OLG Karlsruhe, Beschluss vom 27.03.2020 – 1 Rb 36 Ss 832/19
Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Karlsruhe vom 22. August 2019 wird kostenpflichtig als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Karlsruhe verurteilte den Betroffenen am 22.08.2019 wegen vorschriftwidrigen Benutzens eines elektronischen Gerätes nach § 23 Abs. 1a StVO zu einer Geldbuße von 200 € und verbot ihm für die Dauer von einem Monat das Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr. Nach den insoweit getroffenen Feststellungen hatte der Betroffene am 15.03.2019 gegen 18:21 Uhr als Führer des Fahrzeugs der Marke „Tesla“ mit dem amtlichen Kennzeichen 111 auf der Bundesstraße 111 in Fahrtrichtung Süden vor der Abfahrt N den fest neben dem Lenkrad über der Mittelkonsole des Fahrzeugs installierten Berührungsbildschirm (Touchscreen) benutzt, um so die Intervalle des bereits wegen starken Regens eingeschalteten Scheibenwischers einzustellen. Aufgrund nicht angepasster Blickzuwendung auf den Bildschirm und der damit verbundenen Blickabwendung vom Verkehrsgeschehen kam der Betroffene bei regenasser Fahrbahn und starkem Regen jedoch von der Fahrbahn nach rechts ab, fuhr in eine Böschung und kollidierte dort mit einem Netzknotenstationierungszeichen und mehreren Bäumen. Dabei ist das Amtsgericht in seiner Entscheidung davon ausgegangen, dass der Betroffene bei Beachtung der im Straßenverkehr erforderlichen Sorgfalt den dabei entstandenen Sachschaden hätte vorhersehen und verhindern können. In rechtlicher Sicht hat das Amtsgericht den im „Tesla“ fest installierten Berührungsbildschirm (Touchscreen) als ein elektronisches Gerät i.S.d. § 23 Abs. 1a StVO angesehen. Insoweit hat der Tatrichter infolge der Auswertung der Bedienungsanleitung festgestellt, dass sich der Scheibenwischer des „Tesla“ zwar am Lenkrad ein- und ausschalten lasse, die Einstellung der Intervalle aber auf dem „Touchscreen“ zu erfolgen habe, wobei zunächst ein Scheibenwischersymbol berührt werden müsse, dann in einem Untermenü zwischen fünf Einstellungen gewählt werden könne und dieser Vorgang deutlich mehr Aufmerksamkeit des Fahrers als bei Bedienung des Scheibenwischer mit den herkömmlichen Armaturen erfordere.
Gegen die Einstufung des Berührungsbildschirms (Touchscreen) im „Tesla“ als elektronisches Gerät i.S.d. § 23 Abs. 1a StVO wendet sich der Betroffene über seinen Verteidiger. Dieser ist der Ansicht, dass es sich beim Geschwindigkeitsregler des Scheibenwischers im „Tesla“ um ein „sicherheitstechnisches Bedienteil“ handele und dieses damit kein elektronisches Gerät i.S.d. § 23 Abs. 1a StVO darstelle, da es nicht -wie es das Gesetz erfordere- der „Kommunikation, Information oder Organisation“ diene. Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe hat am 29.10.2019 auf Verwerfung der Rechtsbeschwerde als unbegründet angetragen, zu welcher sich der Verteidiger mit Schriftsätzen vom 31.12.2019, 06.02.2020 und 19.02.2020 geäußert hat. Mit Beschluss vom 28.02.2020 hat der Einzelrichter die Rechtsbeschwerde auf den Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen, weil es geboten ist, das Urteil zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nachzuprüfen (§ 80a Abs. 3 Satz 1 OWiG).
II.
Der Rechtsbeschwerde bleibt ein Erfolg versagt.
1. Die tatrichterliche Beweiswürdigung ist zunächst nicht zu beanstanden. Das Amtsgericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Betroffene unmittelbar vor dem Unfall das Bedienfeld des Berührungsbildschirms betätigte und wegen der damit verbundenen zeitweisen Unaufmerksamkeit von der Fahrbahn abgekommen ist. Seine Überzeugung durfte der Tatrichter durchaus auf die diesbezügliche eigene Einlassung des Betroffenen gegenüber der Polizeibeamtin POM´in X. im Rahmen der polizeilichen Unfallaufnahme stützen, zumal er zusätzlich noch andere denkbare Unfallursachen für das auf gerade Fahrstrecke erfolgte Abkommen des Fahrzeugs von der Fahrbahn, wie etwa technische Mängel, überhöhte Geschwindigkeit oder eine Unfallbeteiligung Dritter nachvollziehbar ausgeschlossen hat.
2. Der fest im Fahrzeug der Marke „Tesla“ installierte Berührungsbildschirm (Touchscreen) stellt ein elektronisches Gerät i.S.d. § 23 Abs. 1a Satz 1 und 2 StVO dar, dessen Bedienung dem Kraftfahrzeugführer nur unter den Voraussetzungen dieser Vorschrift gestattet ist.
2.1 Nach § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO darf der Führer eines Fahrzeugs ein elektronisches Gerät, das der Kommunikation, Information oder Organisation dient oder zu dienen bestimmt ist, nur benutzen, wenn hierfür das Gerät weder aufgenommen noch gehalten wird und entweder a) nur eine Sprachsteuerung und Vorlesefunktion genutzt wird oder b) zur Bedienung und Nutzung des Gerätes nur eine kurze, den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen angepasste Blickzuwendung zum Gerät bei gleichzeitig entsprechender Blickabwendung vom Verkehrsgeschehen erfolgt oder erforderlich ist. Ergänzend hierzu zählt das Gesetz in § 23 Abs. 1a Satz 2 StVO Geräte auf, welche als elektronisches Gerät gelten. Danach sind Geräte auch solche der Unterhaltungselektronik oder Geräte zur Ortsbestimmung, insbesondere Mobiltelefone oder Autotelefone, Berührungsbildschirme, tragbare Flachrechner, Navigationsgeräte, Fernseher oder Abspielgeräte mit Videofunktion oder Audiorekorder.
2.2 Insoweit ist zunächst festzustellen, dass die Vorschrift des § 23 Abs. 1a StVO in der Fassung der Verordnung vom 18.05.2017 durch Art. 1 Nr. 1 der 53. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 06.10.2017 (BGBl. I, S. 3549) mit Wirkung zum 19.10.2017 grundlegend geändert wurde. Erfasst werden danach (BR-Drs. 556/17, S. 25 ff.) nunmehr sämtliche elektronische Geräte, die der Kommunikation, Information oder Organisation dienen oder zu dienen bestimmt sind. Dies sind nicht nur „Mobiltelefone oder Autotelefone“, sondern auch Berührungsbildschirme, tragbare Flachrechner, Navigationsgeräte, Fernseher oder Abspielgeräte mit Videofunktion oder Audiorekorder. Unerheblich ist hierbei auch, ob das Navigationsgerät fest im Fahrzeug verbaut ist. Die Vorschrift unterscheidet – wie sich aus § 23a Abs. 1a Ziffer 2 StVO zweifelsfrei ergibt – nicht zwischen mobilen und immobilen elektronischen Geräten (KG, VRS 135, 300), so dass auch ein fest im Fahrzeug eingebautes Gerät vom Anwendungsbereich erfasst ist.
2.3 Im Hinblick auf die Frage, ob auch der im „Tesla“ eingebaute „Touchscreen“ hierunter fällt, hat bereits der Tatrichter in seiner wohlbegründeten Entscheidung wie folgt ausgeführt:
„Der fest in dem PKW der Marke Tesla fest installierte Berührungsbildschirm (Touchscreen), der nicht i.S.v. § 23 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 StVO aufgenommen oder in der Hand gehalten werden muss, ist ein elektronisches Gerät i.S.v. § 23 Abs. 1a Satz 2 StVO, dessen Bedienung dem Kraftfahrzeugführer nur unter den Voraussetzungen von § 23 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 StVO gestattet ist.
Obergerichtliche Rechtsprechung oder einschlägige Kommentierungen zu § 23 Abs. 1a StVO a.F., aus der Rückschlüsse auf die vorliegende Fallkonstellation gezogen werden können, stehen nicht zur Verfügung (jedoch: eingehend z. Thema Will, NJW 2019, 1633). Die Subsumtion unter den Begriff des elektronischen Gerätes i.S.d. Norm könnte man in Zweifel ziehen, da die Scheibenwischereinstellung über den Bildschirm im PKW des Betroffenen lediglich an die Stelle der herkömmlichem „analogen“ Einstellung mittels Hebel und Stellrädchen tritt, deren Bedienung dem Kraftfahrzeugführer nicht untersagt ist. Bezweifeln lässt sich auch, dass die Einstellung des Scheibenwischers über den Bildschirm der Kommunikation, Information oder Organisation zu dienen bestimmt ist i.S.v. § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO. § 23 Abs. 1a Satz 2 StVO enthält jedoch eine – nicht abschließende- Liste von Elektronikgeräten, die „auch“ Geräte i.S.d. Norm darstellen. Die Verwendung des Wortes auch deutet darauf hin; dass es sich nicht lediglich um konkretisierende Beispiele handelt; sondern dass der Begriff des elektronischen Geräts i.S.d. Gesetzes durch einige der in Satz 2 genannten Begriffe erweitert wird. Die klarstellende Wirkung von § 23 Abs. 1a Satz 2 StVO liegt so in erster Linie darin, dass die dort genannten Gerätekategorien (Unterhaltungselektronik, Ortsbestimmung) und Gerätegruppen (z.B. Flachrechner) auf jeden Fall elektronische Geräte i.S.d. § 23 Abs. 1a StVO sind. Dies bedeutet konkret, dass ein von Satz 2 erfasstes Gerät nicht etwa zusätzlich auch noch die gerätebezogenen Tatbestandsmerkmale des Satzes erfüllen müsste (Will, NJW 2019, 1633, 1634). Berührungsbildschirme, die selten verwendete deutsche Form des Touchscreens, werden in Satz 2 ausdrücklich und ohne Einschränkung bzgl. ihrer Funktion als elektronisches Gerät i.S.d. Gesetzes aufgeführt.
§ 23 Abs. 1a Satz 2 StVO bezieht sich zunächst auf Geräte der Unterhaltungselektronik und der Ortsbestimmung und zählt dann beispielhaft einzelne Gerätetypen „insbesondere“ auf, wie u.a. Berührungsbildschirme. Die Einstellung des Scheibenwischers über einen solchen dient allerdings weder der Unterhaltung noch der Ortsbestimmung. Nach grammatikalischer Auslegung könnten die einzelnen Gerätegruppen des § 23 StVO Abs. 1a StVO lediglich Beispiele für elektrische Geräte der Unterhaltungselektronik oder zur Ortsbestimmung sein und den Tatbestand entsprechend eingrenzen. Unter den Gerätegruppen finden sich aber zum Beispiel auch Geräte, die weder Geräte der Unterhaltungselektronik sind, noch der Ortsbestimmung dienen (z.B. Autotelefone oder Audiorekorder). Auch die dort genannten mobilen Flachrechner sind je nach Verwendung nicht unbedingt Geräte der Unterhaltungselektronik oder solche zur Ortsbestimmung. Dies spricht dafür, dass die einzelnen, nach dem Adverb „insbesondere“ genannten Gerätegruppen letztlich konkrete Fälle von elektronischen Geräten i.S.v. § 23 Abs. 1a StVO sind (Will NJW 2019, 1633, 1634).
Es stellt sich die Frage, ob die Nennung des Berührungsbildschirms in § 23 Abs. 1a Satz 2 StVO ohne jegliche Einschränkungen bzgl. des Verwendungswecks dem Wortlaut gemäß soweit zu verstehen ist, dass auch die Bedienung originärer Funktionen eines Kraftfahrzeugs, wie etwa des Scheibenwischers, erfasst sein sollen. Aus der Systematik der Geräteliste des § 23 Abs. 1 Satz 2 StVO fällt er markant heraus, enthält diese doch ansonsten Gerätegruppen, die jeweils bestimmte Nutzungsarten ermöglichen (z.B. Kommunizieren oder Navigieren). Ein Berührungsbildschirm ist hingegen lediglich eine spezielle Art von Interface, das als kombiniertes Ein- und Ausgabegerät grundsätzlich in unterschiedlichsten funktionalen Kontexten – also zum Beispiel auch zur Bedienung eines Kfz – eingesetzt werden kann. Die Einbeziehung von jeglichen Berührungsbildschirmen hat damit die weitreichende Folge, dass ein Gerät auf jeden Fall ein elektronisches Gerät i.S.d. § 23 Abs. 1 StVO ist, wenn es über einen Touchscreen verfügt. Danach sind alle fahrzeugbezogenen Bedienungseinheiten mit Touchscreen erfasst. § 23 Abs. 1a StVO könnte sich infolgedessen – möglicherweise vom Verordnungsgeber unbeabsichtigt – als limitierender Faktor für die zunehmende, aus Sicht der Verkehrssicherheit problematische Verwendung von Touchscreens in Kfz- Bedieneinheiten erweisen (Will, NJW 2019, 1633, 1635).
Sinn und Zweck des § 23 Abs. 1 a StVO spricht für die Einbeziehung sämtlicher Berührungsbildschirme, entsprechend dem weit gefassten Wortlaut ohne Einschränkung. § 23 Abs. 1a StVO dient der Unfallverhütung und soll Ablenkungen des Fahrzeugführers vom Verkehrsgeschehen, die durch die Blickzuwendung bei der Bedienung elektronsicher Geräte entstehen, verhindern. Es macht dabei für die Ablenkung des Fahrzeugführers keinen Unterschied, welcher Zweck mit der Bedeutung des elektronischen Gerätes konkret von ihm verfolgt wird. Die Blickzuwendung auf einen Berührungsbildschirm während der Fahrt lenkt die Aufmerksamkeit des Fahrers unabhängig davon ab, ob er einen Kurs in das Navigationsgerät eingibt oder den Scheibenwischer einstellt. § 23 Abs. 1a StVO a.F. wurde deshalb im Vergleich zur alten Fassung, die nur Mobil- und Autotelefone umfasste, bzgl. der Tatbestandsmäßigkeit elektronischer Geräte erheblich erweitert. Der Kraftfahrzeugführer wird durch die Aufnahme von Berührungsbildschirmen in § 23 Abs. 1a StVO a.F. auch nicht unverhältnismäßig bei der Bedienung seines Fahrzeugs eingeschränkt. § 23 Abs. 1 Nr. 1a Satz 1 Nr. 2 Satz 2 StVO verbietet die Bedienung originärer Funktionen eines Kraftfahrzeugs durch Berührungsbildschirme nicht an sich, sondern gestattet sie unter den Voraussetzungen von Satz 1 Nr. 2 anders als in der Hand zu haltende Geräte, die gemäß Satz 1 Nr. 1 grundsätzlich verboten sind. Sofern zur Bedienung und Nutzung des fest im PKW installierten Berührungsbildschirms nur eine kurze, den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnisse angepasste Blickzuwendung zum Gerät bei gleichzeitig entsprechender Blickabwendung vom Verkehrsgeschehen erfolgt oder erforderlich ist, darf das Gerät auch weiterhin vom Fahrzeugführer verwendet werden.“
2.4 Diesen Ausführungen schließt sich der Senat grundsätzlich an und bemerkt ergänzend:
Zwar stellt der im Touchscreen des „Tesla“ eingebaute Geschwindigkeitsregler des Scheibenwischers selbst kein elektronisches Gerät dar, welches der „Kommunikation, Information oder Organisation“ dient (zur Definition dieser Merkmale, König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage 2019, § 23 StVO Rn. 31; Will NJW 2019, 1633 ff, 1635), sondern es handelt sich – worauf der Verteidiger zu Recht hinweist – um ein sicherheitstechnisches Bedienteil des Fahrzeugs. Dieses ist jedoch in den „Touchscreen“ des „Tesla“ fest eingebaut, welcher auch andere Funktionen beinhaltet, wie etwa ein der Information dienendes Navigationsgerät, so dass der Berührungsbildschirm auch aus verkehrstechnischen Sicherheitsgründen insoweit nur einheitlich betrachtet werden kann und von der Verbotsnorm nicht einzelne Anwendungen herausgenommen werden können. Diese Auslegung wird auch vom Wortlaut der Norm gedeckt, denn das in § 23 Abs. 1a Satz 2 StVO verwendete Adverb „auch“ stellt klar, dass die in § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO verwendeten Merkmale der der „Kommunikation, Information oder Organisation“ dienenden Geräte nicht abschließend ist (ebenso Will, a.a.O., 1633 f.), zumal dann die in § 23 Abs. 1a Satz 2 StVO erfolgte Aufzählung auch überflüssig wäre. Hinzu kommt, dass auch der weitere Inhalt der Vorschrift für eine solche weite Auslegung spricht, denn auch bei der in § 23a Abs. 1b Satz 3 StVO aufgeführten Rückwärtsfahrkamera handelt es sich um ein technisches Bedienteil, so dass die dort aufgeführte Sonderregelung nicht veranlasst gewesen wäre, wenn solche Bedienteile nicht unter den Anwendungsbereich der Norm fallen würden.
3. Die aufgrund der erhobenen Sachrüge erfolgte Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben, insbesondere ist das vom Amtsgericht verhängte Fahrverbot – die Geldbuße entspricht dem Regelfall nach Nr. 246.3 BKat – im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Unterschriften