Bei Maßnahmen zur Wärmedämmung kommt es häufig vor, dass benachbarte Flächen in Anspruch genommen werden müssen. Der eigentlich geringfügige Flächenbedarf führt aber nicht selten zu Streit unter Nachbarn. Entweder wird die Dämmung untersagt oder es werden horrende Ausgleichszahlungen dafür verlangt. Deshalb gibt es in mehreren Bundesländern Vorschriften, die eine Duldungspflicht für die Inanspruchnahme benachbarter Flächen anlässlich Wärmedämmungsmaßnahmen vorschreiben. Über die Berliner Regelung hatte nun der Bundesgerichtshof (BGH) zu entscheiden, die Vorschrift des Berliner Nachbarschaftsgesetzes lautet:
§ 16a NachbG Bln Wärmeschutzüberbau der Grenzwand
(1) Der Eigentümer eines Grundstücks hat die Überbauung seines Grundstücks für Zwecke der Wärmedämmung zu dulden, wenn das zu dämmende Gebäude auf dem Nachbargrundstück bereits besteht.
Bei einem bereits errichteten Mehrfamilienhaus wurde Dämmung angebracht, die auf das Nachbargrundstück hinüberragte. Die Nachbarn gingen dagegen vor. Der Bauträger berief sich auf § 16a des Berliner Nachbargesetzes und meinte, dass die Nachbarn zur Duldung verpflichtet seien. Ohne Erfolg. Der BGH hat entschieden, dass eine Duldungspflicht nicht besteht. Maßgeblich dafür war, dass das Mehrfamilienhaus bereits unter Geltung der Energieeinsparverordnung (ENEV) errichtet worden war und dass die Dämmung notwendig war, um die nach der ENEV geltenden Werte einzuhalten. Für den Fall der erstmaligen Herstellung des Bauwerks finde die Vorschrift des § 16a NachbG Berlin keine Anwendung, so der BGH, denn der Gesetzgeber habe mit dieser Vorschrift Wärmedämmungsmaßnahmen im Altbestand vereinfachen und fördern wollen. Für eine Privilegierung der erstmaligen regelkonformen Errichtung eines Bauwerks sind indessen keine Gründe ersichtlich. Die Duldungspflicht besteht daher nicht für den Fall, dass ein unter Geltung der ENEV nicht ENEV-konform errichtetes Bauwerk ENEV-konform hergestellt werden soll.
Interessant ist, dass der BGH ausdrücklich offen lässt, ob die Vorschrift verfassungsgemäß ist, was mit Blick auf die Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) näher geprüft werden könnte. Die Vorschrift des § 16a NachbarG Berlin dürfte als Inhalts- und Schrankenbestimmung zu qualifizieren sein, die für besonders krasse Fälle Ausgleichspflichten vorzusehen hat. Ob die Verweisung auf § 912 Absatz 2 BGB diesen Anforderungen genügt, darf bezweifelt werden, da der dort gewählte Ansatz, dass sich die Höhe der Geldrente auf den Zeitpunkt des Überbaus bezieht, wohl kaum den Umständen bei einer Gebäudedämmung gerecht wird.
Rechtslage in anderen Bundesländern
Die Entscheidung ist auf die Rechtslage in anderen Bundesländern übertragbar, sofern dort entsprechende Regelungen existieren. In Bundesländern ohne entsprechende Regelungen bedarf es stets der Zustimmung des Nachbarn, auf dessen Grundstück die Dämmung hinüberragen soll.
BGH, Urteil vom 02.06.2017 – V ZR 196/16
LG Berlin – Urteil vom 6. Juli 2016 – 85 S 68/14
AG Köpenick – Urteil vom 17. Januar 2014 – 12 C 94/13