erforderlichen Vorverfahren erst nach mehr als einem Jahr nachdem er Kenntnis von der Baugenehmigung erlangt hat oder hätte erlangen müssen, eingelegt hat. Nach Auffassung des VG Trier liege hier ein Fall der rechtlichen Verwirkung vor, die in Anlehnung an die Jahresfrist für Rechtsmittel und andere Rechtsbehelfe nach § 58 Absatz 2 VwGO anzunehmen sei. Neben dem Zeitmoment durch den Zeitablauf von mehr als einem Jahr käme hier ein für die Verwirkung erforderliches Umstandsmoment hinzu. Beim Beigeladenen sei durch den Ablauf von fast eineinhalb Jahren Untätigkeit des Klägers in Bezug auf die erteilte Baugenehmigung ein Vertrauen darauf entstanden, dass der Kläger sein Widerspruchsrecht nicht mehr geltend machen würde. Der Einwand des Klägers, er habe von der erteilten Baugenehmigung zunächst keine Kenntnis gehabt, da er das Grundstück nicht selbst bewohne sondern vermiete, ist nach Auffassung des VG Trier unbeachtlich. Spätestens mit Fertigstellung des Rohbaus hätte sich dem Kläger das Vorhandensein einer Baugenehmigung aufdrängen müssen. Etwaige Erkundigungen hierzu hätte der Kläger spätestens ab diesem Zeitpunkt einholen können. Zudem sei der Kläger als Eigentümer verpflichtet, sich hin und wieder über mögliche Bauvorhaben in der Nachbarschaft zu vergewissern, auch wenn er selbst nicht vor Ort wohnt. Mit dem Zeitpunkt, in dem der Kläger von dem Vorliegen einer Baugenehmigung hätte Kenntnis erlangen können, war mehr als ein Jahr vergangen. Das VG Trier nahm daher in Anlehnung der Jahresfrist gemäß §§ 70 Absatz 2, 58 Absatz 2 VwGO und aufgrund des beim Beigeladenen entstandenen Vertrauens wegen der Untätigkeit des Klägers eine Verwirkung des Widerspruchsrechts des Klägers an. Der vom Kläger eingelegte Widerspruch war wegen des verwirkten Widerspruchsrechts unzulässig und ein für die Anfechtungsklage notwendiges Vorverfahren somit nicht durchgeführt worden. Das VG Trier wies aus diesem Grund die Anfechtungsklage des Klägers gegen die zu Gunsten des Beigeladenen erteilte Baugenehmigung ab.

Das OVG Rheinland-Pfalz hatte nun über den Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung zu entscheiden und lehnte diesen Antrag in seinem Beschluss vom 13.03.2017 ab. Es weist in seinem Beschluss darauf hin, dass an der Richtigkeit der Entscheidung des VG Trier keine ernstlichen Zweifel im Sinne von § 124 Absatz 2 Nr. 1 VwGO bestehen. So ist das VG Trier zu Recht davon ausgegangen, dass die Anfechtungsklage aufgrund eines fehlenden ordnungsgemäß durchgeführten Widerspruchsverfahrens abzuweisen war. Das OVG Rheinland-Pfalz weist jedoch in seinem Beschluss auch darauf hin, dass es auf die Frage der rechtlichen Verwirkung des Widerspruchsrechts des Klägers gar nicht ankomme. Insofern sei gar nicht relevant und entscheidungserheblich, ob neben dem Zeitmoment auch ein Umstandsmoment vorliege, insbesondere ob beim Bauherrn ein Vertrauen entstanden sei, infolge dessen er vermögenswirksame Dispositionen vorgenommen habe, z.B. finanzielle Investitionen in das genehmigte Bauvorhaben. Unabhängig von einer möglichen Verwirkung sei nach Auffassung des OVG Rheinland-Pfalz der eingelegte Widerspruch des Klägers allein wegen des Ablaufs der Jahresfrist des § 70 Absatz 2 VwGO in Verbindung mit § 58 Absatz 2 VwGO nach den Grundsätzen von Treu und Glauben unzulässig gewesen. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung tritt die Unzulässigkeit des Widerspruchs allein wegen Fristablaufs als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben neben das Rechtsinstitut der Verwirkung (BVerwG, Urteil vom 16.05.1991, NVwZ 1991, 1182), so das OVG Rheinland-Pfalz. Das Bundesverwaltungsgericht geht in seiner Rechtsprechung von einem nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnis aus und leitet aus dem Grundsatz von Treu und Glauben ab, „dass der Nachbar, dem eine dem Bauherrn erteilte Baugenehmigung nicht bekannt gegeben worden ist, der aber auf andere Weise zuverlässig Kenntnis von der Existenz dieser Baugenehmigung erlangt hat, sich so behandeln lassen muss, als sei ihm die Baugenehmigung im Zeitpunkt der zuverlässigen Kenntniserlangung amtlich bekannt gegeben worden“. Aus dem Grundsatz von Treu und Glauben folgt auch, dass einer Kenntniserlangung auch der Umstand gleich steht, dass der Nachbar das Vorhandensein einer Baugenehmigung hätte kennen müssen, etwa weil sich dies aufdrängt und es ihm zumutbar war, sich hierüber abschließende Kenntnis bei der zuständigen Behörde zu verschaffen, so das OVG Rheinland-Pfalz. In diesem vom OVG Rheinland-Pfalz entschiedenen Rechtsstreit war die Widerspruchsfrist des § 70 Absatz 2 VwGO in Verbindung mit § 58 Absatz 2 VwGO nach den Grundsätzen von Treu und Glauben abgelaufen. So wie das VG Trier bereits zutreffend entschieden hat, war für den Kläger spätestens zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Rohbaus erkennbar, dass für den geplanten Anbau und die Balkonanlage wahrscheinlich eine Baugenehmigung vorliege und er hätte spätestens zu diesem Zeitpunkt Erkundigungen diesbezüglich einholen können, um sich Gewissheit zu verschaffen. Dass der Kläger tatsächlich nicht auf seinem Grundstück wohne, ist nach Auffassung des OVG Rheinland-Pfalz unbeachtlich, da es nicht auf die individuellen Besonderheiten ankomme sondern ein objektiver Maßstab anzulegen ist. Der Nachbar ist bei Ortsabwesenheit gehalten, „Vorkehrungen zu treffen, um die über sein Anwesen betreffenden Angelegenheiten informiert zu sein“, so das OVG Rheinland-Pfalz. Ausgehend von dem Zeitpunkt der Fertigstellung des Rohbaus war die Jahresfrist gemäß § 70 Absatz 2 VwGO in Verbindung mit § 58 Absatz 2 VwGO und den Grundsätzen von Treu und Glauben verstrichen. Der vom Kläger eingelegte Widerspruch war damit unzulässig und die Anfechtungsklage wegen Unzulässigkeit mangels Durchführung eines ordnungsgemäßen Vorverfahrens vom VG Trier zu Recht abgewiesen worden. Das OVG Rheinland-Pfalz wies den Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung daher zurück.

OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 13.03.2017 – 8 A 11416/16

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