Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat eine für Muslime sehr interessante Entscheidung gefällt, die Konsequenzen für die Rechtsanwendung deutscher Familiengerichte hat. Bislang wendeten deutsche Gerichte in familienrechtlichen Angelegenheiten bei Ausländern das Recht des jeweiligen Herkunftsstaates an (EU Rom-III-Verordnung). Das hatte zur Folge, dass eine in Syrien zustande gekommene Ehe nach dem dort geltenden Sharia-Recht geschieden werden konnte. Dass es dafür ausreicht, wenn der Mann dreimal „ich verstoße dich“ ruft, mag für Außenstehende skurril erscheinen. Für Betroffene ist das aber nicht lustig, denn eine Scheidung wirkt sich nicht bloß auf Unterhaltsansprüche und Krankenversicherungen aus, sondern hat auch Bedeutung für Erbansprüche. Nicht selten kann eine Scheidung sogar existenzielle wirtschaftlich Folgen nach sich ziehen.
Diesen Auswirkungen zum Trotz wurde in der deutschen Rechtsprechung an der Anwendung des Rechts des Herkunftslandes festgehalten. So auch im Fall einer syrischen Klägerin. Diese war mit einem Syrer verheiratet, der die Ehe vor einem geistlichen Gericht in Syrien einseitig für beendet erklärte. Da die Eheleute auch die deutsche Staatsangehörigkeit hatten, wurde das Oberlandesgericht München mit der Anerkennung der Scheidung befasst. In Anwendung der Rom-III-Verordnung gelangte das Gericht zu der Überzeugung, dass die Ehe, nach Maßgabe des Rechts des Herkunftsstaates wirksam geschieden sei. Hiermit gab sich die Klägerin nicht zufrieden und der EuGH entschied nun im Sinne der Klägerin:
Die Rom-III-Verordnung schreibe zwar vor, so der EuGH, dass in familienrechtlichen Angelegenheiten das Recht des Herkunftsstaates anzuwenden sei. Das gelte aber nur für Scheidungen, die vor Gerichten oder öffentlichen Behörden vollzogen werden. Diese Anforderung ist bei einer Scheidung vor einem geistlichen Gericht nicht erfüllt.
Hintergrund: Die Entscheidung hat erhebliche Konsequenzen für in der EU lebende Muslime, denn die Anforderungen an eine Scheidung sind deutlich höher als bei Anwendung der Sharia vor einem geistlichen Gericht. Interessant ist, dass der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen dasselbe Ergebnis gefordert hat, aber auf die einseitige Diskriminierung der Frau abgestellt hat. Demgegenüber hat der EuGH nun maßgeblich auf eine Unterscheidung zwischen staatlichen Institutionen (Gerichte und Behörden) und geistlichen Gerichten (welche die Sharia anwenden) abgestellt. Dass der Kritikpunkt der Diskriminierung vom EuGH nicht aufgegriffen worden ist, erscheint plausibel, denn auch bei gerichtlichen oder behördlichen Entscheidungen im Ausland können Diskriminierungen nicht zuverlässig vermieden werden. Dass Frauen im Ausland auch vor Gerichten und Behörden diskriminiert werden können, ist zwar durchaus zu kritisieren aber daran können EU-Gerichte nicht wirklich etwas ändern. Gefordert werden kann indessen ein Verfahren, das gewissen Mindestanforderungen genügt (odre public), und das setzt, so urteilte der EuGH in begrüßenswerter Klarheit, ein Verfahren vor Gerichten oder Behörden voraus.
EuGH, Urteil vom 20.12.2017 – C-372/16