In einem Vorabentscheidungsverfahren hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass die Richtlinie 95/46/EG der Herausgabe von Daten, die für die Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche benötigt werden, nicht entgegensteht. Das gilt auch dann, wenn es sich um Daten eines Minderjährigen handelt. Aus Art. 7 Buchstabe f der Richtlinie 95/46/EG lässt sich indessen keine Verpflichtung zur Herausgabe von personenbezogenen Daten zum Zwecke der Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche herleiten. In Art. 7 Buchstabe f der Richtlinie 95/46/EG ist vorgesehen, in welchen Fällen die Mitgliedstaaten die Verarbeitung personenbezogener Daten vorsehen können, was unter anderem unter den folgenden Umständen der Fall ist:
die Verarbeitung ist erforderlich zur Verwirklichung des berechtigten Interesses, das von dem für die Verarbeitung Verantwortlichen oder von dem bzw. den Dritten wahrgenommen wird, denen die Daten übermittelt werden, sofern nicht das Interesse oder die Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die gemäß Artikel 1 Absatz 1 geschützt sind, überwiesen.
Richtlinie 95/46/EG Art. 7 Buchstabe f [sic]
Bei dem Wort “überwiesen” handelt es sich offenkundig um einen Übersetzungsfehler bzw. um einen Schreibfehler, denn nach dem Sinnzusammenhang der Regelung muss es “überwiegen” heißen. Das deckt sich auch mit der englischen Fassung der Regelung, in der von “overridden” die Rede ist, also von einem Überwiegen der Interessen:
(f) processing is necessary for the purposes of the legitimate interests pursued by the controller or by the third party or parties to whom the data are disclosed, except where such interests are overridden by the interests for fundamental rights and freedoms of the data subject which require protection under Article 1 (1)
Richtlinie 95/46/EG Art. 7 Buchstabe f
In dem Fall ging es um einen Verkehrsunfall, bei dem der minderjährige Fahrgast eines Taxis die Tür geöffnet hatte. Gegen die geöffnete Tür fuhr ein Oberleitungsbus. Das Busunternehmen verlangte nun von der Behörde Auskunft über die Daten des Fahrgastes. Diese verweigerte dies unter Hinweis auf die Richtlinie. Der EuGH hat klargestellt, dass sich hieraus kein Anspruch auf Herausgabe von Daten herleiten lässt, die für die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche benötigt werden. Vielmehr erlaube die Regelung lediglich die entsprechende Verarbeitung von Daten. Der EuGH führt auch aus, dass die Richtlinie einer nationalen Regelung, die die Herausgabe für Zwecke der Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche vorsieht, nicht entgegenseht. Für Minderjährige gelten keine besonderen Maßgaben, allerdings ist der Umstand, dass es sich um einen Minderjährigen handelt, bei der Abwägung zu berücksichtigen.
Nach Art. 7 Buchstabe f der Richtlinie 95/46/EG steht die Herausgabe der Daten an einen Dritten dann nicht entgegen, wenn drei Voraussetzungen vorliegen, die allesamt erfüllt sein müssen:
- berechtigtes Interesse des Dritten, dem die Daten übermittelt werden und
- Erforderlichkeit der Verarbeitung der personenbezogenen Daten zur Verwirklichung des berechtigten Interesses und
- kein Überwiegen der Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person.
Das Vorliegen dieser Voraussetzungen gegründet indessen keine Anspruch auf Herausgabe der Daten, sondern bedeutet nur, dass die Herausgabe der Daten nicht gegen die Vorschrift verstößt. Dabei ist das Prinzip der Datensparsamkeit zu beachten, welches zum Gegenstand hat, dass nur insoweit Daten herausgegeben werden, als dass das notwendig ist. Die Minderjährigkeit ist beim letztgenannten Punkt, der Abwägung, relevant.
EuGH Urteil vom 04.05.2017 – C-13/16