Fahrradunfälle mit schlimmen Verletzungen sind angesichts zunehmenden Radverkehrs leider keine Seltenheit. Zu den besonders gefährlichen Situationen gehört das Überholen. Das Berliner Kammergericht hat entschieden, dass Überholer vor dem Überholen grundsätzlich kein Warnzeichen abgeben müssen (KG Berlin – 22 U 146/16):
Im entschiedenen Fall hatte eine Radfahrerin den späteren Kläger überholt. Dieser kam zu Fall und erlitt unter anderem einen offenen Unterarmbruch. Aufgrund der Verletzungen verlangte der Kläger Zahlung von mehr als 16.000 Euro, bestehend aus Schadensersatz, Verdienstausfall und Schmerzensgeld. Da die Radfahrerin nicht zahlte, erhob er Klage. Ohne Erfolg. Das Landgericht Berlin wies die Klage zurück und das KG Berlin bestätigte diese Entscheidung:
Voraussetzung eines Anspruchs ist der durch den Kläger zu führende Nachweis, dass der Radfahrerin eine für den Unfall ursächliche Pflichtverletzung vorzuwerfen ist. Für das Vorliegen einer Pflichtverletzung ist der Anspruchsteller, also der Kläger, darlegungs- und beweispflichtig. Dieser Nachweis ist dem Kläger hier nicht gelungen.
Anforderungen an Überholen bei Radfahrern
Radfahrer haben links zu überholen (§ 5 Absatz 1 StVO) und es ist ein ausreichender Seitenabstand zu anderen Radfahrern einzuhalten (§ 5 Absatz 4 Satz 2 StVO). In dem entschiedenen Fall hielt das Kammergericht bei einem 1,75 Meter breiten Radweg einen seitlichen Abstand von einem Meter für ausreichend. Dem Vorbringen des Klägers, überholende Radfahrer ein Tonsignal abgeben müssten wenn sie zum Überholen ansetzen, erteilten die Berliner Richter eine Absage: Bei Einhaltung eines ausreichende seitlichen Abstands müsse der Überholer grundsätzlich nicht klingeln. Dass die Radfahrerin nicht geklingelt hatte, konnte daher nicht als Pflichtverstoß gewertet werden.
Hintergrund: Die Entscheidung befasst sich mit den für Radfahrer beim Überholen zu beachtenden Regeln. Mit der Maßgabe, dass links zu überholen und ein ausreichender seitlicher Sicherheitsabstand einzuhalten ist, hat das Gericht die allgemeinen Vorschriften angewendet, die auch für den Straßenverkehr gelten. Die Annahme, dass ein seitlicher Abstand von 1 Meter ausreicht, ist aber nicht ohne weiteres auf andere Fälle übertragbar, weil stets die Umstände des Einzelfalls entscheidend sind. Berichtenswert an der Entscheidung ist die Aussage, dass Radfahrer beim Überholen nicht klingeln müssen. Aber auch diese rechtlich nicht überraschende Maßgabe gilt nicht immer: an unübersichtlichen Stellen, Fahrbahnwechseln, Engstellen oder bei Kindern kann sehr wohl ein Klingeln notwendig sein. Die Entscheidung ist als Beschluss ergangen, weil das Gericht die gegen das LG-Urteil für nicht aussichtsreich hielt, was es den Streitparteien vorher mit einem Hinweisbeschluss mitteilte.
KG Berlin, Beschluss vom 09.04.2018 – 22 U 146/16
KG Berlin, Hinweisbeschluss vom 22.02.2018 – 22 U 146/16
LG Berlin, 19.07.2016 – 43 O 44/16