Über die Anforderungen an die Widerlegung der so genannten Redlichkeitsvermutung im Versicherungsrecht hatte das OLG Hamm zu entscheiden. Der Kläger klagte gegen seine Kaskoversicherung, die sich weigerte, Ersatz für einen Teilediebstahl zu leisten. Konkret ging es um Räder und Scheinwerfer eines Porsche 911, deren Wiederbeschaffungswert zusammen mit Reparaturkosten eine Summe von 31.472,52 Euro ausmachten. Die Versicherung bezweifelte die Darstellung des Klägers, dass die Teile gestohlen worden sind und verweigerte die Leistung. Im Prozess berief sich die Versicherung auf Leistungsfreiheit, weil der Kläger seine Obliegenheiten verletzt habe, weil er sich geweigert hat, Fragen eines von der Versicherung bestellten Sachverständigen zu beantworten und das Fahrzeug näher untersuchen zu lassen. In einer gerichtlichen Anhörung erklärte der Kläger zunächst, von seinem Rechtsanwalt dahingehend beraten worden zu sein, dass er nicht zu einer Nachbesichtigung des Fahrzeugs verpflichtet sei. Später habe der Rechtsanwalt aber seine Meinung dahingehend geändert, dass der Kläger sehr wohl zu einer Nachbesichtigung verpflichtet sei. Der Kläger habe aber weiterhin an der Weigerung festgehalten. Später habe sich der Rechtsanwalt auf den Standpunkt gestellt, der Kläger sei nicht verpflichtet, eine Nachbesichtigung durchführen zu lassen. Das Gericht erklärte daraufhin, dass in der Weigerung zur Nachbesichtigung eine Obliegenheitsverletzung zu erblicken sei, die zur Leistungsfreiheit führe (vgl. § 28 VVG, E.1 AKB). Daraufhin änderte der Kläger seine Darstellung dahingehend, dass eine Nachbesichtigung deshalb nicht stattgefunden habe, weil der Kläger einen Nachbesichtigungstermin abgesagt habe, weil er zu dem Zeitpunkt keine Zeit gehabt habe. Erst danach habe ihm sein Rechtsanwalt von der Vornahme einer Nachbesichtigung abgeraten.
Das OLG Hamm entschied gegen den Kläger: Denn dem insoweit beweisbelasteten Kläger ist der Nachweis, dass die Teile gestohlen worden sind, nicht gelungen. Dabei gilt zugunsten des Versicherungsnehmers die Beweiserleichterung des äußeren Bildes eines Teilediebstahls. Das bedeutet, dass der Versicherungsnehmer dann, wenn nach dem äußeren Bild ein Teilediebstahl vorliegt, eine Vermutung dafür anzunehmen ist, dass die Teile tatsächlich gestohlen worden sind. Das äußere Bild kann auch durch den Kläger selbst dargelegt werden und es ist kraft einer im Versicherungsrecht zugunsten des Versicherungsnehmers anzunehmenden Redlichkeitsvermutung davon auszugehen, dass die gemachten Angaben zutreffend sind. Bemerkenswert ist, dass das OLG Hamm die Redlichkeitsvermutung nicht dadurch erschüttert sah, dass der Kläger vorgerichtlich gegenüber der Versicherung wahrheitswidrig behauptet hatte, dass er sich aufgrund der Zahlungsweigerung ein Auto habe kaufen müssen – tatsächlich hat der Kläger kein Auto gekauft, sondern er hatte einen Zweitwagen zur Verfügung gehabt. Die Redlichkeitsvermutung sah das Gericht aber durch die widersprüchlichen Aussagen zum Geschehen um die Nachuntersuchung als erschüttert an, da das Gericht zu der Überzeugung gelangte, dass der Kläger, nachdem das Gericht von einer Obliegenheitsverletzung ausging, bewusst die Unwahrheit gesagt hat und das Geschehen anders darstellte. Nachvollziehbare Gründe für die andere Darstellung seien nicht erkennbar, insbesondere sei nicht nachvollziehbar, warum die vom Kläger ins Feld geführte Nervosität zu einer anderen Darstellung geführt haben soll.
Hintergrund: Die Entscheidung verdient Zustimmung, denn sie überspannt die Anforderungen an die Wahrheitspflicht nicht, indem sie nicht jede Unrichtigkeit mit dem Wegfall der Redlichkeitsvermutung straft, und sie setzt einem offenkundig je nach Prozesslage vortragenden Kläger klare Grenzen. Prozessparteien sollten sich sehr genau überlegen, wie sie vor Gericht vortragen. Denn unwahre Aussagen vor Gericht können zur Unbeachtlichkeit des eigenen Sachvortrags, zum Verlust des Prozesses und sogar zur Strafbarkeit führen. Dass sich er Kläger hier darauf stützen wollte, dass sein Rechtsanwalt ihm von der Durchführung einer Nachbesichtigung abgeraten habe, ist rechtlich bedeutungslos, denn der Kläger muss sich die Erklärung des Anwalts zurechnen lassen und ist daran gebunden wie an eigene Erklärungen. Das lässt selbstverständlich eine Haftung des Rechtsanwalts für Falschberatung unberührt.
OLG Hamm, Urteil vom 09.08.2017 – 20 U 184/15