Lektüre von “Mein Kampf” rechtfertigt fristlose Kündigung (LAG Berlin, Urt. v. 25.09.2017 – 10 Sa 899/17)

Ein Mitarbieter des Ordnungsamts des Berliner Bezirksamts Reinickendorf hatte während der Arbeitszeit im Pausenraum eine Originalausgabe von “Mein Kampf” gelesen. Auf dem Buchdeckel des Hitler-Buchs war ein Hakenkreuz abgebildet. Aufgrund dieses Vorfalls erhielt der Mitarbeiter ohne vorherhige Abmahnung eine fristlose Kündigung. Der Mitarbeiter klagte dagegen. Ohne Erfolg. Das Landesarbeitsgericht Berlin (LAG Berlin) urteilte, dass der Kläger als Repräsentant des Landes Berlin für die freiheitlich-demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten habe. Das öffentliche Zeigen des Hakenkreuzes, das ein verfassungswidriges Symbol darstellt, sei damit nicht zu vereinbaren. Einer vorherhigen Abmahnung bedurfte es aus Sicht der Berliner Arbeitsrichter nicht, da es sich um einen schwerwiegenden Verstoß gehandelt habe. Das LAG Berlin hat die Revision nicht zugelassen.

Das Urteil überrascht nicht, denn “Mein Kampf” passt tatsächlich nicht mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik zusammen. In dem Buch wird an vielen Stellen die Auffassung vertreten, dass Juden rassisch minderwertiger seien als “Arier”, das Judentum wird gleichgesetzt mit Parasitentum und Verbrechertum – was die Vernichtung der Juden nahelege. Solche Ausführungen sind nicht bloß unerträglich, sondern stehen in direktem Widerspruch zum Grundgesetz, dessen oberstes Gebot der Schutz der Menschen ist (Art. 1 GG), in dem rassische Motive keine Rolle spielen, das unterschiedslos auf das Menschsein abstellt (Art. 3 GG) und Persönlichkeitsrechte schützt (Art. 2 Absatz 1, Art. 1 Absatz 1 GG). Bedeutet dieser Widerspruch zugleich, dass ein Mitarbeiter des Ordnungsamts dieses Buch nicht lesen darf?

Vorab eine Klarstellung: Der Verfasser ist weder Nazi noch AFD-Wähler, sondern Verfechter der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

Wer “Mein Kampf” liest oder sich für den Inhalt dieses Buches interessiert, ist kein Feind des Grundgesetzes. Vielmehr muss es auch Mitarbeitern von Ordnungsämtern gestattet sein, sich selbst eine Meinung zu bilden. Das Idealbild des mündigen Bürgers gilt nicht bloß für das Volk, sondern auch für Repräsentanten des Staates. Denkverbote haben da nichts zu suchen. Wer das Grundgesetz zu loben hat ohne “Mein Kampf” lesen zu dürfen, wird morgen womöglich denen angehören, die “Mein Kampf” loben und das Grundgesetz verbieten wollen. Das Recht, dieses Buch lesen zu dürfen, ergibt sich vielmehr bereits aus dem Grundgesetz selbst (Art. 2 Absatz 1 GG). Das Lesen des Buches kann daher von Rechts wegen nicht Anlass für eine Kündigung sein. Grund für eine Kündigung könnte das Lesen während der Arbeitszeit sein. Das Urteil liegt noch nicht im Volltext vor. Aus der öffentlichen Berichterstattung und der Pressemitteilung zur Terminsankündigung ist nicht zu entnehmen, ob der Mitarbeiter das Buch während der Pause gelesen hat. Sollte das nicht der Fall sein, liegt selbstverständlich ein Pflichtverstoß vor, denn Privatlektüre darf grundsätzlich nur während der Pausenzeiten erfolgen. In diesem Fall hätte es aber vor Ausspruch einer Kündigung einer vorherigen Abmahnung bedurft, die hier nicht ausgesprochen wurde. Damit verbleibt der Umstand, dass auf dem Buch ein Hakenkreuz abgedruckt war, welches im Pausenraum auch für andere Mitarbeiter sichtbar war. Sofern darin ein Straftatbestand zu erblicken ist, kann das eine fristlose Kündigung rechtfertigen. Anders als in den Medien wiedergegeben, kommt die Erfüllung des Straftatbestandes des § 86 StGB nicht in Betracht, denn diese Vorschrift setzt das Verbreiten, Herstellen, Vorrätighalten, Ein- oder Ausführen oder das öffentliche Zugänglichmachen voraus. Der Mitarbeiter hat hier nichts dergleichen gemacht. In Betracht kommt aber der Straftatbestand des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gemäß § 86a StGB. Das Hakenkreuz stellt ein unter die Vorschrift fallendes Zeichen dar. Strafbar ist in das Verbreiten oder das öffentliche Verwenden des Zeichens (§ 86 Absatz 1 Nr. 1 StGB). Hier könnte eine öffentliche Verwendung des Zeichens erfolgt sein. Da es sich hier um den Pausenraum des Ordnungsamts handelte, der nur für Mitarbeiter zu betreten ist, kann bezweifelt werden, ob das Erfordernis der “Öffentlichkeit” erfüllt ist. “Öffentlichkeit” im Sinne von § 86a StGB wird bei einer Wahrnehmbarkeit für einen größeren, durch persönliche Beziehungen nicht verbundenen Personenkreis angenommen, was z. B. bei frei zugänglichen Geschäftsräumen der Fall ist. Wesen der “Öffentlichkeit” ist die Unbestimmtheit des Kreises derjenigen, die die Tathandlung wahrnehmen können. In der strafrechtlichen Literatur schwankt die geforderte Mindestzahl zwischen 3 und 5 Personen. Ob der Pausenraum eines Amts die Anforderungen an die Öffentlichkeit erfüllt, darf bezweifelt werden, denn diesen durften nur Mitarbeiter betreten und daher ein von vornherein überschaubarerer Kreis von Personen. Ob die Mindestanzahl von Rezipienten gegeben war, kann anhand der bisher verfügbaren Berichterstattung nicht beurteilt werden. Darüber hinaus muss ein “Verwenden” vorliegen, was dann zu bezweifeln wäre, wenn der Mitarbeiter das Buch tatsächlich nur selbst lesen wollte und gar nicht bemerkte, dass andere das Hakenkreuz sehen. Letzterenfalls könnte dem Mitarbeiter, dem eine Lektüre des Buches nach § 86 Absatz 3 StGB zugestanden werden kann, allenfalls Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden. Für § 86a StGB ist aber Vorsatz erforderlich. Angesichts der unklaren Umstände kann strafbares Verhalten weder klar angenommen noch ausgeschlossen werden.

Die Kündigung kann aber auch dann gerechtfertigt sein, wenn das Verhalten einen schwerwiegenden Pflichtverstoß darstellt, der dem Arbeitgeber ein Festhalten am Beschäftigungsverhältnis unzumutbar macht, ohne dass zugleich ein Straftatbestand erfüllt sein muss. Hier ist die Signalwirkung zu berücksichtigen, denn es ist zu befürchten, dass das Beispiel Schule macht und sich das “Werk” auch in anderen Amtsstuben als Pausenlektüre etabliert. Dass sich alle Repräsentanten kritisch mit dem Buch auseinandersetzen ist alles andere als klar. Ein guter Grund also, den Geist gar nicht erst aus der Flasche zu lassen. Der Entscheidung ist daher im Ergebnis zuzustimmen. Mitarbeiter sollten daher “Mein Kampf” daheim lesen oder zumindest das Hakenkreuz so abdecken, dass es nicht zu sehen ist.

LAG Berlin, Urteil vom 25.09.2017 – 10 Sa 899/17