Windenergie-Gegner erhoffen sich aus einem aktuellen Urteil zu Infraschall von Windenergieanlagen, welches das Oberlandesgericht Schleswig gefällt hat (7 U 18/19), Argumente für ihren Kampf gegen Windenergieanlagen. Das OLG hatte eine Entscheidung des Landgerichts Itzehoe (2 O 209/12) aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung des OLG Schleswig können Sie hier lesen.
Geklagt hatten Anwohner, die sich durch Windenergieanlagen gestört fühlen. Sie machten Beeinträchtigungen durch Schattenwurf, elektromagnetische Strahlung und Schall – einschließlich Infraschall – geltend. Seit der Inbetriebnahme der Windenergieanlagen leiden die Kläger an Ein- und Durchschlafstörungen, Reizbarkeit, häufiger Erschöpfung, Schwindel, Übelkeit und Durchfällen, Benommenheit und Ohrendruck.
Das Landgericht wies die Klage ab. Zwar seien Auswirkungen durch die Windenergieanlagen festzustellen, diese hielten sich aber im Rahmen der Grenzwerte und seien zumutbar und hinzunehmen. Untersuchungen zu Infraschall hielt das Landgericht nicht für erforderlich. Schließlich existiert derzeit kein medizinischer Nachweis, dass Infraschall für Menschen schädlich ist. Jedenfalls bei den ohnehin einzuhaltenden Abständen von i.d.R. mehr als 500 Meter ist Infraschall bei Windenergieanlagen kein Thema. Urteile zu Infraschall sind daher regelmäßig abweisend.
Die Entscheidung des OLG Schleswig kann für die Windkraftgegner aber nur als Etappensieg gefeiert werden, denn zur Frage der Schädlichkeit von Infraschall trifft das Urteil keine Aussage. Tatsächlich ist für das Urteil nicht Infraschall der Anlass für die Zurückweisung, sondern der Umstand, dass das Landgericht Beweisantritte der Kläger übergangen und die Beweislastregeln falsch angewendet hat.
Für Aufsehen sorgt eine Formulierung des Oberlandesgerichts zu Infraschall-Untersuchungen. Wie in zahlreichen anderen Verfahren auch hat der Kläger ausführlich zu Beeinträchtigungen durch Infraschall vorgetragen. Zunächst folgte das OLG der Argumentation des Landgerichts und stellte fest, dass ein medizinischer Nachweis der Schädlichkeit von Infraschall derzeit nicht vorliege. Allerdings vertreten die Schleswiger Richter die Auffassung, dass die Infraschallbelastung trotz des derzeit nicht vorliegenden medizinischen Nachweises der Schädlichkeit zu messen ist.
„Unstreitig ist Infraschall messbar und es bedarf ggf. noch einer anschließenden medizinischen Klärung, ob dadurch schädliche Gesundheitsbeeinträchtigungen bei den Betroffenen ausgelöst werden können bzw. hier ausgelöst worden sind. [ … ] Die Schwierigkeit des medizinischen Nachweises entbehrt jedoch nicht die Notwendigkeit, zunächst einmal die Belastungen des Grundstücks durch Infraschall festzustellen“
OLG Schleswig – 7 U 18/19, Weglassung in eckigen Klammern
Das OLG Schleswig verlangt eine Messung der Infraschallbelastung, obgleich derzeit keine Beeinträchtigung denkbar ist. Dies stützt das Gericht auf die Annahme, dass Infraschall schädlich sein könnte. Das ist rechtlich bedenklich. Anders als im Verwaltungsgerichtsverfahren dürfen die Zivilgerichte – und um ein solches handelt es sich beim OLG – nicht von Amts wegen ermitteln (vgl. § 86 VwGO). Das bedeutet, dass sie den erheblichen Parteivortrag zu würdigen und darüber Beweis zu erheben haben. Wenn aber der medizinische Nachweis der Schädlichkeit von Infraschall nicht vorliegt, kann Infraschall bereits keine erhebliche Beeinträchtigung darstellen. Der Ansatz des OLGs läuft auf eine gerichtliche Erforschung der Auswirkungen von Infraschall hinaus. Damit überschreitet das Gericht klar seine Kompetenzen.
Die Forderung des OLGs, die Infraschallbelastung zu messen, hat zur Konsequenz, dass im Zivilverfahren ein erheblicher Aufwand zu betreiben ist, ohne dass dadurch eine für die Entscheidung relevante Erkenntnis gewonnen wird. Vielmehr soll sich an die Messungen eine weitere Untersuchung anschließen zu der Frage, ob die bei den Klägern aufgetretenen Beeinträchtigungen auf den Infraschall zurückzuführen sind.
Trotz erheblicher Bemühungen ist derzeit kein medizinischer Nachweis verfügbar, dass Infraschall für Menschen schädlich ist. Dass dieser Nachweis im Zivilverfahren erbracht werden kann, ist kaum zu erwarten. Denn dafür ziehen die Gerichte Sachverständige heran, die nicht mehr wiedergeben können als den derzeitigen Stand der Wissenschaft. Danach ist Infraschall von Windenergieanlagen – jedenfalls bei Entfernungen von mehr als 500 Meter – regelmäßig nicht problematisch.
Die vom OLG Schleswig verlangte Messung von Infraschall dürfte daher im Ergebnis keine Auswirkungen haben. Der von den Windenergie-Gegnern erhoffte „Befreiungsschlag“ ist das Infraschall-Urteil des OLG Schleswig daher nicht. Es stellt vielmehr eine fachlich unsinnige Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Schallgutachter dar.
Der eklatanten Kompetenzüberschreitung des Gerichts kann aber auch Gutes abgewonnen werden. Wenn mehr Messungen von Infraschall erfolgen, ist mit einem Erkenntnisgewinn zu diesem Thema zu rechnen.
OLG Schleswig, Urteil vom 13.06.2019 – 7 U 18/19 – nachzulesen hier
LG Itzehoe, Urteil vom 24.09.2018 – 2 O 336/12
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