Unfall eines Fahrradfahrers bei Öffnen der Tür eines parkenden PKW (OLG Celle, Urt. v. 06.11.2018 – 14 U 61/18)

Kommt es beim Öffnen der Tür eines parkenden PKW zu einem Unfall mit einem vorbeifahrenden Fahrradfahrer, spricht der Beweis des ersten Anscheins für eine volle Haftung des PKW-Fahrers.

Beträgt der seitliche Abstand zwischen dem Fahrradfahrer und dem parkenden Auto bei entsprechenden Straßenverhältnissen weniger als 50 cm, trifft den Fahrradfahrer ein Mitverschulden. Die Beweislast hierfür trägt der PKW-Fahrer.

So entschied das Oberlandesgericht Celle (OLG Celle) mit seinem Urteil vom 06.11.2018 (14 U 61/18).

Der Fall

Ein 81-jähriger Fahrradfahrer befuhr mit seinem Fahrrad eine Straße. Am rechten Fahrbahnrand befanden sich auf einem Seitenstreifen mehrere Parkplätze. Auf einem dieser Parkplätze parkte die Beklagte zu 1) ihren PKW. Als die Beklagte zu 1) aussteigen wollte, öffnete sie ihre Fahrertür. Dabei kam es zu einem Zusammenstoß mit dem Fahrradfahrer. Dieser stürzte und zog sich erhebliche Verletzungen zu. Wie weit die Fahrertür der Beklagten zu 1) beim Zusammenstoß geöffnet war, ist zwischen den Beteiligten streitig.

Der Fahrradfahrer verlangte von der PKW-Fahrerin Schadensersatz und Schmerzensgeld. Er ging von einer vollständigen Haftung der Beklagten zu 1) aus.

Prozessverlauf

Der Fahrradfahrer erhob Klage vor dem zuständigen Landgericht. Er verlangte unter anderem von der Beklagten zu 1) als Fahrerin den Ersatz des Schadens in voller Höhe und Schmerzensgeld. Die Beklagte zu 1) behauptete ein Mitschulden des Fahrradfahrers aufgrund des zu geringen seitlichen Abstands zu ihrem Auto. Das Landgericht ging von einem Mitverschulden des Fahrradfahrers von 20% aus. Es verurteilte die Beklagte zu 1) zur Erstattung des Schadens in Höhe von 80%. Das Landgericht sah es als erwiesen an, dass der Abstand zwischen Fahrradfahrer und PKW bei dem Zusammenstoß lediglich 20-25 cm betragen hat. Aufgrund des zu geringen Seitenabstands treffe den Fahrradfahrer ein Mitverschulden in Höhe von 20%.

Der Fahrradfahrer legte gegen das Urteil Berufung ein. Kurze Zeit später verstarb er. Das Berufungsverfahren wurde von der Erbin als Klägerin weitergeführt. Das OLG Celle hatte nun über die geltend gemachten Ansprüche zu entscheiden.

Entscheidung des OLG Celle

Das OLG Celle entschied, dass die Beklagte zu 1) vollumfänglich für den Schaden aufkommen muss. Den Fahrradfahrer trifft nach dem Urteil des OLG Celle keine Schuld. Die Berufung der Klägerin hatte damit Erfolg.

Aufgrund des unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhangs zwischen dem Zusammenstoß und dem Öffnen der Fahrertür spricht der Beweis des ersten Anscheins für ein volles Verschulden der Beklagten zu 1). Diesen Beweis des ersten Anscheins konnte die Beklagte zu 1) nicht erschüttern, so das OLG Celle. Gemäß § 14 Absatz 1 StVO hätte sich die Beklagte zu 1) so verhalten müssen, dass eine Gefährdung anderen Verkehrsteilnehmer ausscheidet. Die Beklagte zu 1) gab während des Verfahrens an, sie habe den Fahrradfahrer nicht gesehen. Dieser muss jedoch auf der geraden Straße sichtbar gewesen sein. Es liegt damit ein Verstoß gegen die höchsten Sorgfaltspflichten im Straßenverkehr gemäß § 14 Absatz 1 StVO. Die Beklagte zu 1) traf daher nach Auffassung des OLG Celle ein erhebliches Verschulden. Hinzu kam die allgemeine Betriebsgefahr des PKW.

Mithaftung des Fahrradfahrers

Eine Mithaftung des Fahrradfahrers bzw. der Klägerin als Rechtsnachfolgerin konnte nach Auffassung des OLG Celle nicht festgestellt werden. Für ein Mitverschulden des Fahrradfahrers war die Beklagte zu 1) beweisbelastet.

Im Rahmen der Beweisaufnahme ist in der ersten Instanz ein Sachverständigengutachten eingeholt worden. Ein Sachverständiger hatte zu beurteilen, wie weit die Fahrertür zum Zeitpunkt des Unfalls geöffnet war. Hieraus sollte auf den seitlichen Abstand zwischen Fahrradfahrer und PKW geschlossen werden. Der Sachverständige kam zu dem Ergebnis, dass ein Öffnungswinkel von 10 und 30 Grad möglich gewesen ist. Bei einem Öffnungswinkel von 30 Grad müsste man von einem seitlichen Abstand von 60 cm ausgehen. Bei den Straßenverhältnissen am Unfallort hätte der Fahrradfahrer einen seitlichen Abstand von mindestens 50 cm einhalten müssen. Hiervon geht des OLG Celle in seinem Urteil aus.

Seitlicher Mindestabstand – Straßenverhältnisse entscheidend

Für die Beurteilung eines einzuhaltenden seitlichen Mindestabstands gibt es keinen objektiven Wert. Vielmehr sind die jeweiligen Umstände des Einzelfalls entscheidend, so das OLG Celle. Nach der Rechtsprechung sollte der seitliche Abstand zu geparkten Autos ca. einen Meter betragen (OLG Düsseldorf, Urteil vom 11. Mai 2005 – 1 U 158/03). Bei beengten Straßenverhältnissen kann der Abstand auch geringer ausfallen, so das OLG Celle. In diesem Rechtsstreit ging das OLG Celle aufgrund der Straßenverhältnisse von einem mindestens einzuhaltenden seitlichen Abstand von 50 cm aus.

Da aufgrund der Ergebnisse des Sachverständigen ein seitlicher Abstand von 60 cm möglich war, konnte ein Unterschreiten des Mindestabstands von 50 cm nicht nachgewiesen werden. Die Darlegungs- und Beweislast lag hier bei der Beklagten zu 1). Nach Auffassung des OLG Celle war ein Mitverschulden des Fahrradfahrers daher zu verneinen.

Hinzu kam, dass das Öffnen der Fahrertür für den Fahrradfahrer plötzlich und unverhofft kam. Für den Fahrradfahrer war das Öffnen der Tür nicht erkennbar. Auch hieraus konnte ein Mitverschulden des Fahrradfahrers nicht abgeleitet werden.

Das OLG Celle ging daher von einem vollen Verschuldensanteil von 100% zu Lasten der Beklagten zu 1) aus. Hieraus folgte für die Beklagte zu 1) die volle Haftung für den entstandenen materiellen und immateriellen Schaden.

Die Berufung der Klägerin war erfolgreich.

OLG Celle, Urteil vom 06.11.2018 – 14 U 61/18

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