Bei der Ermittlung der Bedürftigkeit sind auch Ansprüche zu berücksichtigen, die vom Hilfebedürftigen geltend gemacht werden können. Das gilt auch für Schenkungen, die zurückverlangt werden können.
In einem vom Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG B-W) entschiedenen Fall ging es um Pflegegeld nach dem Zwölften Sozialgesetzbuch (SGB XII).
Die 1933 geborene Klägerin bezieht Altersrente, eine Zusatzrente und Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung. Diese Einnahmen reichen aber für die anfallenden Pflegekosten nicht aus. Es fehlt monatlich ein Betrag von etwa 160 Euro. Ihr Antrag auf Übernahme des Fehlbetrags wurde abgelehnt: die Klägerin habe Vermögen und sei nicht bedürftig. Bei dem auf gut 27.000 Euro berechneten Vermögen handelt es sich aber keineswegs um Geld, über das die Klägerin verfügen kann. Vielmehr sind darin auch Rückforderungsansprüche in Höhe von 10.516,80 Euro enthalten, die der Klägerin gegen zwei Töchter zustehen. Die Klägerin zahlt monatlich für zwei ihrer Töchter in Lebensversicherungen ein, und zwar 56,13 Euro und 87,64 Euro seit dem 01.08.1997. Widerspruch und erstinstanzliche Klage blieben erfolglos. Die Klägerin legte Berufung ein. Sie meinte, dass eine Berücksichtigung fiktiven Vermögens im SGB XII nicht vorgesehen und deshalb rechtswidrig sei. Durch eine Schenkung begebe sich der Schenker des Vermögens. Etwas anderes dürfe nur dann gelten, wenn die Schenkung sittenwidrig (§ 138 BGB) ist, was hier nicht der Fall sei. Die Berufung hatte keinen Erfolg:
Das LSG Baden-Württemberg entschied, dass die Berücksichtigung der gegen die Töchter bestehenden Rückforderungsansprüche rechtens ist. Der Klägerin steht ein Rückforderungsanspruch nach § 528 Absatz 1 BGB zu, denn sie war außerstande, ihren angemessenen Unterhalt zu bestreiten und kann deshalb von den Beschenkten die Herausgabe des Geschenks nach den Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung (§§ 812 ff. BGB) verlangen. Bei den Zuwendungen handelte es sich auch um Schenkungen im Sinne des Gesetzes, da die Zahlungen freiwillig und ohne Rechtspflicht erfolgten (§ 516 BGB). Der Rückforderung steht aus Sicht des Gerichts auch § 534 BGB nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift können Schenkungen nicht zurückgefordert werden, wenn diese auf einer sittlichen Pflicht oder einer „auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht“ beruhen. Diese Voraussetzungen, die bei der finanziellen Unterstützung naher Angehöriger zur Bestreitung des Unterhalts gegeben sein können, sah das Gericht hier nicht. Zwar handelt es sich bei den Töchtern um nahe Angehörige, die Zahlungen dienten aber nicht deren Unterhalt. Reine Nächstenliebe erfüllt nicht die Voraussetzungen von § 534 BGB. Ein besonderer, die Schenkung rechtfertigender Anlass sei bei den jahrelangen Zahlungen ebenfalls nicht zu erkennen. Der Rückforderung könne auch nicht der Entreicherungseinwand nach § 818 Absatz 3 BGB entgegen gehalten werden, denn die Töchter haben das Geld nicht ausgegeben sondern haben es, in Gestalt der rückkauffähigen Lebensversicherungen, die am 31.12.2015 einen Wert von gut 15.000 Euro und gut 8.700 Euro gehabt haben. Der Rückforderungsanspruch nach § 528 BGB ist daher gegeben. Dieser Anspruch ist bei der Berechnung des Vermögens nach § 90 Absatz 1 SGB XII zu berücksichtigen, und zwar für die Dauer von 10 Jahren rückwirkend (§ 529 BGB). Die Hilfebedürftigkeit war daher zu verneinen.
Hintergrund: Die Entscheidung ist zu begrüßen. Denn die genaue Ermittlung des Vermögens – einschließlich Rückforderungsansprüche – ist nicht kleinlich, sondern notwendig, um Missbrauch vorzubeugen. Für alle sozialen Sicherungssysteme gilt nämlich gleichermaßen, dass sie nur dann funktionieren, wenn die Bedürftigen auch wirklich bedürftig sind. Wenn Antragsteller – wie hier – nebenher das Vermögen Dritter mehren, sollte dafür nicht die Pflegeversicherung aufkommen. Würde man das zulassen, würden solche Systeme zwangsläufig kollabieren, da sie entweder den Bedarf nicht decken könnten oder die Beiträge in unermessliche Höhen steigen würden. Was das LSG B-W hier für Rückforderungsansprüche bei der Hilfebedürftigkeit für Pflegegeld entschieden hat, gilt übrigens gleichermaßen für Leistungen nach dem SGB II. Auch Hartz 4 Empfänger sind nicht bedürftig, wenn sie Ansprüche gegen Dritte geltend machen können.
LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19.10.2017 – L 7 SO 1320/17