Die Veröffentlichung von Filmaufnahmen ist regelmäßig rechtswidrig, wenn diese unter Verstoß gegen Gesetze angefertigt worden sind. Wer beispielsweise in ein Haus einbricht, um dort zu filmen, darf die Aufnahmen regelmäßig nicht verbreiten. Praktisch relevant ist das für Tierschützer, die zur Aufdeckung von Missständen in Ställe eindringen, um dort Videos zu drehen und diese publik zu machen. Über einen solchen Fall hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden:
Der Kläger betreibt landwirtschaftliche Öko-Betriebe und hält Hühner. Im Mai 2012 drang ein Tierschützer in die Hühnerställe der Klägerin ein und machte Videos. Darin waren tote Hühner und Hühner mit unvollständigem Federkleid gezeigt, verpackte Waren, eine umzäunte Auslauffläche und die Innenaufnahme eines Hühnerstalls. Das Videomaterial überließ der Tierschützer der ARD, die unter den Titeln „Biologische Tierhaltung und ihre Schattenseiten“ und „Wie billig kann Bio sein?“ berichtete. Der Kläger forderte Unterlassung und klagte. Sowohl beim Landgericht als auch beim Oberlandesgericht hatte der Kläger Erfolg. Der BGH hob das Urteil auf und wies die Klage ab.
Der BGH stützt die Begründung darauf, dass die Verbreitung der Filmaufnahmen weder das Unternehmenspersönlichkeitsrecht (Art. 19 Absatz 3, Art. 2 Absatz 1 i. V. m. Art. 1 Absatz 1 GG) noch das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (Art. 14 GG) beeinträchtigen. Die Aufnahmen seien zwar geeignet, dem öffentlichen Ansehen und dem wirtschaftlichen Ruf des Klägers zu schaden und sie berühren das Interesse der Geheimhaltung des Klägers. Allerdings – so urteilte der BGH – fehle es an der Rechtswidrigkeit, da das von der Beklagten verfolgte Informationsinteresse der Öffentlichkeit und ihre Recht auf Meinungsfreiheit und Medienfreiheit überwiegen. Das gilt nach Auffassung der Karlsruher Richter trotz des Umstandes, dass die Filmaufnahmen rechtswidrig angefertigt worden sind. Dabei fand der Umstand Berücksichtigung, dass die Beklagte sich nicht an dem Hausfriedensbruch (§ 123 StGB) beteiligt hatte und dass mit den Aufnahmen keine Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse preisgegeben worden sind. Vielmehr informieren die Videoaufnahmen die Zuschauer zutreffend über die existierenden Umstände und die Öffentlichkeit hat ein berechtigtes Informationsinteresse, da es sich bei den Umständen der Tierhaltung um eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage handele. Unwahre Tatsachenbehauptungen seien in den Filmaufnahmen nicht enthalten und der Beitrag setzt sich kritisch mit der Verbraucherinformation und dem der Tierhaltung bei Bio-Erzeugnissen auseinander. Eben dies sei Aufgabe der Medien, deren Aufgabe als „Wachhund der Öffentlichkeit“ nicht auf die Aufdeckung von Straftaten und Rechtsbrüchen beschränkt ist, sondern auch eine Diskrepanz zwischen hohen ethischen Produktionsstandards und tatsächlichen Umständen kritisieren darf.
Hintergrund: Der BGH beschert der Meinungs- und Medienfreiheit einen großen Tag. Denn höchstrichterlich ist nun klargestellt, dass der Zweck die Mittel heiligt. Videoaufnahmen dürfen bei einem hinreichenden Informationsinteresse der Öffentlichkeit auch dann veröffentlicht werden, wenn sie unter Begehung eines Hausfriedensbruchs angefertigt worden sind. Soweit der BGH in der Presseerklärung von der Funktion der „Presse“ berichtet, ist damit Rundfunk und Presse im Sinne von Art. 5 Absatz 1 Satz 2 GG gleichermaßen gemeint, denn in der Funktion für die öffentliche Meinungsbildung unterscheiden sich die Grundrechte der Presse- und Rundfunkfreiheit nicht. Bei den vom Kläger ins Feld geführten Rechtspositionen – dem Unternehmenspersönlichkeitsrecht nach Art. 19 Absatz 3, Art. 2 Absatz 1 i. V. m. Art 1 Absatz 1 GG sowie dem eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb nach Art. 14 GG handelt es sich um so genannte Rahmenrechte im Sinne des § 823 Absatz 1 BGB. Anders als bei anderen absoluten Rechten ist die Rechtswidrigkeit nicht bereits aufgrund einer Verletzung indiziert, sondern diese ist positiv im Rahmen einer Interessenabwägung festzustellen. Der aus § 249 BGB und entsprechend § 1004 BGB herzuleitende Unterlassungsanspruch ist daher nicht gegeben, wenn hinreichend gewichtige Rechtspositionen entgegenstehen. Solche Rechtspositionen erblickt der BGH hier in der Rundfunkfreiheit (Art. 5 Absatz 1 Satz 2 GG), der Meinungs- und Informationsfreiheit (Art. 5 Absatz 1 Satz 1 GG). Anders als durch das OLG und das LG zieht der BGH keine rote Linie, wenn die Videoaufnahmen unter Begehung von Straftaten entstanden sind: Der Tierschützer ist unrechtmäßig in die Räumlichkeiten des Klägers eingedrungen und hat damit einen Hausfriedensbruch verwirklicht (§ 123 StGB). Der BGH hat sich in der Abwägung dennoch gegen den klagenden Landwirt entschieden.
Euphorie löst die Entscheidung aber nicht aus, denn sie lädt militante Tierschützer geradezu zur Begehung von Straftaten ein, um Missstände aufzudecken. In Zukunft wird sich die Rechtsprechung daher verstärkt mit den Grenzen der neuen Medienfreiheit auseinanderzusetzen haben. Dass tote Hühner und Hühner, bei denen teilweise Federn fehlen, den Hausfriedensbruch in medienrechtlicher Hinsicht rechtfertigen, ist nun höchstrichterlich entschieden. Ob das auch dann gilt, wenn „nur“ tote Hühner gefilmt werden, was bei der Massentierhaltung immer vorkommen dürfte, bleibt abzuwarten. Die Auswirkungen der Entscheidung sind kaum zu überblicken, denn was für Bio-Höfe gilt, muss auch für andere Räumlichkeiten mit Missständen gelten, für die ein öffentliches Informationsinteresse besteht, etwa für schlechte Arbeitsbedingungen in einer Fabrik. Das Argument des BGHs, dass die Beklagte gar nicht selbst den Hausfriedensbruch begangen hat, wirkt wie blanker Hohn, denn aus Sicht von Medienunternehmen ist es ein Leichtes, die „Basisarbeit“ durch Andere ausführen zu lassen.
Deshalb markiert die Entscheidung zugleich einen schlechten Tag für die Rechtsordnung insgesamt, denn sie räumt ein, dass Tierschutzgesetze nicht angewendet werden oder wirkungslos sind. Die Entscheidung überspannt deshalb die Rolle der Medien, denn diese können kein Ersatz für Tierschutzgesetze oder ineffiziente Behörden sein.
BGH, Urteil vom 10.04.2018 – VI ZR 396/16
OLG Hamburg, Urteil vom 19.07.2016 – 7 U 11/14
LG Hamburg, Urteil vom 13.12.2013 – 324 O 400/13
Quelle: BGH-Presseerklärung 72/2018 vom 10.04.2018
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