Schwein beim Sex – Karikatur mit Gesichtszügen des ehem. bayrischen Ministerpräsidenten: BVerfG, Beschl. v. 03.06.1987 – 1 BvR 313/85

Oberlandesgericht: unzulässige Schmähkritik
Landgericht: keine Schmähkritik
Amtsgericht: unzulässige Schmähkritik

Sachverhalt: Der Streit hatte Karikaturen des ehemaligen bayrischen Ministerpräsidenten Fanz Josef Strauß als Schweine beim Geschlechtsverkehr zum Gegenstand. Wegen der kopulierenden Schweine, die erkennbar die Gesichtszüge des Ministerpräsidenten trugen, erfolgte eine strafgerichtliche Verurteilung wegen Beleidigung (Amtsgericht). Die hiergegen eingelegte Berufung war erfolgreich, das Landgericht erkannte auf Freispruch. Das Oberlandesgericht hob den Freispruch auf und stellte die Verurteilung wieder her. Das Bundesverfassungsgericht billigte die Verurteilung.

Entscheidend für die Annahme, dass es sich um unzulässige Schmähkritik handelte, war, dass die als Kunstwerk (Art. 5 Absatz 3 Satz 1 GG) qualifizierten Karikaturen die Menschenwürde (Art. 1 Absatz 1 GG) verletzten und deshalb nicht hinzunehmen waren. Die Kunstfreiheit wird von Verfassungs wegen zwar vorbehaltlos gewährleistet, sie gilt aber nicht grenzenlos. Insbesondere andere geschützte Rechte können dazu führen, dass sich der Künstler nicht auf die Kunstfreiheit berufen kann. Hier war es das Grundrecht der Menschenwürde, das der Kunstfreiheit Grenzen setzte.

Hintergrund: Im Vergleich zu den Fällen, mit denen die Rechtsprechung heutzutage konfrontiert wird, vgl. Böhmermann/Erdogan LG Hamburg, Urteil vom 10.02.2017 – 324 O 402/16, muten die Strauß-Karikaturen regelrecht harmlos an. Es darf bezweifelt werden, dass das BVerfG die nun bald 30 Jahre alte Entscheidung heute genauso fällen würde. Denn dass die Karikaturen einen Menschenwürdeverstoß begründen, erscheint heute nahezu abwegig. Das Robe tragende Schwein, das von hinten vom grinsenden Schwein mit F. J. Strauß-Gesicht gefickt wird, verkörpert erkennbar die Justiz. Daraus kann beim besten Willen nicht abgeleitet werden, dass F. J. Strauß Sex mit Schweinen habe. Die Aussage ist vielmehr eine Kritik am Umgang mit der Justiz, welcher durch die Wahl des Schweins Nachdruck verliehen wird. Die gewählte sexuelle Pose – bei der man nicht einmal erkennen, sondern allenfalls erahnen kann, dass es sich um einen Geschlechtsakt mit Penetration handelt – kann ohne Weiteres als Akt der Übervorteilung und Ausnutzung verstanden werden. Der dafür heute geläufige Begriffe “fucked” kann zwar auch im Sinne der sexuellen Bedeutung mit “gefickt” aber auch mit “ruinieren” übersetzt werden. Nichts anderes möchte der Karikaturist zum Ausdruck bringen: Die Justiz wird durch F. J. Strauß ruiniert. Die Frage ist, wie lange es dauert, bis der in der Gesellschaft vorzufindende mittlerweile lockerer gewordene Umgang mit Sexualität beim BVerfG Einzug hält und ob damit nicht jegliche sexualisierte Darstellung als unzulässig angesehen wird. Dann wird zu fragen sein, ob an dem Dogma des unzulässigen Tiervergleichs in allen Fällen festgehalten werden kann.

BVerfG, Beschluss vom 03.06.1987 – 1 BvR 313/85

Schmähkritik-Lexikon