Das Verwaltungsgericht Schwerin (VG Schwerin) hat über die Rechtmäßigkeit einer Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit eines Verwaltungsakts entschieden, der auf einen anderen Verwaltungsakt verwiesen hat (VG Schwerin, Beschluss vom 12.04.2017, 2 B 1089/17 SN). Die Entscheidung hatte einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zum Gegenstand, mit der die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs wiederhergestellt werden sollte (§ 80 Absatz 5 Satz 1 VwGO). Die Antragsteller hatten gegen einen Duldungsbescheid Widerspruch erhoben. Dieser verpflichtete die Antragsteller als Eigentümer eines ehemaligen Lagergebäudes, eine gegen die Nutzer ergangene Nutzungsuntersagung zu dulden und beinhaltete die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit. Das bedeutet, dass ein dagegen erhobener Widerspruch keine aufschiebende Wirkung entfaltet und daher sofort vollstreckt werden kann. Hiergegen wandten sich die Antragsteller. Die an die Nutzer gerichtete Nutzungsuntersagung, für welche ebenfalls die sofortige Vollziehbarkeit angeordnet worden war, beinhaltete aber die Besonderheit, dass sie erst drei Monate nach Bestandskraft wirksam werden sollte.
Fehlendes öffentliches Interesse
Das Verwaltungsgericht Schwerin hat die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs antragsgemäß wiederhergestellt. Entscheidend dafür war, dass die Nutzungsuntersagung ihrerseits erst nach Bestandskraft Wirkung entfalten sollte. Damit habe sich die Behörde widersprüchlich verhalten und zu erkennen gegeben, dass es der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit nicht bedarf. Dadurch, dass die Nutzungsuntersagung gegenüber den Nutzern erst nach Bestandskraft des gegen diese ergangenen Bescheids eintreten soll, fehle es an der Erforderlichkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit des gegenüber den Antragstellern ergangenen Bescheid, deren Zweck die Vollstreckung vor Eintritt der Bestandskraft sei. Da die Durchsetzung der gegen die Antragsteller ergangenen Duldungsverfügung von der Durchsetzbarkeit der gegen die Nutzer ergangenen Nutzungsuntersagung abhänge, sei die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht notwendig.
Unzureichende Differenzierung zwischen beiden Bescheiden
Die Entscheidung ist kritikwürdig, denn sie unterscheidet nicht hinreichend zwischen den beiden Bescheiden. Die Argumentation, dass im Hinblick auf die sofortige Vollziehbarkeit das Schicksal des einen Bescheides mit dem anderen Bescheid zusammenhängt, überzeugt nicht. Das Gericht gelangt praktisch zu dem Ergebnis, dass der gegen die Antragsgegner ergangene Bescheid nur insoweit für sofort vollziehbar erklärt werden darf wie der Bescheid, auf den Bezug genommen worden ist. An dieser Stelle greift die juristische Aufarbeitung des Falls durch das Schweriner Gericht zu kurz. Dem Gericht ist darin zuzustimmen, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit in dem gegen die Nutzer ergangenen Bescheid rechtswidrig ist. Die Behörde hatte sich offenbar beim Erlass des gegen die Nutzer ergangenen Bescheids keine Gedanken gemacht, denn einen Bescheid unter Anordnung der sofortigen Vollziehung zu erlassen, der erst drei Monate nach Eintritt der Bestandskraft wirksam werden soll, ist ziemlich unsinnig, denn Zweck der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit ist ja gerade, dass der Verwaltungsakt bereits vor Eintritt der Bestandskraft vollzogen werden kann. Das VG Schwerin zieht daraus aber die falschen Schlüsse, denn bei Lichte betrachtet schlägt dieser Mangel nicht zwangsläufig auf den gegen die Eigentümer ergangen Bescheid durch. Wäre der gegen die Nutzer ergangene Bescheid ohne Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit ergangen, hätte der gegen die Eigentümer gerichtete Duldungsbescheid durchaus mit Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit ergehen können. Im Verwaltungsrecht gibt es kein Prinzip, nach dem ein auf einen anderen Verwaltungsakt verweisender Verwaltungsakt nur dann für sofort vollziehbar erklärt werden darf, wenn der Verwaltungsakt, auf den verwiesen worden ist, mit einer wirksamen Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit versehen ist. Vielmehr ist dieser Umstand grundsätzlich ohne Belang. Die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit bei einem Duldungsbescheid, der auf einen Untersagungsbescheid Bezug nimmt, ist daher rechtlich kein Problem, und zwar auch dann nicht, wenn der Untersagungsbescheid erst drei Monate nach Bestandskraft Wirksamkeit entfaltet. Der Behörde muss es möglich sein, die Duldungsverfügung sofort wirksam werden zu lassen, wenn der Untersagungsbescheid wirkt. Dass die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit des Untersagungsbescheids himmelschreiend rechtswidrig war, ist dafür nicht von Bedeutung. Das VG Schwerin führt in Bezug auf die Duldungsverfügung aus “… deren Vollziehbarkeit ist notwendig von der Vollziehbarkeit der gegenüber den Nutzern ausgesprochenen Nutzungsuntersagung abhängig …”. Dem ist zu widersprechen. Vielmehr hätte das VG Schwerin die Voraussetzungen der Anordnung der sofortigen Vollziehung bezüglich des Duldungsbescheids prüfen müssen, wobei der Eilbedürftigkeit des Untersagungsbescheids allenfalls indizielle Bedeutung zukommen darf. Für die Möglichkeit, die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit bei beiden Bescheiden isoliert zu prüfen, sprechen auch praktische Bedürfnisse, denn damit kann erreicht werden, dass die Duldungsverfügung bei Wirksamwerden der Unterlassungsverfügung sofort durchsetzbar ist. Damit können beide Pflichten in Gleichlauf gebracht werden. Dass sich die Duldungsverfügung in diesem Fall auf eine künftige Verpflichtung bezieht, steht dem nicht entgegen. Vielmehr enspricht es dem geltenden Verwaltungsrecht und der ständigen Praxis, dass Verpflichtungen auch dann mit der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit verbunden werden können, wenn die Verpflichtung erst künftig zu erfüllen ist (vgl. z. B. VGH München, Beschluss vom 13.07.2009 – 8 C 09.1386). Die durch das VG Schwerin implizit erhobene Forderung, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit nur dann zulässig ist, wenn die Verpflichtung bereits besteht, ist daher nicht bloß rechtswidrig, sondern auch völlig praxisfern.
Möglicherweise wäre das Gericht bei richtiger Rechtsanwendung zu demselben Ergebnis gelangt. Bei der Entscheidung über Anträge nach § 80 Abatz 5 VwGO verfügen die Gerichte über einen relativ weiten Spielraum, denn die Entscheidung orientiert sich anhand einer Interessenabwägung und den Erfolgsaussichten des Rechstmittels in der Hauptsache. Ein weiterer, eher formaler, Kritikpunkt soll nicht verschwiegen werden: Das VG Schwerin bezeichnet die Anordnung der sofortigen Vollziehung als “Sofortvollzugsanordnung”. Das ist rechtlich unkorrekt, denn es handelt sich nicht um einen Sofortvollzug, sondern um die “Anordnung der sofortigen Vollziehung”.
Hintergrund: Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist in § 80 Absatz 2 Nummer 4 VwGO geregelt und hat zum Gegenstand, dass die Behörde anordnen kann, dass Widerspruch und Anfechtungsklage abweichend von § 80 Absatz 1 Satz 1 VwGO keine aufschiebende Wirkung entfalten. Beim Sofortvollzug handelt es sich hingegen um eine Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung, vgl. § 6 Absatz 1 VwVG, die dadurch geprägt ist, dass ein entgegenstehender Wille des Adressaten gebrochen werden soll. Sowohl in der Rechtsprechung als auch in der juristischen Fachliteratur werden die Begrifflichkeiten “Anordnung der sofortigen Vollziehung” und “Sofortvollzug” zuweilen fehlerhaft synonym verwendet. Wenn sich aus dem Kontext ergibt, was gemeint ist, ist der Fehler rechtlich folgenlos. Denn auch bei juristischen Fachtexten und Gerichtsentscheidungen ist durch Auslegung zu ermitteln, was die Verfasser gemeint haben (§§ 133, 157 BGB). Da die Begrifflichkeiten gesetzlich klar zugeordnet sind, sollte zumindest Profis eine zutreffende Verwendung abverlangt werden. Denn am Ende sind es die Profis, die nach §§ 133 und 157 BGB zu ermitteln haben, was juristische Laien mit ihrer Erklärung wohl gemeint haben. Deshalb sollten diejenigen, die mit Paragraphen von Berufs wegen zu tun haben, umso mehr auf die zutreffende Wortwahl achten.