Familienpflegezeit – Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Verfügung (LArbG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 20.09.2017 – 15 SaGa 823/17)

Ansprüche aus dem Familienpflegezeitgesetz (FPfZG) können auch mit einer einstweiligen Verfügung durchgesetzt werden. Eine entsprechende Entscheidung traf das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (LArbG Berlin-Brandenburg) mit seinem Urteil vom 20.09.2017 (15 SaGa 823/17).

Der Fall:

Der Verfügungskläger ist bei der Verfügungsbeklagten als Baufachwerker beschäftigt. Er lebt mit seiner Mutter in einem gemeinsamen Haushalt und möchte diese künftig mehr pflegen. Bei der Mutter des Verfügungsklägers ist ein Pflegegrad von 4 festgestellt worden. Der Verfügungskläger beantragte bei der Verfügungsbeklagten erstmals im Dezember 2016 eine Verringerung der Arbeitszeit von 40 auf 34 Stunden wöchentlich. Ca. 5 Wochen später beantragte der Verfügungskläger wiederum schriftlich bei der Verfügungsbeklagten die Verringerung seiner Arbeitszeit auf 30 Stunden verteilt auf fünf Tage in der Woche mit einer täglichen Arbeitszeit von 6 Stunden. Ca. 2,5 Wochen später teilte die Verfügungsbeklagte mündlich mit, dass sie der begehrten Verringerung der Arbeitszeit nicht zustimmen wolle. Ca. 4 Wochen später teilte die Verfügungsbeklagte dem Verfügungskläger auf erneute schriftliche Nachfrage mit, dass sie die Verringerung der Arbeitszeit ablehne. Weitere 3 Wochen später stellte der Verfügungskläger beim zuständigen Arbeitsgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung in Bezug auf die Zustimmung des Verfügungsbeklagten zur Reduzierung der Arbeitszeit auf 30 Stunden mit 6 Stunden je Arbeitstag für 2 Jahre, dies bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren. Das Hauptsacheverfahren machte der Verfügungskläger ebenfalls am selben Tag anhängig.

Das Arbeitsgericht lehnte den Antrag des Klägers auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ab. Es begründete seine Entscheidung damit, dass ein Verfügungsgrund nicht vorliege. Der Verfügungskläger habe die behauptete Eilbedürftigkeit selbst verschuldet, denn er habe bereits seit dem Gespräch mit der Verfügungsbeklagten, in dem diese mündlich ihre Ablehnung mitteilte, von der ablehnenden Haltung der Verfügungsbeklagten Kenntnis gehabt. Nach der Verkündung der Entscheidung beantragte der Verfügungskläger bei der Verfügungsbeklagten Pflegezeit unter vollständiger Freistellung. Daraufhin einigten sich die Parteien auf eine vollständige Freistellung nach dem PflegeZG für die Dauer von 6 Monaten.

Der Verfügungskläger legte wenig später beim LArbG Berlin-Brandenburg Berufung gegen das ablehnende Urteil des Arbeitsgerichts ein. Er begehrte –wie bereits beim Arbeitsgericht- die Reduzierung der Wochenarbeitszeit von 40 Stunden auf 30 Stunden verteilt auf 5 Arbeitstage. Die Verfügungsbeklagte beantragte die Zurückweisung der Berufung. Sie ist der Auffassung, der Verfügungskläger habe mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zu lange gewartet. Hinzu käme, dass sich der Verfügungskläger mit seinen unterschiedlichen vorprozessualen Anträgen widersprüchlich verhalten habe.

Das LArbG Berlin-Brandenburg hatte nun über die Berufung des Verfügungsklägers zu entscheiden.

Die Entscheidung:

Das LArbG Berlin-Brandenburg gab dem Verfügungskläger Recht. Es hob das Urteil des Arbeitsgerichtes auf und verurteilte die Verfügungsbeklagte, der Verringerung der Arbeitszeit auf 30 Stunden wöchentlich ab dem Ablauf der vereinbarten vollständigen Freistellung bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren zuzustimmen.

Nach Auffassung des LArbG Berlin-Brandenburg hat der Verfügungskläger sowohl einen Verfügungsanspruch als auch einen Verfügungsgrund gemäß §§ 935, 940 ZPO. Der Anspruch auf Verringerung der Arbeitszeit ergibt sich aus § 2 Absatz 1 Satz 1 FPfZG. Insbesondere stehen dem Anspruch dringende betriebliche Gründe gemäß § 2a Absatz 2 Satz 2 FPfZG nicht entgegen, so das LArbG Berlin-Brandenburg.

Das LArbG Berlin-Brandenburg weist in seinem Urteil zunächst darauf hin, dass Ansprüche aus dem FPfZG auch durch einstweilige Verfügung durchgesetzt werden können. Da sich ein Pflegebedarf üblicherweise kurzfristig ergibt, muss der Anspruch auf Arbeitszeitreduzierung auch im einstweiligen Verfügungsverfahren einklagbar sein.

Anders als das Arbeitsgericht geht das LArbG Berlin-Brandenburg von einem Verfügungsgrund aus. Insbesondere ist nicht von einem verspäteten Antrag des Verfügungsklägers auszugehen. Da das FPfZG von einer Verhandlungslösung der Vertragspartner ausgeht, war der Verfügungskläger nicht gehalten, seinen Anspruch unmittelbar nach der mündlichen Ablehnung durchzusetzen. Auch das Abwarten einer schriftlichen Erklärung der Verfügungsbeklagten kann dem Verfügungskläger nicht angelastet werden, so das LArbG Berlin-Brandenburg. Hinzu kommt, dass auch das vollständige Ausschöpfen der 2-Monats-Frist für die Einlegung der Berufung nicht zu einer Verspätung führt, so das LArbG Berlin-Brandenburg. Denn der Gesetzgeber habe trotz Kenntnis des einstweiligen Verfügungsverfahrens hinsichtlich der Berufungsfristen keine unterschiedlichen Regelungen getroffen. Ein Verfügungsgrund lag daher vor.

Dem Kläger stand nach der Entscheidung des LArbG Berlin-Brandenburg auch ein Verfügungsanspruch zu.

Die Voraussetzungen für eine Familienpflegezeit waren gegeben. Die Mutter des Verfügungsklägers ist nahe Angehörige, mit ihrem Pflegegrad auch pflegebedürftig und soll in häuslicher Umgebung gepflegt werden. Die Verfügungsbeklagte beschäftigt mehr als 25 Arbeitnehmer und die beantragte verringerte Arbeitszeit beträgt mehr als 15 Stunden, § 2 Absatz 1 Satz 2 und 4 FPfZG. Hinzu kommt die 8-wöchige Ankündigungsfrist nach § 2a Absatz 1 Satz 1 FPfZG, die inzwischen auch eingehalten ist.

Im Hinblick auf die unterschiedlichen vorprozessualen Anträge des Verfügungsklägers liegt auch kein dem Verfügungsanspruch entgegenstehendes widersprüchliches Verhalten vor, so das LArbG Berlin-Brandenburg. So ist im Rahmen des Teilzeitrechtes anerkannt, „dass der Arbeitnehmer an seinen Antrag nicht mehr gebunden ist, wenn der Arbeitgeber diesen ablehnt“. Hinzu kommt, dass in dem FPfZG auch keine Sperre für eine erneute Antragstellung normiert ist, anders als im Teilzeit- und Befristungsgesetz, so das LArbG Berlin-Brandenburg.

Dem Begehren des Verfügungsklägers standen nach Auffassung des LArbG Berlin-Brandenburg auch keine dringenden betrieblichen Gründe entgegen. An die Ablehnungsgründe sind erhebliche Anforderungen zu stellen. Insbesondere müssen nach höchstrichterlicher Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die entgegenstehenden betrieblichen Interessen „zwingende Hindernisse für die beantragte Verkürzung der Arbeitszeit sein“ (BAG 15.12.2009 – 9 AZR 72/09). Solche dringenden betrieblichen Interessen konnte das LArbG Berlin-Brandenburg nicht feststellen. Den ausfallenden Stundenanteil könnten jedenfalls auch Teilzeitkräfte kompensieren. Bereits jetzt sind bei der Verfügungsbeklagten geringfügig Beschäftigte tätig. Die Verfügungsbeklagte konnte nicht nachweisen, dass dringende betriebliche Gründe vorliegen, die dem Anspruch des Klägers entgegenstehen, so das LArbG Berlin-Brandenburg. Die Darlegungs- und Beweislast trug hierfür die Verfügungsbeklagte. Der Verfügungskläger hatte daher auch einen Verfügungsanspruch.

Das LArbG Berlin-Brandenburg hob auf die Berufung des Verfügungsklägers das Urteil des Arbeitsgerichts auf und verurteilte die Berufungsbeklagte, der Verringerung der Arbeitszeit auf 30 Stunden wöchentlich bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren zuzustimmen.

LArbG Berlin-Brandenburg, Urt. vom 20.09.2017 – 15 SaGa 823/17

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