Wer von einem Stalker belästigt wird, kann von diesem unter Umständen Schadensersatz verlangen. Hierzu zählen auch Umzugskosten, wenn der Stalker das Opfer so sehr bedroht hat, dass es wegziehen musste. So geht es aus einem Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe (OLG Karlsruhe) vom 05.11.2021 hervor (10 U 6/20).
In dem vom OLG Karlsruhe entschiedenen Fall ging es um einen besonders aggressiven Mann, der jahrelang eine im Nachbarhaus wohnende Familie bedroht und schikaniert hatte.
Die Familie mit zwei minderjährigen Töchtern verwirklichte sich im Jahr 2014 den Traum von einem Eigenheim. Das Grundstück kauften sie der Nachbarin ab. Die Familie baute sich ein Eigenheim im Wert von mehr als 500.000,- € auf das bis dahin unbebaute Grundstück.
Die Nachbarin bewohnte das Nachbarhaus zusammen mit ihrem erwachsenen Sohn.
Nach Fertigstellung des Hauses zog die Familie ein. Doch das Glück währte nicht lange. Kurz nach Einzug begann der Sohn der Nachbarin die Familie zu schikanieren. Die Schikane erstreckte sich von hartnäckigen Beobachtungen, nächtlichen Klopfgeräuschen an der Hauswand der Familie über schlimme Beleidigungen bis hin zu ernsthaften Bedrohungen der Familienmitglieder.
Der Nachbar war bereits früher strafrechtlich in Erscheinung getreten. Er stalkte über viele Jahre ein Mädchen im Ort und fiel wiederholt durch Gewalttätigkeiten auf. Die Familie wusste hiervon nichts, war sie doch von woanders zugezogen. Und auch die Nachbarin klärte die Familie im Zusammenhang mit dem Verkauf des Grundstücks nicht über die unangenehme Vergangenheit ihres Sohnes auf.
Um sich besser zu schützen, kam eine höhere Hecke um das Grundstück hinzu, doch es half alles nichts. Im Jahr 2017 spitzte sich die Lage zu. Nach angedeuteten Vergewaltigungsvorhaben in Bezug auf die Töchter drohte der Nachbar gegenüber den Eltern an, seine Pistole aus dem Haus zu holen.
Im Sommer 2017 kam es zum Höhepunkt der bisherigen Bedrohungen. Der Nachbar lief an einem Sommerabend mit erhobenem Beil hinter dem Familienvater her, der gerade noch rechtzeitig fliehen konnte. Daraufhin schlug der Nachbar mit seinem Beil auf die beiden Autos der Familie ein und zertrümmerte diese.
Nun hatte die Familie endgültig genug und fasste den Entschluss wegzuziehen, so schnell wie möglich. Sie zog zunächst in eine Mietwohnung und fand ein neues Eigenheim an einem anderen Ort.
Durch den Umzug und die Anschaffung des neuen Hauses entstanden der Familie erhebliche Kosten. Das alte Eigenheim konnte die Familie verkaufen, allerdings mit einem Abschlag, da sie die neuen Eigentümer über die Vorfälle mit dem Nachbarn aufklärte. Alles in allem entstand der Familie abgesehen von den erheblichen psychischen Auswirkungen ein finanzieller Schaden von mehr als 100.000,- €.
Die Familie vertrat die Auffassung, dass die alte Eigentümerin über das aggressive Verhalten ihres Sohnes hätte aufklären müssen, und zwar vor Vertragsschluss. Aus diesem Grund hat sie auch für den Schaden der Familie aufgrund des Wegzugs einzustehen. Darüber hinaus haftet in jedem Fall der Sohn für den entstandenen Schaden, so die Familie.
Die Familie erhob Klage gegen Mutter und Sohn vor dem Landgericht. Die Klage hatte jedoch zunächst keinen Erfolg. Eine Haftung der Mutter kam nicht in Betracht, da sie nach Auffassung des Landgerichts keine Aufklärungspflichten hatte. Und auch eine Haftung des Sohnes lehnte das Landgericht ab.
Nun stellte das OLG Karlsruhe im Berufungsverfahren klar: Der Sohn haftet sehr wohl gegenüber der Familie, wenn auch nicht in voller geltend gemachter Höhe.
Der Sohn muss der Familie Schadensersatz in Höhe von ca. 44.000,- € zahlen. Diese Kosten betreffen die Umzugskosten und die Nebenkosten, die im Zusammenhang mit dem Erwerb des neuen Hauses stehen. Denn diese Kosten mussten zur Wiederherstellung des persönlichen Sicherheitsgefühls der Familie aufgewendet werden, so das OLG.
Das OLG Karlsruhe bestätigte, dass sich der Nachbarssohn wegen Nachstellung und Bedrohung nach §§ 238 Absatz 1 Nummer 4 und 241 StGB strafbar gemacht hat. Damit liegt eine Schutzgesetzverletzung vor und die Familie kann nach § 823 Absatz 2 BGB Schadensersatz verlangen.
Es können jedoch nur die Schäden ersetzt werden, die vom Schutzzweck der Norm erfasst sind, so das Gericht. Nach Auffassung des OLG Karlsruhe gehören hierzu in jedem Fall die Kosten, die zur Wiederherstellung des persönlichen Sicherheitsgefühls aufgewendet werden mussten.
Zu den erstattungsfähigen Kosten gehörten daher die Umzugskosten und die Nebenkosten im Zusammenhang mit dem Erwerb des neuen Hauses. Diese Kosten belaufen sich auf etwas mehr als 44.000,- €. In dieser Höhe muss der Nachbarssohn nun Schadensersatz zahlen.
Im Übrigen unterlag die Familie jedoch, da die übrigen Schäden nicht mehr vom Schutzzweck der Norm erfasst sind, so das Gericht. Damit muss die Familie auch überwiegend für die Kosten des Rechtsstreits aufkommen.
Aber es darf davon ausgegangen werden, dass die Familie nun endlich zur Ruhe gekommen ist, wenngleich sie hierfür einen hohen Preis zu zahlen hatte.
Die Revision wurde vom OLG Karlsruhe nicht zugelassen.
OLG Karlsruhe, Urteil vom 05.11.2021 – 10 U 6/20
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