Kinder, die nicht geimpft sind, dürfen bei Ausbruch von Windpocken die Schule nicht betreten, wenn sie Kontakt zu erkrankten Kindern hatten. Eine entsprechende sofort vollziehbare Anordnung der Schule ist rechtmäßig. Das geht aus einem Beschluss des Verwaltungsgerichts Weimar (VG Weimar) vom 14.03.2019 hervor (8 E 416/19 We).
Keine Impfpflicht
Die grundsätzliche Frage, ob und wogegen ein Kind geimpft werden sollte, ist in der Elternschaft heillos umstritten. Absolute Impfgegner lassen ihre Kinder überhaupt nicht oder nur zum Teil impfen, obwohl die Ständige Impfkommission (StIKO) zu bestimmten Impfmaßnahmen ausdrücklich rät.
Empfehlungen der STIKO
Zu den Empfehlungen der STIKO gehört unter anderem die Impfung gegen Windpocken. Dass das Impfen gegen die Windpocken zu einem Rückgang der Windpockenfälle geführt hat, zeigt die Statistik. So gingen die Windpockenfälle in der Zeit von 2005 bis 2012 um 85% zurück.
Entscheidung der Eltern
Dennoch verbleibt die Entscheidung, ein Kind impfen zu lassen, am Ende bei den Eltern. Entscheiden sich die Eltern gegen eine ausdrücklich empfohlene Impfung, müssen sie jedoch auch mit gewissen Konsequenzen leben. Das zeigt ein Beschluss des VG Weimar, wonach eine Schule nicht geimpfte Kinder bei Kontakt zu an Windpocken erkrankten Kindern wegen der Ansteckungsgefahr vom Schulbetrieb ausschließen durfte.
Schulausschluss nicht geimpfter Kinder
In dem Rechtsstreit wurden die beiden nicht gegen Windpocken geimpften Kinder der Antragstellerin vorübergehend vom Schulbetrieb ausgeschlossen, weil sie unstreitig zuvor beim Fasching Kontakt zu einem an Windpocken erkrankten Kind hatten. Die Antragstellerin sah hierin eine Ungleichbehandlung ihrer nicht geimpften Kinder gegenüber anderen geimpften Kindern.
Widerspruch gegen Schulausschluss
Sie legte zunächst Widerspruch ein und beantragte sodann die Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen das sofort vollziehbare Schulbetretungsverbot, damit ihre Kinder bis zur Entscheidung in der Hauptsache zunächst weiter in die Schule gehen dürfen.
Entscheidung des VG Weimar
Das VG Weimar wies den Antrag zurück!
Abgesehen davon, dass der Antrag hier von beiden Elternteilen hätte gestellt werden müssen, hatte der Antrag auch in der Sache selbst keinen Erfolg. Das VG Weimar entschied, dass das Schulbetretungsverbot offensichtlich rechtmäßig war und daher der Antrag im einstweiligen Rechtsschutz keinen Erfolg hat.
Schulausschluss offenkundig rechtmäßig
Entscheidend waren hier die Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Ist ein Rechtsbehelf im Hauptsacheverfahren offensichtlich begründet, hat eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs stattzufinden. Umgekehrt darf bei offenkundiger Erfolglosigkeit des Hauptsacheverfahrens der Vollzug des jeweiligen Verwaltungsaktes nicht verhindert werden. Hierauf weist das VG Weimar grundsätzlich hin.
§ 28 Infektionsschutzgesetz
In diesem Rechtsstreit ging das VG Weimar von einer offenkundigen Rechtmäßigkeit des Schulausschlusses aus. Die Schule durfte hier aufgrund der Vorschrift des § 28 Absatz 1 Satz 1des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) die notwendigen Schutzmaßnahmen ergreifen. Das Schulbetretungsverbot für die Kinder der Antragstellerin war rechtmäßig, da diese zu Recht als Ansteckungsverdächtige im Sinne des § 28 Absatz 1 Satz 1 IfSG eingestuft wurden.
Kontakt zu infizierten Personen
Wer ansteckungsverdächtig ist, ergibt sich aus § 2 Nr. 7 IfSG. Hiernach ist ansteckungsverdächtig, wer Krankheitserreger aufgenommen hat, ohne krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider zu sein. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu in seinem Urteil vom 22.03.2012 entschieden, dass dies der Fall ist, wenn der Betroffene mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Kontakt zu einer infizierten Person oder einem Gegenstand hatte (3 C 16/11).
Eigenheit der jeweiligen Krankheit
Dabei muss die Vermutung, der Betroffene habe Krankheitserreger aufgenommen, nahe liegen, so das VG Weimar. Entscheidend ist nach dem VG Weimar dabei auch die Eigenheit der jeweiligen Krankheit.
Kontakt zu an Windpocken erkranktem Kind
Die beiden Kinder der Antragstellerin hatten unstreitig Kontakt zu einem an Windpocken erkrankten Kind, sind bislang aber selbst noch nicht erkrankt. Die Tatsache, dass Windpocken hoch ansteckend sind und fast jeder Kontakt zu einem an Windpocken erkrankten Menschen zur Ansteckung führt, rechtfertigt die Annahme einer Gefahrenverdachtslage, so das VG Weimar.
Die Kinder waren damit zu Recht als ansteckungsverdächtige Personen eingestuft worden.
Notwendige Schutzmaßnahme im Ermessen der Schule
Das Schulbetretungsverbot ist nach Auffassung des VG Weimar auch eine notwendige Schutzmaßnahme gemäß § 28 Absatz 1 Satz 1 IfSG gewesen. Insbesondere ist das Verbot gegenüber Ansteckungsverdächtigen, die Schule zu betreten, geeignet, die Weiterverbreitung der Windpocken zu verhindern.
Naher Kontakt zwischen den Schülern während des Schulbetriebs
Aufgrund des nahen Kontaktes zwischen den Schülern und Lehrern während des Schulbetriebes liegt hier nach Auffassung des VG Weimar die größte Ansteckungsgefahr. Aufgrund der sehr hohen Komplikationsrate bei Windpocken ist es nach Auffassung des VG Weimar auch dringend geboten, die Weiterverbreitung dieser Krankheit zu verhindern. Hinzu kommt, dass die Schule das Schulbetretungsverbot auf die Inkubationszeit beschränkt hatte.
Kein faktischer Impfzwang
In dem vorübergehenden Schulausschluss liegt auch kein faktischer Impfzwang, wie die Antragstellerin meint. Das VG Weimar weist darauf hin, dass das Impfen weiterhin freiwillig bleibt. Die empfohlene Impfung stellt lediglich eine weitere Möglichkeit der Gefahrenabwehr dar, so das VG Weimar.
Schulausschluss war verhältnismäßig
Der Schulausschluss war im Hinblick auf die beiden Kinder nach Auffassung des VG Weimar auch verhältnismäßig. So ist der Schulausschluss in seiner Folge nicht anders als eine krankheitsbedingte Abwesenheit zu beurteilen. Die Kinder können den Unterrichtsstoff ohne größere Schwierigkeiten zu Hause oder später in der Schule nach Ablauf der Inkubationszeit nachholen.
Keine Diskriminierung
Das VG Weimar weist ergänzend darauf hin, dass eine Diskriminierung nicht vorliegt.
„Entscheiden sich Eltern, entgegen der sachverständigen Empfehlung der STIKO auf eine Impfung ihrer Kinder zu verzichten, haben sie und ihre Kinder die Konsequenzen der Nichtimpfung zu tragen“, so das VG Weimar.
Das auf die Inkubationszeit beschränkte Schulbetretungsverbot gegenüber den nicht geimpften Kindern ist jedenfalls offenkundig rechtmäßig. Der Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen, blieb aus diesem Grund erfolglos.
VG Weimar, Beschluss vom 14.03.2019 – 8 E 416/19 We