Der Streit entbrannte über sieben Linden, die auf dem Grundstück des Klägers stehen. Die Bäume befinden sich parallel zur Grundstücksgrenze des Beklagten und ragten teilweise mehrere Meter auf das Grundstück des Beklagten hinüber. Der Beklagte sah sich dadurch in der Nutzung seines Grundstücks, das er im Jahr 2008 erworben hatte eingeschränkt, da Laub und klebriger Nektar auf seine Terrasse und sein Grundstück fielen. Er forderte den Nachbarn im Jahr 2012 per E-Mail auf, die überhängenden Äste zu entfernen und setzte dafür eine Frist von drei Wochen. Der Nachbar hielt die Maßnahme für ungerechtfertigt, da die Bäume sehr alt sind (ca. 100 Jahre) und bei Rückschnitten im Bereich der Kronen Schaden nehmen könnten. Außerdem unterlägen die Bäume dem Denkmalschutz. Er kam der Aufforderung nicht nach. Schriftlich kündigte der Beklagte an, die Rückschnittarbeiten selbst in Auftrag zu geben und setzte abermals eine dreiwöchige Frist. Schließlich beauftragte er ein Fachunternehmen, welches die Äste auf einer von ihm bestimmten Linie parallel zur Grundstücksgrenze zurückschneiden sollte. Nach dem Rückschnitt ragten die Äste noch immer um ca. 1 bis 1,5 Meter auf das Grundstück des Beklagten. Der Kläger war darüber empört und verlangte Schadensersatz in Höhe von knapp 36.000 Euro sowie die Erstattung von Kosten für ein Gutachten sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten. Das Landgericht sprach dem Kläger allerdings Schadensersatz nur in Höhe von ca. 5.200 Euro zu und urteilte, dass die Sachverständigenkosten nur teilweise zu erstatten sind. Der Kläger legte Berufung ein und verlangte Schadensersatz in der ursprünglich begehrten Höhe, d. h. ca. 36.000 Euro und die ungekürzte Erstattung der Gutachterkosten (4.314,94 Euro). Der Kläger bekam aber nur teilweise Recht: Das OLG sprach ihm knapp 7.000 Euro sowie die Erstattung der vollen Gutachterkosten zu.
Der durch den Beklagten veranlasste Rückschnitt stellt nach Auffassung des OLGs eine rechtswidrige Eigentumsbeeinträchtigung dar, für die der Beklagte Schadensersatz zu leisten hat (§ 823 Absatz 1 BGB). Betroffen sei das Grundstückseigentum des Klägers, da die Bäume wesentliche Bestandteile des Grundstücks seien (§ 94 BGB). Das OLG gelangte zu der Überzeugung, dass sich der Beklagte nicht mit Erfolg auf das Selbsthilferecht nach § 910 BGB berufen kann: zwar seien die Äste in den Bereich des Grundstücks des Beklagten eingedrungen, denn der Raum über der Oberfläche des Grundstücks gehört ebenfalls zum Grundstück. Nicht zu beanstanden waren die Aufforderungen nebst Fristsetzungen, insbesondere hielt das OLG die Frist von jeweils drei Wochen für ausreichend. Das OLG ging auch davon aus, dass die für das Selbsthilferecht erforderliche Beeinträchtigung des Grundstücks gegeben war. Dass eine Beeinträchtigung unwesentlich ist, muss der störende Nachbar – hier also der Kläger – darlegen und beweisen.
Nach Auffassung des OLGs kann das Selbsthilferecht aber ausgeschlossen sein, wenn die denkmalschutzrechtliche Erlaubnis nicht vorliegt. Diese Rechtsfrage ließ das Gericht aber offen, da das Selbsthilferecht durch das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis eingeschränkt war: Nach §§ 905 ff. BGB besteht eine Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme, die die Ausübung von Eigentumsrechten ganz oder teilweise ausschließen kann.
Hier fiel besonders in Gewicht, dass es sich um sehr alte Bäume handelte und dass der Umfang der Rückschnitte den Bestand gefährdet hat. Bei Rückschnitten sei darauf zu achten, dass die Vitalität des Baumes nicht beeinträchtigt wird und dass sein artgerechtes Erscheinungsbild erhalten bleibt. Alte Bäume haben anders als das bei jungen Bäumen der Fall ist, eine geringere Reaktionsfähigkeit und reagieren daher empfindlicher auf Veränderungen. Starke Rückschnitte können daher schlimmstenfalls zum Absterben führen, zumal das Eindringen von Fäule an den Schnittstellen besonders bei großen Ästen zu befürchten ist. Aufgrund dieser drohenden Auswirkungen hatte der Beklagte eine Duldungspflicht, welcher indessen für die hinzunehmenden Beeinträchtigungen ein Entschädigungsanspruch gegenüberstehen kann. Der Beklagte handelte zumindest fahrlässig und damit schuldhaft, sodass der Anspruch dem Grunde nach zuerkannt wurde. Dass der Kläger nur einen Teil seiner Forderungen durchsetzen konnte, lag daran, dass das OLG die durch den Rückschnitt verursachten Nachteile für den Kläger nicht für so gravierend hielt, sodass von den geltend gemachten 36.000 Euro lediglich 6.943,65 Euro zu erstatten waren. Die Nachteile beruhen im Wesentlichen auf der optischen Verunstaltung der Bäume sowie dem erhöhten Risiko, dass diese durch den Rückschnitt Schaden nehmen können (§ 287 ZPO).
Hintergrund: Der Streit zeigt einmal mehr, dass sich Konflikte unter Nachbarn nicht lohnen. Aus dem Prozess ist nämlich kein Nachbar als klarer Sieger hervorgegangen. Der Kläger hat von den begehrten 36.000 Euro gerade einmal knapp 7.000 Euro bekommen und muss mit verunstalteten Bäumen leben. Außerdem bleibt der Kläger auf dem Großteil der Prozesskosten sitzen, denn er muss 72 % der Kosten tragen. Bei einem Streitwert von insgesamt 40.600 Euro fallen knapp 7.000 Euro Prozesskosten an, wovon der Kläger ca. 5.000 Euro zahlen muss (72 %). Obwohl der Beklagte nach Auffassung des OLGs den Rückschnitt unberechtigt vorgenommen hat, dürfte sich das Vorgehen für ihn am Ende gelohnt haben, denn für ca. 2.000 Euro Verfahrenskosten, 4.314,94 Euro Gutachterkosten und ca. 7.000 Euro Schadensersatz, d. h. in Summe für etwas über 13.000 Euro hat er erreicht, was er auf legalem Wege niemals hätte erreichen können. Zur Nachahmung ist der Fall allerdings kaum geeignet, denn der eigenmächtige Rückschnitt stellt, wenn die Voraussetzungen von § 910 BGB nicht vorliegen, zugleich eine strafbare Sachbeschädigung das (§ 303 StGB). Die Sache kann daher auch noch ein strafrechtliches Nachspiel haben.
Beim nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnis, dessen Rechtsquelle in § 242 BGB zu erblicken ist, handelt es sich um einen schwer kalkulierbaren Faktor. Denn damit lassen sich Ergebnisse beinahe beliebig ändern. Dementsprechend schwer ist es, den Ausgang von Nachbarschaftsstreitigkeiten seriös zu prognostizieren. Klar ist nur, dass nachbarrechtliche Vorschriften wie § 910 BGB nur auf den ersten Blick Rechtssicherheit geben. Wer die Vorschriften beim Wort nimmt, setzt sich einem großen Risiko aus, denn klar ist auch, dass jemand, der ein Grundstück kauft, auf das 100 Jahre alte Bäume ragen, die hinüberragenden Äste nicht ohne Rücksicht auf Verluste absägen darf. Das nachbarschaftliche Gemeinschaftsverhältnis dient daher als Korrektiv.
Da der Kläger wusste, dass die Rückschnittarbeiten bevorstehen, wäre er gut beraten gewesen, vor Vornahme der Arbeiten den Erlass einer auf Unterlassung gerichteten einstweiligen Verfügung zu beantragen. Denn wenn die Voraussetzungen des Selbsthilferechts nach § 910 BGB nicht vorliegen, stellt der gleichwohl vorgenommene Rückschnitt verbotene Eigenmacht dar (§§ 862, 858 BGB). Mit einer einstweiligen Verfügung, welche für den Fall des Zuwiderhandelns eine empfindliche Strafzahlung vorsieht, hätte der Kläger die Schaffung vollendeter Tatsachen wirksam verhindern können.
OLG Potsdam, Urteil vom 08.02.2018 – 5 U 109/16
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