§ 27 Datenverarbeitung zu wissenschaftlichen oder historischen Forschungszwecken und zu statistischen Zwecken
(1) Abweichend von Artikel 9 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2016/679 ist die Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten im Sinne des Artikels 9 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2016/679 auch ohne Einwilligung für wissenschaftliche oder historische Forschungszwecke oder für statistische Zwecke zulässig, wenn die Verarbeitung zu diesen Zwecken erforderlich ist und die Interessen des Verantwortlichen an der Verarbeitung die Interessen der betroffenen Person an einem Ausschluss der Verarbeitung erheblich überwiegen. Der Verantwortliche sieht angemessene und spezifische Maßnahmen zur Wahrung der Interessen der betroffenen Person gemäß § 22 Absatz 2 Satz 2 vor.
(2) Die in den Artikeln 15, 16, 18 und 21 der Verordnung (EU) 2016/679 vorgesehenen Rechte der betroffenen Person sind insoweit beschränkt, als diese Rechte voraussichtlich die Verwirklichung der Forschungs- oder Statistikzwecke unmöglich machen oder ernsthaft beinträchtigen* und die Beschränkung für die Erfüllung der Forschungs- oder Statistikzwecke notwendig ist. Das Recht auf Auskunft gemäß Artikel 15 der Verordnung (EU) 2016/679 besteht darüber hinaus nicht, wenn die Daten für Zwecke der wissenschaftlichen Forschung erforderlich sind und die Auskunftserteilung einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde.
(3) Ergänzend zu den in § 22 Absatz 2 genannten Maßnahmen sind zu wissenschaftlichen oder historischen Forschungszwecken oder zu statistischen Zwecken verarbeitete besondere Kategorien personenbezogener Daten im Sinne des Artikels 9 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2016/679 zu anonymisieren, sobald dies nach dem Forschungs- oder Statistikzweck möglich ist, es sei denn, berechtigte Interessen der betroffenen Person stehen dem entgegen. Bis dahin sind die Merkmale gesondert zu speichern, mit denen Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren Person zugeordnet werden können. Sie dürfen mit den Einzelangaben nur zusammengeführt werden, soweit der Forschungs- oder Statistikzweck dies erfordert.
(4) Der Verantwortliche darf personenbezogene Daten nur veröffentlichen, wenn die betroffene Person eingewilligt hat oder dies für die Darstellung von Forschungsergebnissen über Ereignisse der Zeitgeschichte unerlässlich ist.
* gemeint ist “beeinträchtigen”
Kommentar
§ 27 BDSG 2018 wurde neu gefasst mit dem Datenschutz-Anpassungs- und -Umsetzungsgesetz EU – DSAnpUG-EU – vom 30.06.2017, BGBl. I, vom 05.07.2017, S. 2097 und tritt am 25.05.2018 in Kraft.
§ 27 Absatz 1 gilt für die öffentliche sowie die private Forschung durch öffentliche und nichtöffentliche Stellen. Mit der Regelung wird von der Ermächtigung gemäß Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe j DSGVO Gebrauch gemacht. Die Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten ist grundsätzlich untersagt (Artikel 9 Absatz 1 DSGVO). Nach Artikel 9 Absatz 2 DSGVO sind bestimmte Ausnahmen vom Verbot zugelassen, z. B. als ausdrückliche Einwilligung (Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe a DSGVO).
Absatz 1 stellt insoweit eine zusätzliche nationale Regelung für die Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten zu wissenschaftlichen oder historischen Forschungszwecken sowie zu statistischen Zwecken dar (vgl. Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe j DSGVO).
Die Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten nach Absatz 1 bedarf einer Rechtsgrundlage gemäß Artikel 6 Absatz 1 DSGVO, z. B. gemäß Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe f DSGVO eines berechtigten Interesses des Verantwortlichen.
Nach Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe j DSGVO muss eine Forschungsklausel in angemessenem Verhältnis zu dem verfolgten Ziel stehen und sie muss den Wesensgehalt des Rechts auf Datenschutz wahren und angemessene und spezifische Maßnahmen zur Wahrung der Grundrechte und Interessen der betroffenen Person vorsehen. Dieser Anforderung dient der Verweis auf § 22 Absatz 2 Satz 2.
Absatz 1 gilt nur für die Verarbeitung von besonderen Kategorien personenbezogener Daten (Artikel 9 Absatz 1 DSGVO). Die Verarbeitung anderer Daten bestimmt sich nach der DSGVO oder anderen Rechtsgrundlagen (z. B. BDSG 2018 oder spezifische Rechtsgrundlagen).
Die Weiterverarbeitung personenbezogener Daten durch öffentliche und nichtöffentliche Stellen ist in der DSGVO speziell geregelt. Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b DSGVO sieht vor, dass eine Weiterverarbeitung für wissenschaftliche oder historische Forschungszwecke und für statistische Zwecke nicht als unvereinbar mit den ursprünglichen Zwecken gilt. Da diese Zwecke bei der Weiterverarbeitung kompatibel mit dem Zweck der Erstverarbeitung sind, kann sich der Verantwortliche als Rechtsgrundlage abermals auf die anlässlich der Erstverarbeitung zugrunde gelegte Rechtsgrundlage stützen. Diese Maßgaben gelten auch für die Weiterverarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten, für die Absatz 1 als Ausnahmetatbestand vom Verbot gemäß Artikel 9 Absatz 1 DSGVO gilt. Die Vorschriften der §§ 23 und 24 werden insoweit verdrängt. Entsprechendes gilt für die Übermittlung besonderer Kategorien von Daten durch öffentliche Stellen zu wissenschaftlichen oder historischen und statistischen Forschungszwecken; insoweit wird § 25 verdrängt und findet keine Anwendung.
Absatz 2 Satz 1 macht Gebrauch von der Öffnungsklausel gemäß Artikel 89 Absatz 2 DSGVO und beschränkt die Rechte nach den Artikel 15, 16, 18 und 21 DSGVO. Im Sinne von Absatz 2 Satz 1 kann die Verwirklichung des Forschungszwecks in bestimmten Einzelfällen ohne Einschränkungen des Auskunftsrechts aus Artikel 15 DSGVO etwa dann unmöglich sein, wenn die zuständige Ethikkommission zum Schutz der betroffenen Person eine Durchführung des Projekts andernfalls untersagen würde (BT Drs. 18/11325, S. 99). Das in Absatz 2 Satz 1 verwendete Wort “beinträchtigen” ist auf einen redaktionellen Fehler zurückzuführen, gemeint ist “beeinträchtigen”.
Absatz 2 Satz 2 schränkt das Auskunftsrecht für Fälle unverhältnismäßigen Aufwands ein. Die Vorschrift ist angelehnt an § 33 Absatz 2 Satz 1 Nummer 5, m. § 34 Absatz 7 sowie § 19a Absatz 2 Nummer 2 BDSG a. F. und es wird damit Gebrauch gemacht von der Öffnungsklausel gemäß Artikel 23 Absatz 1 Buchstabe i DSGVO. Ein unverhältnismäßiger Aufwand kann z. B. anzunehmen sein, wenn ein Forschungsvorhaben mit besonders großen Datenmengen arbeitet (BT Drs. 18/11325, S. 99). Die Betroffenenrechte werden insoweit für alle Kategorien personenbezogener Daten beschränkt.
Absatz 3 und Absatz 4 sind in Anlehnung an § 40 Absatz 2 und 3 BDSG a. F. formuliert worden.
Allgemein gilt, dass, soweit spezialgesetzliche Regelungen zur Datenverarbeitung aus dem bereichsspezifischen Recht einschlägig sind (z. B. Arzneimittelgesetz, Gendiagnostikgesetz, Transplantationsgesetz), diese Vorschriften § 27 vorgehen. Das ergibt sich aus § 1 Absatz 2.