Über die Anerkennung psychischer Beeinträchtigungen infolge eines Dienstunfalls hatte das Verwaltungsgericht Schleswig zu entscheiden (12 A 41/17). Der als verbeamteter Postzusteller beschäftigte Kläger erlitt im Jahr 2016 unverschuldet einen Verkehrsunfall, bei dem er sich eine Thoraxprellung, eine Prellung der Brustwirbelsäule und eine Distorsion der Halswirbelsäule zuzog. Der Unfall wurde als Dienstunfall und die Verletzungen als dessen Folgen anerkannt. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein und begehrte darüber hinaus die Anerkennung psychischer Beschwerden als Unfallfolgen. Er leide nämlich unter Belastungsstörungen, bekomme beim Passieren der Unfallstelle Schweißausbrüche, Angstzustände und Blockaden. Der Beklagte wies dieses Ansinnen mit einem Widerspruchsbescheid zurück und stützte das im wesentlichen darauf, dass der Kläger keine Atteste vorgelegt habe, die die behaupteten Leiden belegen. Hiergegen klagte der Postzusteller. Ohne Erfolg.
Das VG Schleswig wies die Klage zurück und begründete die Entscheidung damit, dass der Vortrag des Klägers zu den psychichen Leiden unsubstantiiert gewesen sei. Die gerichtliche Einholung eines Sachverständigengutachtens sei nicht erforderlich, denn der Kläger habe zum Beleg seiner Leiden keine ärztlichen Atteste vorgelegt. Außerdem bestünden Zweifel daran, ob die Verletzungen überhaupt geeignet sind, die behaupteten psychischen Leiden zu belegen. Ohne sich letztlich darauf zu stützen, bezweifelte das Gericht außerdem die Zulässigkeit der Klage, denn der Kläger hatte die psychischen Leiden erstmals in seinem Widerspruchsschreiben vorgebracht. Die Zurückweisung der Anerkennung durch das als “Widerspruchsbescheid” bezeichnete Schreiben stelle eine erstmalige Entscheidung zur Sache dar, gegen die zunächst einmal hätte Widerspruch erhoben werden müssen. Deshalb fehle es an dem notwendigen Widerspruchsverfahren.
Hintergrund: Die Entscheidung leidet unter erheblichen Mängeln. Für beamtenrechtliche Streitigkeiten ist nach § 126 Absatz 2 BBG stets ein Vorverfahren durchzuführen. Da der Kläger hier gegen den zunächst erlassenen Bescheid Widerspruch erhoben hat, der gar keine Regelung zu seinen behaupteten psychischen Leiden beinhaltete, liegt insoweit kein Widerspruch vor. Allerdings hat die beklagte Behörde durch den Erlass eines Widerspruchsbescheids zu erkennen gegeben, dass sie den Widerspruch als erhoben betrachtet und die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens nicht für erforderlich hält. Das VG hat hier eine sehr formale Betrachtung vorgenommen, indem es das als “Widerspruchsbescheid” bezeichnete Schreiben als “Erstbescheid” behandelte und die Auffassung vertrat, dass der Kläger hiergegen erst einmal hätte Widerspruch erheben müssen. Damit hat das Gericht klargestellt, dass der Kläger sich auf die Bezeichnung des Schreibens als “Widerspruchsbescheid” nicht verlassen durfte. Er hätte erkennen müssen, dass es sich in Wahrheit um einen Bescheid handelte, gegen den er Widerspruch hätte erheben müssen. Ob man dem Empfänger eines Verwaltungsakts eine solche rechtliche Prüfung abverlangen kann, darf bezweifelt werden. Die besseren Gründe sprechen dafür, dass auch im Beamtenrecht eine Behörde signalisieren darf, dass sie die Durchführung eines Vorverfahrens für entbehrlich hält (BVerwG, Urteil vom 30.10.2013 – 2 C 23/12). Das VG Schleswig sieht das offenbar anders. Die Argumentation, dass der Sachvortrag des Klägers nicht genug Substanz habe, um dazu ein Sachverständigengutachten anfertigen zu lassen, scheint gegen den im Verwaltungsprozess geltenden Amtsermittlungsgrundsatz zu verstoßen (§ 86 Absatz 1 VwGO). Danach haben Verwaltungsgerichte den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln. Zunächst einmal ist es Sache des Klägers vorzutragen, welche Leiden er hat, damit das Gericht die erforderlichen Schlüsse ziehen kann. Letztlich hängt diese Frage vom Inhalt des Prozessvortrags und dem Gang der mündlichen Verhandlung ab. Dabei ist dem Gericht aber durchaus abzuverlangen, sich beim Kläger näher nach den Leiden zu erkundigen. Die Nichtvorlage von Attesten hätte dem Kläger jedenfalls nicht zum Nachteil ausgelegt werden dürfen. Bemerkenswert ist, dass das VG Schleswig die Eignung der Verletzungen für die Auslösung psychischer Leiden bezweifelt, da sie nicht schwer genug seien. Im Ergebnis mag das zutreffen. Das Gericht lehnt sich mit dieser Aussage aber sehr weit aus dem Fenster.
VG Schleswig, Urteil vom 31.08.2017 – 12 A 41/17