Haftung des Radfahrers bei unerlaubtem Fahren auf der Straße (LG Hamburg, Urt. v. 30.08.2018 – 323 O 79/18)

Besteht eine Pflicht zur Benutzung des Radwegs und fährt der Radfahrer dennoch auf der Straße, haftet er bei einer Kollision für den entstandenen Schaden. So entschied das Landgericht Hamburg (LG Hamburg) in seinem Urteil vom 30.08.2018.

Der Fall

Der Beklagte war Radfahrer und befuhr mit seinem Fahrrad eine öffentliche Straße. In diesem Bereich bestand jedoch aufgrund des Verkehrszeichens 237 eine Pflicht zur Benutzung des Radwegs. Plötzlich stürzte der Beklagte mit seinem Fahrrad. Er stieß mit einem auf dem benachbarten Parkstreifen ordnungsgemäß parkenden Fahrzeug. Das Fahrzeug gehörte dem Kläger. Am Fahrzeug des Klägers entstand ein Sachschaden von mehr als 5.000,- €. Der Kläger verlangte vom Beklagten den Ersatz des vollen Schadens. Der Beklagte lehnte eine Haftung ab. Er behauptete, er sei von einem vorbeifahrenden LKW gestreift worden. Aufgrund dessen sei er gestürzt und gegen das Fahrzeug des Klägers gestürzt. Der Beklagte war daher der Auffassung, er sei für den Schaden nicht verantwortlich. Der Kläger erhob daraufhin Klage beim LG Hamburg.

Entscheidung des LG Hamburg

Das LG Hamburg gab dem Kläger Recht. Der Beklagte wurde zur Zahlung des gesamten Schadens verurteilt. Das LG Hamburg weist in seinem Urteil darauf hin, dass der Beklagte vollumfänglich haftet, weil er gegen die Radwegbenutzungspflicht verstoßen hat. Die Haftung besteht auch unabhängig davon, ob der Beklagte tatsächlich von einem LKW gestreift wurde. Für den Bereich des Unfalls galt das Verkehrszeichen 237 (Anlage 2 zu § 35a StVO). Hiernach bestand für Radfahrer die Pflicht, den vorhandenen Radweg zu benutzen. Das tat der Beklagte nicht. Er hat damit gegen die Vorschrift des § 2 Absatz 4 Satz 2 StVO verstoßen. Nach dem Urteil des LG Hamburg liegt ein schuldhafter Verkehrsverstoß des Beklagten vor. Wäre der Beklagte –wie es seine Pflicht war- auf dem Radweg gefahren, wäre er nicht vom LKW gestreift worden, wie es der Beklagte behauptet. Dann hätte es keinen Sturz gegeben. Das ordnungsgemäß parkende Parkzeug des Klägers wäre nicht beschädigt worden.

Auch die Tatsache, dass das Fahrzeug des Klägers parkte und somit nicht aktiver Verkehrsteilnehmer war, ändert hieran nichts. Das LG Hamburg weist darauf hin, dass auch ordnungsgemäß parkende Fahrzeuge in den Schutzbereich des § 2 Absatz 4 Satz 2 StVO einbezogen sind. Diese Vorschrift dient der Vermeidung von Unfällen durch „Entmischung des Rad- und des Kraftfahrzeugverkehrs“, so das LG Hamburg unter Berufung eines entsprechenden Urteils des Oberlandesgerichts Hamm (OLG Hamm, NZV 1995, 26,27).

Kein Mitverschulden bei ordnungsgemäßem Parken

Den Kläger traf auch kein Mitverschulden. Das LG Hamburg weist darauf hin, dass ein Mitverschulden aus der Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs nicht in Betracht kommt. Das Fahrzeug des Klägers war ordnungsgemäß zum Parken abgestellt. Es engte weder den Verkehrsraum ein, noch lag eine sonstige Beeinträchtigung vor, so das LG Hamburg. Eine Betriebsgefahr ging von diesem Fahrzeug nicht aus.

Das LG Hamburg ging daher von einer vollen Haftung des Beklagten aus und gab der Klage statt.

LG Hamburg, Urteil vom 30.08.2018 – 323 O 79/18

4 Gedanken zu „Haftung des Radfahrers bei unerlaubtem Fahren auf der Straße (LG Hamburg, Urt. v. 30.08.2018 – 323 O 79/18)“

  1. Das verzwickte an dem Urteil ist, dass die Begründung falsch ist, das Ergebnis aber mit richtiger Begründung möglich.

    Einem Radfahrer, der eine Radwegbenutzungspflicht ohne triftigen Grund mißachtet, wird bei einem Unfall seit jeher eine Mitschuld angelastet – in der Regel 25%. Unstrittig ist auch, dass jeder, der sein Fahrzeug korrekt parkt, im Falle einer Beschädigung eine Entschädigung gegen den/die Unfallverursacher zusteht. Wenn nur ein Verursacher von zweien dingfest gemacht wird, wird der ohne eigenes Mitverschulden Geschädigte an ihn halten können.

    Perfide ist die Begründung allerdings dadurch, dass das Gericht auf die Einlassung des Beklagten überhaupt nicht eingeht. Im Grund behauptet dieser, triftige Grunde für das verlassen des Radweges hätten vorgelegen (eine Mitschuld also von vornherein ausgeschlossen) und er sei selbst Opfer sogar einer Straftat von einigem Gewicht (rücksichtslos falsches Überholen mit Gefährung von Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremder Sachen von bedeutendem Wert, § 315 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b) StGB) geworden. Man kann beides als Schutzbehauptung abtun, was aber vor dem Hintergrund der Beweislastregeln für Schadenersatz deutlich mehr Begründungsaufwand erfordert hätte, zumal die Radwegqualität in Hamburg bekannt unterirdisch ist. Aber dahin gestellt zu lassen, ob der vermeindliche Schädiger selbst Opfer ist, ohne sich mit seiner Darstellung des Vorfalls auseinander zu setzen, setzt völlig falsche Maßstäbe.

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  2. Die Entscheidung sendet in der Tat ein falsches Signal. Rechtlich finde ich die vom Gericht bemühte reine Kausalitätsbetrachtung (wenn der Radfahrer auf dem Radweg gefahren wäre, wäre der Unfall nicht passiert) sehr bedenklich. Radfahrer werden durch das Urteil aber nicht zu “Freiwild”, denn bei einem Mitwirken des Autofahrers/-halters (z. B. falsch Parken, Überholen) hätte der Radfahrer nicht voll gehaftet.

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    • Es wurde ein fasches Überholen durch einen Lkw behauptet. Wie gesagt wurde sogar ein extrem schwerwiegender Überholfehler behauptet. Mehr geht nicht. Offenbar wurde zudem eine Unfallflucht des Lkw- Fahrers behauptet. Jedenfalls kann man den festgestellten Sachverhalt nur so interpretieren. Das Gericht hat aber geurteilt, dass der Radfahrer selbst dann voll haften würde, wenn der Lkw-Fahrer gestellt worden wäre. Mehr Abschussprämie für Radfahrer abseits das Radwegs geht nicht. Da wurde der Lynchmob auf der Straße gefüttert.

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  3. Das Urteil kann so interpretiert werden, dass es auf die Mitwirkung des LkW-Fahrers nicht ankommt. Wer auf der Straße fährt, obwohl es einen Radweg nebst Benutzungspflicht gibt und durch zu knappes Überholen stürzt, haftet. Das darf als Einladung verstanden werden, “aufmüpfigen” Radfahrern eine Lektion zu erteilen. Das Gericht hätte gut daran getan, auf das Vorbringen des Radlers einzugehen. Darauf kommt es nämlich sehr wohl an. Die Beweislast und Erweislichkeit des Vorbringens ist dann eine andere Frage. Dass eine solche Entscheidung aus einer Großstadt wie Hamburg kommt, in der doch Radfahren eine gute Lobby haben müsste, irritiert. Sicherheitshalber noch einmal für alle Autofahrer: Auch Radfahrer, die unerlaubt auf der Straße fahren, müssen mit ausreichendem Abstand überholt werden. Wer den Abstand nicht einhält oder Radfahrer sogar touchiert, riskiert durch diese “Lektion” bis zu 10 Jahre Haft und muss den Schaden bezahlen (§ 315c Absatz 1 Nummer 2 Buchstabe b, §§ 223 f., 229 StGB, §§ 823, 826 BGB, §§ 7, 18 StVG).

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