Herausgabe personenbezogener Daten nach dem Tod – postmortales Persönlichkeitsrecht vs. Informationsfreiheit nach IFG (BVerwG, Urt. v. 29.06.2017 – 7 C 24.15, 7 C 4.17)

Über grundlegende Fragen des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) im Kontext mit dem Persönlichkeitsrecht hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entscheiden.

Recht auf Neugier

Das Verwaltungsrecht wird auch heute noch gern mit dem so genannten Amtsgeheimnis in Verbindung gebracht. Lange Zeit war das ein feststehendes Prinzip, das im Grundsatz besagte, dass die Einsicht in Akten die Ausnahme darstellt. Wer sich für Verwaltungsvorgänge und Akteninhalte interessierte, wurde von Behörden unter Hinweis auf das „Amtsgeheimnis“ zurückgewiesen. Dieses Prinzip hat sich mit dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) aus dem Jahr 2005 praktisch umgekehrt. Flankiert wurde dieser Paradigmenwechsel durch das Umweltinformationsgesetz (UIG) und Informationsfreiheitsgesetze der Bundesländer. Der Grundsatz lautet seither „Transparenz“ und das „Amtsgeheimnis“ ist die Ausnahme geworden. Dementsprechend befassen sich die meisten Auseinandersetzungen mit den Ausnahmen von der Transparenz. Fest steht, dass es trotz des nunmehr anerkannten Rechts auf Neugier keine grenzenlose Transparenz geben kann. So sieht das IFG selbst einen Katalog von Ausnahmen vor (§ 3 IFG), die behördlichen Entscheidungsvorgänge können die Einsichtnahme hindern (§ 4 IFG) und besondere Anforderungen gelten bei personenbezogenen Daten (§ 5 IFG).

Zu vielen Ausnahmetatbeständen liegen bereits gerichtliche Entscheidungen vor. Das BVerwG hat nun darüber entschieden, inwieweit der Ausnahmetatbestand zum Schutz personenbezogener Daten nach § 5 IFG auch bei bereits verstorbenen Personen greift.

Dem Streit liegt ein Informationsbegehren eines Journalisten zugrunde. Dieser begehrte beim Bundeslandwirtschaftsministerium Einsicht in ein 2009 erstelltes wissenschaftliches Gutachten, welches sich mit den Lebensläufen von 62 ehemaligen Bediensteten des Ministeriums im Hinblick auf deren nationalsozialistische Vergangenheit befasste. Das Ministerium entsprach dem Begehren indessen nur teilweise, indem es ein Exemplar des Gutachtens zur Verfügung stellte, das an etlichen Stellen geschwärzt war. Die Schwärzungen begründete das Ministerium mit personenbezogenen Daten, die aufgrund des Datenschutzes nicht herausgegeben werden dürften. Hiermit gab sich der Journalist nicht zufrieden und ging in Berufung.

Differenzierung zwischen noch lebenden und verstorbenen Bediensteten

Das OVG Münster änderte das verwaltungsgerichtliche Urteil: in Bezug auf gegenwärtig lebende Personen könne der Ausschlussgrund des Schutzes personenbezogener Daten nur dann greifen, wenn die Betroffenen der Herausgabe nicht zustimmen. Der Ausschlusstatbestand sei im Gesetz als Grundsatz formuliert, sodass die Einwilligung der Betroffenen die Unanwendbarkeit des Ausschlussgrundes zur Folge habe. Nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts sei das Ministerium verpflichtet, bei den Betroffenen nachzufragen, ob sie der Herausgabe der Informationen zustimmen. Bei den bereits verstorbenen Bediensteten urteilte des OVG anhand einer Abwägung: ein Einsichtsanspruch sei zu bejahen bei bereits verstorbenen Personen, die in dem Gutachten als „deutlich kritikwürdig“ oder als „nicht ehrwürdig“ bezeichnet worden sind oder wenn der Zeitpunkt des Todes mehr als drei Jahre zurückliege.

Postmortaler Persönlichkeitsschutz im IFG

Das BVerwG hat die Entscheidung des OVGs gebilligt und damit die Anwendung des so genannten postmortalen Persönlichkeitsrechts im IFG höchstrichterlich konkretisiert. Unter postmortalem Persönlichkeitsrecht ist das aus Art. 2 Absatz 1 GG i. V. m. Art. 1 Absatz 1 GG abgeleitete Persönlichkeitsrecht zu verstehen, das auch nach dem Tod fortbesteht. Anerkannt ist, dass das Persönlichkeitsrecht nicht abrupt mit dem Tod einer Person endet, sondern für eine gewisse Dauer fortbesteht und durch die Erben geltend gemacht werden kann. Eine Rolle spielt das postmortale Persönlichkeitsrecht beispielsweise bei der Verunglimpfung Verstorbener, der die Erben nicht tatenlos zusehen müssen, sondern die aus dem Recht des Verstorbenen Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche geltend machen können. Die Anwendung des postmortalen Persönlichkeitsrechts ist indessen im Bereich des IFG noch nicht Gegenstand höchstrichterlicher Rechtsprechung gewesen. Mit der Entscheidung des BVerwG erfährt das allgemeine Prinzip dieses mit voranschreitender Zeit verblassenden Rechts auch im IFG Anerkennung. Erwartungsgemäß hat das BVerwG die vom OVG angenommene Dauer von drei Jahren nach dem Ableben gebilligt. Das stellt aber keine generelle Unbedenklichkeitsfrist dar. Wie auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht sind sowohl Schutzbereich als auch Rechtswidrigkeitsfeststellung Gegenstand einer umfassenden Abwägung. Bei der Abwägung ist stets das öffentliche Informationsinteresse zu gewichten, das bei Personen, die einer besonderen öffentlichen Beobachtung ausgesetzt sind oder deren eigenes Verhalten ein öffentliches Informationsinteresse auslöst, schwerer wiegt als bei solchen Personen, die diese Voraussetzung nicht erfüllen. Dementsprechend kann die Herausgabe von Information von NS-relevanten Informationen aufgrund des überwiegenden öffentlichen Interesses nicht unter Hinweise auf den postmortalen Persönlichkeitsschutz verweigert werden. Im entschiedenen Fall war die Differenzierung zwischen noch lebenden und bereits verstorbenen Bediensteten nicht zu beanstanden, die Herausgabe von Unterlagen ist bei noch lebenden ehemaligen Bediensteten ohne deren Einverständnis grundsätzlich ausgeschlossen, wohingegen eine Herausgabe von Unterlagen bei seit mehr als drei Jahren verstorbenen ehemaligen Bediensteten zulässig ist.

 

BVerwG, Urteil vom 29.06.2017 – 7 C 24.15

BVerwG, Urteil vom 29.06.2017 – 7 C 4.17