§ 21 Antrag der Aufsichtsbehörde auf gerichtliche Entscheidung bei angenommener Rechtswidrigkeit eines Beschlusses der Europäischen Kommission
(1) Hält eine Aufsichtsbehörde einen Angemessenheitsbeschluss der Europäischen Kommission, einen Beschluss über die Anerkennung von Standardschutzklauseln oder über die Allgemeingültigkeit von genehmigten Verhaltensregeln, auf dessen Gültigkeit es für eine Entscheidung der Aufsichtsbehörde ankommt, für rechtswidrig, so hat die Aufsichtsbehörde ihr Verfahren auszusetzen und einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung zu stellen.
(2) Für Verfahren nach Absatz 1 ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben. Die Verwaltungsgerichtsordnung ist nach Maßgabe der Absätze 3 bis 6 anzuwenden.
(3) Über einen Antrag der Aufsichtsbehörde nach Absatz 1 entscheidet im ersten und letzten Rechtszug das Bundesverwaltungsgericht.
(4) In Verfahren nach Absatz 1 ist die Aufsichtsbehörde beteiligungsfähig. An einem Verfahren nach Absatz 1 ist die Aufsichtsbehörde als Antragstellerin beteiligt; § 63 Nummer 3 und 4 der Verwaltungsgerichtsordnung bleibt unberührt. Das Bundesverwaltungsgericht kann der Europäischen Kommission Gelegenheit zur Äußerung binnen einer zu bestimmenden Frist geben.
(5) Ist ein Verfahren zur Überprüfung der Gültigkeit eines Beschlusses der Europäischen Kommission nach Absatz 1 bei dem Gerichtshof der Europäischen Union anhängig, so kann das Bundesverwaltungsgericht anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des Verfahrens vor dem Gerichtshof der Europäischen Union auszusetzen sei.
(6) In Verfahren nach Absatz 1 ist § 47 Absatz 5 Satz 1 und Absatz 6 der Verwaltungsgerichtsordnung entsprechend anzuwenden. Kommt das Bundesverwaltungsgericht zu der Überzeugung, dass der Beschluss der Europäischen Kommission nach Absatz 1 gültig ist, so stellt es dies in seiner Entscheidung fest. Andernfalls legt es die Frage nach der Gültigkeit des Beschlusses gemäß Artikel 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Entscheidung vor.
Kommentar
§ 21 BDSG 2018 wurde neu gefasst mit dem Datenschutz-Anpassungs- und -Umsetzungsgesetz EU – DSAnpUG-EU – vom 30.06.2017, BGBl. I, vom 05.07.2017, S. 2097 und tritt am 25.05.2018 in Kraft.
§ 21 behandelt den Rechtsschutz der Aufsichtsbehörden gegen Entscheidungen der Europäischen Kommission.
Artikel 58 Absatz 5 DSGVO und Artikel 47 Absatz 5 der Richtlinie (EU) 2016/680 sehen vor, dass die Mitgliedstaaten durch Rechtsvorschriften die Befugnis der Aufsichtsbehörden vorsehen können, ein gerichtliches Verfahren zu betreiben oder sich an einem solchen zu beteiligen, um die Bestimmungen der DSGVO oder der Richtlinie (EU) 2016/680 durchzusetzen.
Mit der Vorschrift des § 21 wird Neuland betreten, denn nach Absatz 1 erhalten erstmals Aufsichtsbehörden des Bundes und der Länder die Möglichkeit, Rechtsbehelfe einzulegen
- gegen Angemessenheitsbeschlüsse der Europäischen Kommission nach Artikel 45 DSGVO und Artikel 36 der Richtlinie (EU) 2016/680,
- gegen Genehmigungen von Standarddatenschutzklauseln und genehmigte Verhaltensregeln nach Artikel 46 Absatz 2 Buchstabe c bis e DSGVO sowie
- gegen Beschlüsse über die Allgemeingültigkeit von Verhaltensregeln nach Artikel 40 Absatz 9 DSGVO.
Die Vorschrift des § 21 dient zugleich der Umsetzung des EuGH-Urteils vom 06.10.2015 (Rechtssache C-362/14, Maximillian Schrems ./. Data Protection Commissioner). Darin urteilte der Europäische Gerichtshof (EuGH) über eine Angemessenheitsentscheidung der Kommission *(1). In dem Urteil heißt es zu:
„Hält die Kontrollstelle die Rügen der Person, die sich mit einer Eingabe zum Schutz ihrer Rechte und Freiheiten bei der Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten an sie gewandt hat, dagegen für begründet, muss sie nach Artikel 28 Absatz 3 Unterabsatz 1 dritter Gedankenstrich der Richtlinie 95/46 im Licht insbesondere von Artikel 8 Absatz 3 der Charta ein Klagerecht haben. Insoweit ist es Sache des nationalen Gesetzgebers, Rechtsbehelfe vorzusehen, die es der betreffenden nationalen Kontrollstelle ermöglichen, die von ihr für begründet erachteten Rügen vor den nationalen Gerichten geltend zu machen, damit diese, wenn sie die Zweifel der Kontrollstelle an der Gültigkeit der Entscheidung der Europäischen Kommission teilen, um eine Vorabentscheidung über deren Gültigkeit ersuchen.“ *(2)
Das bisherige Recht sah bereits die Möglichkeit vor, dass nationale Gerichte den EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Artikel 267 AEUV anrufen können, wenn sie die Zweifel der Kontrollstelle an der Gültigkeit des Beschlusses der Europäischen Kommission teilen. Nach § 21 können sich nunmehr auch die Aufsichtsbehörden gerichtlich an das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) wenden. Dem BVerwG ist die nach Artikel 267 AEUV bestehende Prüfungskompetenz zugewiesen.
Absatz 2 Satz 1 sieht für die Verfahren nach Absatz 1 die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs vor. Es handelt sich um eine aufdrängende Sonderzuweisung im Sinne von § 40 Absatz 1 VwGO. Absatz 1 Satz 2 bestimmt die durch Absätze 3 bis 6 modifizierte Abwendbarkeit der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Nach Absatz 3 ist für die Entscheidung über einen Antrag der Aufsichtsbehörde nach Absatz 1 ausschließlich das BVerwG zuständig. Eine weitere Instanz ist nicht vorgesehen.
Absatz 4 Satz 1 bestimmt, dass die Aufsichtsbehörde beteiligungsfähig ist und weicht damit vom Grundsatz nach § 61 Nummer 3 VwGO ab.
Absatz 4 Satz 2 ist den Vorschriften des Normenkontrollverfahrens gemäß § 47 Absatz 2 Satz 3 VwGO nachgebildet und sieht die Beteiligung der Aufsichtsbehörde als Antragstellerin vor.
Absatz 4 Satz 3 sieht vor, dass das Bundesverwaltungsgericht der Europäischen Kommission die Gelegenheit zur Stellungnahme geben kann. Rechtlich ist diese Vorschrift nicht notwendig, denn ein auf Beteiligung der Kommission gerichtetes Gebot existiert nicht und ist auch nicht aus dem Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Absatz 1 GG) abzuleiten, da die Kommission nicht Partei des Verfahrens ist.
Absatz 5 sieht vor, dass das BVerwG die Verhandlung für die Dauer eines zur Überprüfung der Gültigkeit eines Beschlusses der Kommission beim EuGH anhängigen Verfahrens aussetzen kann. Die Vorschrift ist an § 47 Absatz 4 VwGO orientiert.
Absatz 6 Satz 1 sieht die entsprechende Anwendung von Vorschriften der Normenkontrolle vor: § 47 Absatz 5 Satz 1 und Absatz 6 VwGO.
Absatz 6 Satz 2 bestimmt, dass das BVerwG, wenn es einen Beschluss der Kommission für gültig hält, dies in der Entscheidung feststellt. Gelangt das BVerwG zu der gegenteiligen Überzeugung, sieht Absatz 6 Satz 3 eine Vorlage beim EuGH nach Artikel 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union vor.
*(1) Entscheidung der Europäischen Kommission vom 26.07.2000 gemäß der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Angemessenheit des von den Grundsätzen des „sicheren Hafens“ und der diesbezüglichen „Häufig gestellten Fragen“ (FAQ) gewährleisteten Schutzes, vorgelegt vom Handelsministerium der USA (2000/520/EG).
*(2) EuGH, Urteil vom 06.10.2015 – C-362/14, Maximillian Schrems ./. Data Protection Commissioner, Rn. 65.