Beschluss vom 07.03.2019 – 2 M 172/17 OVG
Oberverwaltungsgericht
Mecklenburg-Vorpommern
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Schwerin – 1. Kammer – vom 28.02.2017 geändert. Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens werden den Antragstellern als Gesamtschuldner auferlegt.
Der Streitwert wird auf 7.500,- Euro festgesetzt.
Gründe:
Die Beteiligten streiten über die Zulässigkeit eines Bürgerentscheides. Gegenstand des beantragten Bürgerentscheides ist die Errichtung eines Hochhauses und eines Sportforums auf bestimmten Flächen im Ortsgebiet der Antragsgegnerin.
Die Antragsteller sind die Vertreter des entsprechenden Bürgerbegehrens. Mit Schreiben vom 10.11.2016 haben sie bei der Antragsgegnerin Unterschriftenlisten mit 695 Unterschriften eingereicht. Die Unterschriftenlisten enthalten folgenden Text: „Die Unterzeichnenden beantragen, dass folgende Angelegenheit der Gemeinde zum Bürgerentscheid gestellt wird: „Soll in Börgerende, auf dem Feld östlich des Driftweges, ein Hochhaus und ein Sportforum und weiteren Gebäuden errichtet werden?““
Mit Beschluss vom 06.12.2016 lehnte die Gemeindevertretung die Durchführung des Bürgerentscheides ab, da die Fragestellung unzulässig sei. Voraussetzung für die Errichtung von Gebäuden in dem betroffenen Gebiet sei eine Änderung des Flächennutzungsplans sowie die Aufstellung eines Bebauungsplans. Nach § 20 Abs. 2 Nr. 4 KV M-V könnten Entscheidungen über die Aufstellung, Änderung und Aufhebung von Bebauungsplänen nicht Gegenstand eines Bürgerentscheids sein.
Am 19.12.2016 hat der Antragsteller zu 1. gegen diesen Beschluss Widerspruch eingelegt und am 27.12.2016 um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Diesem Antrag haben sich die Antragsteller zu 2. und 3. angeschlossen, nachdem das Gericht darauf hingewiesen hatte, dass Rechtsmittel möglicherweise nur von allen Vertretern gemeinsam eingelegt werden könnten.
Mit Beschluss vom 28.02.2017 hat das Verwaltungsgericht Schwerin der Antragsgegnerin bzw. ihrer Gemeindevertretung vorläufig bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung untersagt, einen Beschluss zur Förderung des Bauvorhabens umzusetzen und weitere zu fassen.
Die dagegen fristgerecht eingelegte und begründete Beschwerde (§§ 147 Abs. 1, 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) hat keinen Erfolg.
Im Beschwerdeverfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist der Gegenstand der obergerichtlichen Prüfung nach § 146 Abs. 4 Satz 6 darauf beschränkt, den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts anhand derjenigen Gründe zu überprüfen, die der Beschwerdeführer darlegt. Vor diesem Hintergrund verlangt das Darlegungserfordernis von dem Beschwerdeführer, dass die Beschwerdebegründung auf die rechtlichen oder tatsächlichen Erwägungen eingeht, auf die das Verwaltungsgericht seine Entscheidung stützt. Die Beschwerdebegründung muss an die Erwägungen des Verwaltungsgerichts anknüpfen und aufzeigen, weshalb sich diese aus der Sicht des Beschwerdeführers nicht als tragfähig erweisen bzw. aus welchen rechtlichen oder tatsächlichen Gründen der Ausgangsbeschuss unrichtig sein soll und geändert werden muss. Dies erfordert eine Prüfung, Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffs und damit eine sachliche Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Beschlusses. Der Beschwerdeführer muss sich insofern an der Begründungsstruktur der angegriffenen Entscheidung orientieren. Stützt das Verwaltungsgericht seine Entscheidung alternativ auf mehrere Begründungen, muss die Beschwerde alle Begründungen aufgreifen, sich mit diesen auseinandersetzen und sie in Zweifel ziehen. Geht die Beschwerde auf nur eine Erwägung nicht ein, die die angefochtene Entscheidung selbständig trägt bzw. lässt sie unangefochten bleibt der Beschwerde schon aus diesem Grund der Erfolg versagt. Diese Anforderungen an die Beschwerdebegründung sind für einen Beschwerdeführer auch zumutbar. Mit Blick auf den Vertretungszwang ist sichergestellt, dass Beschwerdeführer rechtkundig vertreten sind (vgl. Beschlüsse des Senats vom 22.01.2013 – 2 M 134/12 – ; vom 21.07.2011 – 2 M 31/11 – m.w.N.).
Die von der Antragsgegnerin dargelegten Gründe führen zu einer Änderung des angegriffenen Beschlusses.
Der Gegenstand des Bürgerbegehrens ist unzulässig, er unterfällt dem Ausschlusstatbestand des § 20 Abs. 2 Nr. 4 KV M-V.
Zur Auslegung der gesetzlichen Regelung kann ihre Entstehungsgeschichte nicht herangezogen werden. Die Ausschlussregelung, die zunächst auf Planfeststellungsverfahren beschränkt war, beam ihre heute Formulierung durch das 5. Gesetz zur Änderung der Kommunalverfassung vom 26.02.2004 (GVOBl. 2004, S. 61). Die Regelung war nicht Gegenstand der ursprünglichen Gesetzentwürfe, sondern wurde während der parlamentarischen Beratungen aufgenommen, ohne dass eine ausdrückliche Begründung erfolgte.
Sinn und Zweck der Norm führen zu dem Ergebnis, dass Gegenstände, die in einem baurechtlichen Planungsverfahren zu behandeln sind, umfassend von einem Bürgerbegehren ausgenommen sein sollen.
§ 20 KV M-V soll die direkte Demokratie stärken und den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit geben, selbst Einfluss auf die politischen Entscheidungen in der Gemeinde zu nehmen und wichtige Entscheidungen selbst zu treffen. Diesen Grundsatz postuliert Abs. 1 der Vorschrift.
Absatz 1 enthält demgegenüber Einschränkungen und Ausnahmen von diesem Grundsatz für Gegenstände, die aufgrund ihrer Natur oder zwingender Notwendigkeit nicht durch die Bürger entschieden werden können. Dazu gehören rechtswidrige Maßnahmen (Nr. 7) ebenso wie Personal- und Haushaltsfragen (Nr. 1, 2, 3).
Die Vorschrift entspricht weitgehend der entsprechenden Regelung in Niedersachsen (§ 32 Abs. 2 NdsKommVerfG), während andere Bundesländer vollständig andere Ausnahmekataloge haben. In Bayern sind Bürgerentscheide gegen Bebauungspläne ausdrücklich zulässig.
Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hat zu dieser entsprechenden Vorschrift ausgeführt (Beschl. v. 21.05.2012, – 10 LA 3/11 -, zit. nach juris), dass unzulässiger Gegenstand eines Bürgerentscheids zwar nicht die konkrete Änderung eines Bebauungsplans, wohl aber Grundsatzentscheidungen zur baulichen Entwicklung einer Gemeinde sein können. Dem ist zuzustimmen. Solange die Fragestellung eines Bürgerentscheids die allgemeine bauliche Entwicklung einer Gemeinde betrifft, ist sie zulässig. Wenn die Fragestellung aber die Einzelheiten eines konkreten, in einem bauplanungsrechtlichen Verfahren zu prüfenden Vorhaben betrifft, ist sie unzulässig. Die Fragen, die im Rahmen eines Bebauungsplanverfahrens zu klären sind, sind zu komplex, um sie in der allein zulässigen Form einer Ja/Nein-Frage zusammenzufassen. Zudem ist für die Aufstellung eines Bebauungsplans eine Bürgerbeteiligung gesondert und abschließend im Baugesetzbuch geregelt.
§ 20 Abs. 2 Nr. 4 KV M-V schließt die Entscheidungen nach § 36 BauGB sowie die Aufstellung, Änderung und Aufhebung von Bauleitplänen als Gegenstand von Bürgerentscheiden aus. Die Vorschrift spricht dabei nicht von einem Aufstellungsbeschluss, sondern untechnisch von der Aufstellung von Bauleitplänen. Zur Aufstellung gehören aber auch schon Maßnahmen vor Erlass eines Aufstellungsbeschlusses für einen Bebauungsplan, etwa die Vorbereitung dieses Beschlusses durch die zuständige Verwaltung. Zudem kann es nicht Ziel des Gesetzes sein, einen Wettlauf zwischen der Gemeinde und den Bürgern zu befördern, ob ein Aufstellungsbeschluss oder ein Bürgerbegehren schneller organisiert werden kann. Der Ausschluss muss an einem anderen, konkreten du von den Zeitabläufen unabhängigen Punkt ansetzen. Als Anknüpfungspunkt eignet sich deshalb nur die Fragestellung, ob für ein an die Gemeinde herangetragenes Vorhaben eine gemeindliche Zustimmung besteht, ob also eine Baugenehmigung nach § 30 BauGB erteilt werden kann oder ob bauleitplanerische Schritte, einschließlich des Einvernehmens nach § 36 BauGB, erforderlich sind. Im ersten Fall besteht keine Entscheidungskompetenz der Gemeinde, im zweiten Fall ist der Bürgerentscheid nach § 20 Abs. 2 Nr. 4 KV M-V ausgeschlossen. Damit sind wiederum alle baurechtlichen Fragestellungen einem Bürgerentscheid entzogen, unabhängig von der letztlich anwendbaren Vorschrift des Baugesetzbuches. Nur diese Auslegung der Vorschrift führt zu in sich konsistenten und in der Praxis handhabbaren Ergebnissen. Einen Bürgerentscheid in baurechtlichen Fragen nur für bauplanerische Entscheidungen und nur in einem Zeitraum zwischen der erstmaligen Konkretisierung einer Bauplanung durch einen Investor und den Ergehe eines Aufstellungsbeschlusses für einen Bebauungsplan zuzulassen, eröffnete nicht nur dem zeitlichen Zufall Tür und Tor, sondern wäre auch inhaltlich nicht sinnvoll.
Auch wenn die Bauleitplanung nicht Gegenstand eines Bürgerbegehrens sein kann, kann es sich bei der Förderung eines Projektes durch die Gemeinde um eine zulässige Fragestellung handeln, da dieses Fördern über die Bauleitplanung hinaus zahlreiche weitere Facetten aufweist, die jeweils nicht vom Ausschlusskatalog umfasst sind (OVG M-V, Beschl. v. 24.07.1996, – 1 M 43/96 -, zit. nach juris, zur früheren Rechtslage). In Betracht käme etwa, den Verkauf von Grundstücken an den Investor zum Gegenstand des Bürgerentscheids zu machen.
Die vorliegende Fragestellung („Soll in Börderende, östlich des Driftweges, ein Hochhaus und ein Sportforum mit einem Sportplatz und weiteren Gebäuden errichtet werden?“) zielt jedoch nicht auf die Ablehnung einer solchen, über die Bauleitplanung hinausgehenden Unterstützung.
Schon auf den ersten Blick ergeben sich Zweifel, ob die Fragestellung konkret genug ist. Die Entscheidung, ob die Gebäude tatsächlich gebaut werden, trifft nicht die Gemeinde, sondern ein Investor. Nach ihrem Wortlaut zielt das Bürgerbegehren deshalb auf etwas, dass außerhalb der Einflusssphäre der Gemeinde liegt, das Bürgerbegehren wäre unzulässig.
Auch aus der Begründung des Bürgerbegehrens lässt sich keine Auslegung entnehmen, die zu einer Zulässigkeit führen könnte. Das Vorhaben solle verhindert werden, das es neben verschiedenen Nachteilen insbesondere den Charakter des Dorfes verändern werde. Das Landschaftsbild werde gestört, Verkehrsbelastung und Lärm nähmen zu und das Vorhaben liege im Landschaftsschutzgebiet. All dies sind Kritikpunkte, die im Bauplanungsverfahren zu berücksichtigen und abzuwägen sind. Sie sind deshalb nicht geeignet, die Zulässigeit des Bürgerbegehrens zu begründen.
Weitere Maßnahmen der Gemeinde, die über eine reine bauplanerische Befassung hinausgehen, stellt das Bürgerbegehren auch in seiner Begründung nicht dar. Sie sind auch sonst nicht erkennbar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Höhe des Streitwerts folgt aus §§ 52, 53 GKG.
Hinweis:
Der Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
Unterschriften