Bekommt ein Beamter infolge eines Dienstgesprächs gesundheitliche Leiden, ist dies nicht ohne weiteres als Dienstunfall anzusehen. Denn um einen Dienstunfall im beamtenrechtlichen Sinne handelt es sich nur dann, wenn sich das Dienstgespräch nicht mehr im normalen Rahmen bewegt und nicht mehr der sozialen Adäquanz entspricht. Das kann dann der Fall sein, wenn der Beamte im Dienstgespräch übel beschimpft wird und dadurch krank wird.
Über einen solchen Fall hatte das Oberverwaltungsgericht Lüneburg zu entscheiden (5 LB 124/16):
Der als Polizist tätige Kläger litt unter einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer mittelschweren reaktiven Depression, die auf ein Dienstgespräch zurückzuführen waren. Anlass des Gesprächs war der Verdacht, dass der Kläger Kindern eines Jugendwaldheims nachstellte. Anlässlich von Fahrradtouren habe der Kläger in der Nähe des Jugendwaldheims Rast gemacht, an einem Tag habe er gegen 23:15 Uhr in den Waschraum der Mädchen geschaut. Dem Kläger, der die Täterschaft abstritt, wurde daraufhin ein Hausverbot für das Jugendwaldheim erteilt. Weitere Ermittlungen zur Täterschaft erfolgten nicht. Gleichwohl hielt sich der Kläger wiederholt in der Nähe des Jugendwaldheims auf und suchte Kontakt zu dort anwesenden Kindern, beispielsweise anlässlich einer Nachtwanderung. Dort habe er den Kindern von Erlebnissen während seiner Dienstzeit erzählt, was den Kindern Angst gemacht habe. Der Kläger wurde anlässlich dieser Ereignisse vorläufig in Gewahrsam genommen und ihm wurde vorübergehend die Dienstwaffe abgenommen. Im Nachgang kam es zu einem Dienstgespräch, in dem der Vorgesetzte des Klägers teilweise schreiend folgende Äußerungen getätigt habe:
- „Ich habe die Schnauze voll von Ihnen!“
- „Erst die Schlägerei da, jetzt ein Kinderschänder! Das ist ja das Allerletzte!“
- „So etwas (wie Sie) können wir hier nicht gebrauchen!“
- „Sie werden ab sofort keinen Personenschutz mehr verrichten!“
- „Sie brauchen gar nichts zu sagen, wir haben hier alles schriftlich!“
Nachdem der Kläger mit einem Bericht der Streifenpolizisten anlässlich eines Einsatzes beim Jugendwaldheim konfrontiert wurde, sei der Kläger kurz davor gewesen ohnmächtig zu werden und habe sinngemäß gesagt, „nein, das ist doch alles gar nicht wahr!“. Der Vorgesetzte habe entgegnet:
- „Sie wollen doch wohl nicht im Ernst behaupten, dass die Polizeibeamten lügen würden!“
- „Hören Sie doch auf! Was Sie brauchen ist ein Anwalt! Ich will gar nichts weiter hören – auch zu Ihrem Schutz!“
- „Das ist ein Bericht einer deutschen Polizeibehörde, daran gibt es wohl nichts zu zweifeln, das ist die allgemeingültige Wahrheit!“
- „Sie werden ab sofort nur noch Innendienst machen!“
- „Sie können froh sein, nicht sofort suspendiert worden zu sein. Das steht Ihnen wahrscheinlich auch noch bevor!“
- „Sie haben sofort Ihre Waffe abzugeben! Ich halte Sie für ungeeignet, eine Schusswaffe zu führen!“
- „Und jetzt raus hier, verschwinden Sie aus meinen Augen! Ich will Sie hier nicht länger sehen!“
Durch Öffnen der Bürotür sei der Kläger förmlich aus dem Büro gedrängt worden.
Das im Jahr 2004 geführte Gespräch und die darin gemachten Vorhaltungen waren nach Aussage des behandelnden Facharztes die wesentliche Ursache für die gesundheitlichen Leiden des Klägers. Ein gegen den Kläger angestrengtes Disziplinarverfahren verlief ohne Ergebnis. Das Disziplinarverfahren wurde im Jahr 2007 eingestellt, da sich die Vorwürfe nicht erhärten ließen: Die Ermittlungen haben ergeben, dass sich der Kläger in der Nähe des Jugendwaldheims aufgehalten habe und dort anwesende Personen beunruhigt und verunsichert habe und dass er einem ihm erteilten Platzverweis nicht habe Folge leisten wolle. Der Vorwürfe, der Kläger habe Kinder und Jugendliche belästigt, ließ sich ebenso wenig nachweisen wie der dem Kläger zur Last gelegte Vorwurf des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Vom letztgenannten Vorwurf wurde der Kläger sogar freigesprochen.
Aufgrund seiner Dienstunfähigkeit verlangte der Kläger die Anerkennung als Dienstunfall, denn die Ursache seiner Leiden liege, was fachärztlich bestätigt sei, in der von seinem vorgesetzten abgehaltenen Dienstbesprechung. Der Dienstherr habe sich die unzutreffenden Vorhaltungen ungeprüft zu eigen gemacht und als Druckmittel gegen ihn verwendet.
In erster Instanz hatte der Kläger Erfolg. Das Verwaltungsgericht urteilte, dass es sich bei den aufgrund des Dienstgespräches erlittenen Leiden um Folgen eines Dienstunfalls handelte. Der Dienstherr gab sich damit nicht zufrieden und ging in Berufung. Mit Erfolg. Das OVG Lüneburg entschied, dass es sich nicht um einen Dienstunfall im rechtlichen Sinne handele. Ein Dienstunfall ist ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist (§ 31 Absatz 1 Satz 1 BeamtVG). Diese Voraussetzungen erkannte das OVG im Streitfall nicht. Zwar handele es sich um ein „plötzliches“ Ereignis, das „in Ausübung“ des Dienstes eingetreten sei. Es fehle aber an der Voraussetzung, dass das Ereignis auf eine äußere Einwirkung zurückzuführen ist. Eine äußere Einwirkung im Sinne der Vorschrift könne zwar auch darin liegen, dass der Beamte beschimpft wird. Geschieht dies aber durch den Dienstherrn oder Personen, die für den Dienstherrn tätig sind, stelle das regelmäßig keine „auf äußerer Einwirkung“ beruhende Verletzung dar. Anders könne das nur dann gesehen werden, wenn das Gespräch wesentlich von normalen Dienstgesprächen abweicht und sich nicht mehr im Rahmen der sozialen Adäquanz hält. In Betracht kommen folgende Umstände:
- beleidigende, seelisch verletzende Äußerungen oder Beschimpfungen,
- das Herabwürdigen der Person des Beamten,
- das Führen des Dienstgesprächs unter „Geschrei“,
- eine bedrohliche Mimik, Gestik oder Körperhaltung der Gesprächsteilnehmer,
- ein sonstiges deutliches Vergreifen im Ton bzw. eine im Ganzen unsachliche, etwa den Betroffenen völlig verängstigende bzw. unangemessen unter Druck setzende Gesprächsatmosphäre.
Erleidet ein Beamter infolge eines Dienstgesprächs, in dem Entgleisungen der vorgenannten Art nicht vorgekommen sind, körperliche Gebrechen, dann ist das auf eine mangelnde Verarbeitungsfähigkeit des Beamten zurückzuführen. Salopp ausgedrückt ist das dann sein Problem und nicht das des Dienstherrn. Dem steht nach Auffassung des OVGs auch nicht die medizinische Würdigung entgegen, denn das Vorliegen eines medizinischen Ursachenzusammenhangs begründet nicht zwangsläufig einen Ursachenzusammenhang im Sinne des Dienstunfallrechts. Aus Sicht des Gerichts hielt sich das Gespräch noch im Rahmen der Sozialadäquanz. Dabei fiel ins Gewicht, dass die Äußerungen nicht durch Zeugen zur Überzeugung des Gerichts belegt werden konnten. Teilweise konnten sich diese bei der Zeugenvernehmung im Jahr 2017 nicht mehr an den 13 Jahre zurückliegenden Vorgang erinnern und nicht bestätigen, dass in dem Gespräch das Wort „Kinderschänder“ gefallen ist. Über die normalen Umstände hinaus konnte das Gericht daher keine besonderen Umstände erkennen, die als äußere Einwirkung im Sinne der Vorschrift qualifiziert werden könnten.
Hintergrund: Bei der Lektüre der Entscheidung gewinnt man den Eindruck, dass sich das Berufungsgericht von ganz praktischen Erwägungen leiten ließ. Wenn nämlich Beamte nach jedem hart geführten Dienstgespräch erfolgreich eine Dienstunfähigkeit reklamieren könnten, wäre der öffentliche Sektor lahmgelegt. Für eine Dienstunfähigkeit aufgrund eines Dienstgesprächs muss die Schwelle daher hoch sein. Dass das im vorliegenden Fall maßgeblich darauf gestützt wurde, dass Zeugen den Inhalt des Dienstgesprächs im Jahr 2004 nicht mehr erinnern, hat allerdings einen faden Beigeschmack, denn die Zeugenvernehmung fand im Jahr 2017 statt, also 13 Jahre nach dem Gespräch. Da verwundert es nicht, dass Zeugen keine Erinnerung mehr an das Gespräch hatten.
Überhaupt vermittelt der Fall einen guten Eindruck von Verwaltungsverfahren: wer sein Recht bei einer Behörde oder vor dem Verwaltungsgericht sucht, braucht in der Regel nicht bloß starke Nerven, sondern auch viel Zeit. Die hier streitigen Vorgänge, die aus Anfang 2004 datieren, fanden erst mit dem OVG-Urteil ihren Abschluss, das heißt mehr als 13 Jahre später.
Das Urteil ist durchaus lehrreich, denn es beinhaltet eine Zusammenstellung der Maßgaben, die für eine Anerkennung einer Dienstunfähigkeit aufgrund eines Dienstgesprächs gelten. Welche Anforderungen an eine „äußere Einwirkung“ im Sinne von § 31 Absatz 1 Satz 1 BeamtVG zu stellen sind, ist bei einem Dienstgespräch nicht ohne weiteres klar.
OVG Lüneburg, Urteil vom 24.10.2017 – 5 LB 124/16
VG Hannover, Urteil vom 25.09.2017 – 13 A 5795/13