Überlässt ein Anwalt seine bea-Karte nebst PIN einem nichtanwaltlichen Mitarbeiter, ist er an Erklärungen, die dieser Mitarbeiter mit der Karte über das beA abgibt, zumindest teilweise gebunden.
Als Schritt in die moderne Welt war das beA gedacht. Die Vorteile des notorisch unzuverlässigen Postfachs mit antiquierter Benutzeroberfläche sind aber in der Praxis nicht zu erkennen. Kein Wunder, dass das beA von vielen Anwälten eher als lästiger bürokratischer Aufwand gesehen wird. Da liegt es nahe, die beA-Karte nebst PIN kurzerhand der Reno zu geben, die sich darum kümmern soll.
Dass die Weitergabe der personenbezogenen beA-Karte nebst PIN rechtswidrig ist, versteht sich von selbst. Geregelt ist dies auch im Gesetz: § 26 Absatz 1 RAVPV. Damit ist aber noch nicht gesagt, was gilt, wenn ein Dritter mit beA-Karte nebst PIN eine Erklärung abgegeben hat.
Über einen solchen Fall hatte das OLG Bremen zu entscheiden (3 U 21/22). Dort berief sich ein Anwalt darauf, dass seine Mitarbeiterin, der er seine beA-Karte nebst PIN überlassen hatte, ein Empfangsbekenntnis einen Tag zu früh abgegeben habe. Dadurch war eine Frist verstrichen. Der Anwalt verlangte Wiedereinsetzung. Der Anwalt brachte vor, dass die sonst zuverlässige Mitarbeiterin gegen Arbeitsanweisungen verstoßen habe. Ihn treffe keine Schuld, da er das verfrühte EB nicht abgegeben habe.
Das OLG Bremen stellte klar, dass das beA-EB als Nachweis des Zugangs gilt. Das schließt den Nachweis eines späteren Zugangs nicht aus. Allerdings komme ein solcher Nachweis hier nicht in Betracht, weil der Anwalt seine Karte wissentlich an die Mitarbeiterin gegeben habe. Er muss sich deshalb das von der Mitarbeiterin abgegebene EB analog § 166 BGB zurechnen lassen.
Offizielle Erhebungen darüber, wie viele Rechtsanwälte ihre beA-Karten Mitarbeitern überlassen haben, existieren nicht. Wahrscheinlich handelt es sich aber nicht um einen Einzelfall. Wichtig ist zu beachten, dass die Wissenszurechnung analog § 166 BGB im Falle der rechtswidrigen Weitergabe der beA-Karte nebst PIN an Mitarbeiter nur zu Lasten des Anwalts funktioniert. Auf § 166 BGB kann der Anwalt keine Versendung einer anwaltlichen Erklärung stützen, z. B. einer Berufungsschrift zum Landgericht oder zum Oberlandesgericht. Eine so erhobene Berufung wäre unzulässig. Das setzt natürlich voraus, dass jemand etwas merkt, was in der Praxis kaum denkbar ist, wenn nicht der Anwalt oder der Mitarbeiter sich offenbaren.
Anwälte gehen ein weiteres Risiko ein: Denn Gebühren nach dem RVG sind nur verdient, wenn die jeweiligen Handlungen von einem Anwalt ausgeführt sind. Berechnet ein Anwalt Gebühren für Handlungen, die er nicht selbst vorgenommen hat, sondern seine nichtanwaltlichen Mitarbeiter, kann es sich um eine strafbare Gebührenübererhebung handeln (§ 352 StGB). Auch für die Mitarbeiter ist die Sache nicht risikolos, denn deren Mitwirkung wäre im Kontext der Mittäterschaft oder Beihilfe zu würdigen (§§ 25, 27 StGB). Aus strafrechtlicher Sicht nachzudenken wäre außerdem über gewerbsmäßigen Betrug – eventuell sogar über eine bandenmäßige Begehung (§ 263 StGB).
Dieses Pulverfass ist vermeidbar, denn die wichtigsten beA-Funktionen lassen sich über Mitarbeiterkarten bedienen. Die Abgabe eines EBs zählt allerdings nicht dazu. Dieses ist durch den Anwalt selbst oder durch einen anwaltlichen Vertreter abzugeben. Ganz vermeiden lässt sich die Benutzung des beA daher nur für Anwälte, die permanente anwaltliche Vertreter haben.
OLG Bremen, Beschluss vom 20.09.2022 – 3 U 21/22
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