Frischen Wind in den Wettbewerb bei der Rechtsberatung bringt eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Anwaltswerbung. Eine Rechtsanwaltssozietät schaltete eine Zeitungsanzeige folgenden Inhalts:
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Die zuständige Rechtsanwaltskammer hielt die Werbung für unzulässig und erteilte der Sozietät eine belehrende Ermahnung. Eine kostenlose Erstberatung ohne ein Eingehen auf die Besonderheiten des Falls sei unzulässig und verstoße gegen § 49b BRAO, §§ 34, 4 RVG. Anwaltliche Leistungen dürften nur gegen angemessene Vergütung angeboten werden, was sich aus dem Gesamtzusammenhang der Regelungen, dem Äquivalenzprinzip und §§ 611 f. BGB ergebe. Dagegen wandten sich die Anwälte beim Brandenburgischen Anwaltgerichtshof. Mit Erfolg. Der Anwaltsgerichtshof hob die belehrende Ermahnung auf und ließ die Berufung zu. Der BGH bestätigte die Entscheidung.
Nach § 49b Absatz 1 Satz 1 BRAO ist es unzulässig, geringere Gebphren zu verlangen, als das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz vorsieht, soweit das Gesetz nicht Ausnahmen vorsieht. Eine Ausnahme für einen Verzicht auf Gebühren und Auslagen gilt nach § 49b Absatz 1 Satz 2 BRAO. Danach kann der Anwalt nach Erledigung des Auftrags auf Gebühren und Auslagen ganz oder teilweise verzichten. Da sich die Werbung hier nicht auf die Zeit nach der Erledigung des Auftrags bezieht, ist die Ausnahme nicht einschlägig. Für die Erstberatung sieht das Gesetz keine bestimmte Gebühr vor. Vielmehr ist diese Gebühr zwischen Anwalt und Mandant zu vereinbaren (§ 34 RVG). Fehlt es an einer Vereinbarung, kann der Anwalt Gebühren nach den Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) verlangen. Nach § 612 Absatz 2 BGB ist dies die “übliche” Vergütung. Da das Gesetz keine bestimmte Mindestgebühr für die Erstberatung vorschreibt, existiert keine Gebühr, deren Unterschreitung als Verstoß gegen § 49b Absatz 1 Satz 1 BRAO gewertet werden könnte. Danach sei, so der BGH, eine kostenlose Erstberatung zulässig. Der Argumentation der Kammer, dass die Gebühr dem Äquivalenzprinzip entsprechen müsse, das heißt, dass Leistung und Gegenleistung in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen müssen und dass der Verzicht auf eine Gebühr niemals “angemessen” sei, erteilte der BGH eine Absage: Gesetzlich ist die Vereinbarung einer niedrigeren als der gesetzlichen Vergütung zulässig, wenn die Vergütung in angemessenem Verhältnis zur Leistung, Verantwortung und zum Haftungsrisiko des Anwalts steht (vgl. § 4 Absatz 1 Satz 1 f. RVG). Die Vorschrift des § 4 Absatz 1 Satz 1 RVG ist aber nur dann anwendbar, wenn eine gesetzliche Vergütung existiert. Das ist bei den Gebühren der Erstberatung nach § 34 RVG nicht der Fall. Das Äquivalenzprinzip nach § 4 Absatz 1 Satz 1 RVG findet deshalb auf Gebührenvereinbarungen nach § 34 RVG keine Anwendung. Auch aus § 4 Absatz 1 Satz 3 RVG lässt sich nach Auffassung des BGH kein Verbot des Gebührenverzichts herleiten. Danach kann der Anwalt bei Vorliegen der Voraussetzungen der Beratungshilfe ganz oder teilweise auf die Vergütung verzichten. Den von der Kammer ins Feld geführten Umkehrschluss, dass in allen anderen Fällen ein Verzicht auf die Gebühren unzulässig sei, hielt der BGH für unzulässig. Vielmehr sei die Vorschrift im Hinblick auf außergerichtliche Beratungen Bedürftiger schlichtweg überflüssig, sondern habe nur Regelungswirkung für die Vertretung Bedürftiger, für die gesetzliche Gebühren vorgeschrieben seien.
Hintergrund: Die Entscheidung ist ein mittelschweres Beben in der Welt der Anwaltswerbung. Bislang war nicht höchstrichterlich geklärt, ob Anwälte eine kostenlose Erstberatung anbieten dürfen. Die Lobby der Anwaltschaft stemmte sich zur Vermeidung eines Verdrängungswettbewerbs dagegen und Anwaltskammern interpretierten die Vorschriften in ihrem Sinne. Das Verbot der kostenlosen Erstberatung ist jetzt Geschichte. Der BGH hat in letzter Instanz entschieden, dass Anwälte eine kostenlose Erstberatung anbieten dürfen. Mit dieser Alles-geht-Rechtsprechung wird der Anwaltschaft ein weiteres Stück Exklusivität genommen. Ein Nachsteuern des Gesetzgebers dahingehend, dass er für die Erstberatung gesetzliche Mindestgebühren vorschreibt, ist nicht zu erwarten. Vielmehr darf abgewartet werden, welche Anwaltsprivilegien der zunehmenden Aufweichung als nächstes zum Opfer fallen. Entgegen weitläufiger Kritik muss aber nicht befürchtet werden, dass sich alles zum Schlechten wendet. Spezialisierte und erfolgreiche Anwälte haben durch die neue Rechtsprechung kaum Einbußen zu erwarten, denn am Ende zählt die Qualität und die hat ihren Preis.
BGH, Urteil vom 03.07.2017 – AnwZ (Brfg) 42/16
AGH Brandenburg, Urteil 01.08.2016 – AGH I 2/15