Zeit ist Geld. Bei Speditionen wird dieses Prinzip oft auf den Rücken der Lkw-Fahrer ausgetragen, die am besten ihre gesetzlich vorgeschriebenen Ruhezeiten im Lkw selbst verbringen sollen. Denn das spart Geld für externe Übernachtungen und Zeit, weil die Fahrer ihre Sachen dabeihaben und schneller wieder ans Steuer können. Nach Art. 8 Absatz 8 der EU-Verordnung Nr. 561/2006 haben Lkw-Fahrer grundsätzlich eine wöchentliche Ruhezeit von 45 Stunden einzuhalten sowie eine tägliche Ruhezeit von 11 Stunden, die im Fahrzeug verbracht werden darf, wenn dieses über eine geeignete Schlafmöglichkeit für jeden Fahrer verfügt und nicht fährt. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte darüber zu entscheiden, ob einem Transportunternehmen aus Belgien eine Geldstrafe auferlegt werden könne, weil Fahrer die 45-stündige Wochen-Ruhezeit im Fahrzeug verbrachten. Im konkreten Fall ging es um eine Geldbuße in Höhe von 1800 Euro. Der belgische Staat legte die EU-Verordnung Nr. 561/2006 dahingehend aus, dass diese das Verbringen der 45-Stunden-Ruhezeit nicht im Lkw zulasse, vielmehr haben die Fahrer nach dieser Interpretation außerhalb des Lkws zu schlafen. Der belgische Staat hielt die dem Transportunternehmen auferlegte Geldbuße daher für rechtens, da das belgische Recht lediglich die Bestimmungen der EU-Verordnung umsetze. Der EuGH hatte über die Auslegung der Verordnung Nr. 561/2006 zu entscheiden.
Der EuGH schloss sich der Rechtsauffassung des Staates Belgien an. Lkw-Fahrer dürfen die wöchentliche Ruhezeit (45 Stunden) nicht im Fahrzeug verbringen, sondern müssen dies außerhalb des Fahrzeugs tun. Diese Maßgabe ergebe sich zwar aus der Verordnung nicht explizit, wohl aber aus dem Regelungskontext der Vorschriften, die das Verbringen der Ruhezeit im Fahrzeug für die täglichen Ruhezeiten vorsehen. Im Umkehrschluss lasse sich daraus herleiten, dass diese Möglichkeit für die wöchentliche Ruhezeit nicht gilt. Das bedeutet, dass die in der Verordnung vorgesehene Möglichkeit, die Ruhezeit im Fahrzeug verbringen zu dürfen, auf die täglichen Ruhepausen beschränkt ist. Der EuGH stützt diese Interpretation maßgeblich auf den Schutzzweck der Verordnung, die eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen zum Ziel habe sowie eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen des im Transportsektor tätigen Personals.
Hintergrund: Die Entscheidung zu begrüßen, denn sie ist im Sinne der Arbeitsbedingungen der Lkw-Fahrer. Dass Fahrer die wöchentliche Ruhezeit nicht im Fahrzeug selbst, sondern außerhalb der Fahrzeuge in Hotels, Pensionen oder Gästezimmern verbringen müssen, verbessert nicht bloß die Arbeitsbedingungen, sondern fördert auch die Sicherheit im Straßenverkehr, denn der Erholungseffekt der Fahrer dürfte dadurch verbessert werden. Die Entscheidung wirkt sich in Deutschland praktisch nicht aus, denn dort wurde die Verordnung bereits so angewendet, wie es der EuGH nun entschieden hat. Mit einer Änderung der Praxis ist daher – jedenfalls in Deutschland – nicht zu rechnen. Gleichwohl stellt die Entscheidung eine wichtige Klarstellung dar, die es erleichtert, in Sachen Ruhezeit europaweit mit demselben Maßstab zu messen. Die Rechtslage ist durch die Entscheidung noch klarer, sodass kaum mehr Raum für Umgehungen besteht. Dass Schlafplätze in Lkw manchmal durchaus komfortabel sind, kann dem nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, denn jedenfalls die sanitären Einrichtungen sind in einem Lkw nicht vergleichbar mit denen in einem durchschnittlichen Pensionszimmer. Außerdem wird sich die Möglichkeit, das Fahrzeug für Übernachtungen zu verlassen, positiv auf das gesamte Wohlbefinden der Fahrer auswirken, nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass die Übernachtung in einem Hotel oder einer Pension sicherer ist als im Fahrzeug auf einem Autobahnparkplatz.
EuGH, Urteil vom 20.12.2017 – C-102/16 (Vaditrans BVBA / Belgischer Staat)
Verordnung (EG) Nr. 561/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 zur Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr und zur Änderung der Verordnungen (EWG) Nr. 3821/85 und (EG) Nr. 2135/98 des Rates sowie zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 des Rates (ABl. 2006, L 102, S. 1)