Der Kläger hatte einen Hausnotruf-Vertrag abgeschlossen, welcher die Überlassung eines Hausnotrufgeräts zum Gegenstand hatte, das eine eine ständig besetzte Zentrale angeschlossen ist. Am 09.04.2012 betätigte der Kläger die Notruftaste. Nachdem am Telefon lediglich Stöhngeräusche zu vernehmen waren, veranlasste die die Beklagte, dass ein Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes die Wohnung aufsuchte. Dort fand dieser den Kläger liegend auf. Mit Hilfe eines hinzu gerufenen weiteren Mitarbeiters gelang es, den übergewichtigen Kläger aufzurichten und auf die Couch zu setzen. Dort wurde der Kläger zurückgelassen. Am 11.04.2012 wurde der Kläger in der Wohnung liegend aufgefunden, er hatte einen Schlaganfall erlitten, der wahrscheinlich zwei bis drei Tage zurücklag. Der Kläger verlangte Schadensersatz, Schmerzensgeld und Feststellung, dass die Beklagte weitere Schäden zu tragen hat. Das Landgericht wies die Klage ab und die Berufung blieb erfolglos. Die gegen das abweisende Urteil gerichtete Revision hatte Erfolg:
Das Problem war hier, dass der Kläger nicht nachweisen konnte, dass sein Zustand durch eine Pflichtverletzung der Beklagten versacht worden war. Im Zivilrecht trägt grundsätzlich der Anspruchsteller die Beweislast für die Pflichtverletzung, die Schadensentstehung und den Ursachenzusammehang zwischen Pflichtverletzung und Schadenseintritt. Zwar war es hier durchaus naheliegend, dass der Schlaganfall auf die nicht veranlasste medizinische Versorgung am 09.04.2012 zurückzuführen sein konnte, beweisen konnte der Kläger das aber nicht. Die Nichterweislichkeit ging zu seinen Lasten. Von dem Grundsatz der Beweislast werden Ausnahmen zugelassen, indem sich die Beweislast unter bestimmten Umständen umkehrt. So wird beispielsweise von einer Umkehr der Beweislast für die Ursächlichkeit zwischen Pflichtverletzung und Schadenseintitt ausgegangen, wenn einem Arzt ein grober Behandlungsfehler unterläuft, der geeignet ist, einen Schaden der eingetretenen Art herbeizuführen. In solchen Fällen hat nicht der Anspruchsteller die Beweislast für die Kausalität des Schadens, sondern der Arzt.
Der BGH hat diese im Arzthaftungsrecht geltende Rechtsprechung nun auf Hausnotrufverträge ausgedehnt und begründet dies mit der Vergleichbarkeit der Interessenlagen. Gegenstand und Zweck des Hausnotrufvertrags sei der Schutz von Leben und Gesundheit von zumeist alten und pflegebedürftigen Menschen. Damit einher gehen Schutz- und Organisationspflichten der Mitarbeiter. Durch die unterlassene Hinzuziehung medizinischer Hilfe sei es dem Kläger zudem erheblich erschwert worden, das Geschehene zu beweisen. Da dies durch die Verletzung von wesentlichen Vertragspflichen der Beklagten verursacht worden ist müssen die entstehenden Ungewissheiten zu deren Lasten gehen.
Das Urteil hat erhebliche Auswirkungen auf Hausnotrufdienste und ähnliche Leistungen. Zwar bleibt es dabei, dass solche Verträge als Diensverträge (§ 611 BGB) anzusehen sind, was bedeutet, dass ein Service zur Pflege, zum Notruf und zur Hilfe und dergleichen geschuldet ist aber der Anbieter nicht für den Erfolg der Leistungen einzustehen hat. Solche Dienste sehen sich aufgrund der nunmehr geltenden Beweislastumkehr aber einem deutlich höheren Risiko ausgesetzt. Die Entscheidung wird daher dazu führen, dass künftig lieber einmal mehr ein Arzt gerufen wird, was wiederum die chronisch überlasteten Notdienste auf die Probe stellen wird
BGH, Urteil vom 11.05.2017 – III ZR 92/16