Wenn eine Frist ohne Verschulden nicht eingehalten worden ist, besteht nach § 60 Absatz 1 VwGO die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) wies einen Wiedereinsetzungsantrag zurück, da das Versäumen der Frist verschuldet war, da es auf einer rechtsirrigen Vorstellung zum Fristbeginn beruhte.
In dem entschiedenen Fall war die einmonatige Beschwerdefrist nach § 133 Absatz 2 Satz 1 VwGO nicht eingehalten worden. Die Frist beginnt mit der Zustellung des vollständigen Urteils. Das angegriffene Urteil wurde den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 24.05.2017 zugestellt. Binnen Monatsfrist hätte hiergegen Beschwerde erhoben werden müssen. Da der 24.06.2017 auf einen Sonnabend fällt, lief die Frist an dem auf das Wochenende folgenden Montag, am 26.06.2017, ab. Für das Beschwerdeverfahren wählte der Kläger einen anderen Prozessbevollmächtigten. An diesen richtete der alte Prozessbevollmächtigte einen Brief, in dem er mitteilte, dass ihm das Urteil am 24.05.2017 zugestellt worden sei und die Beschwerdefrist am 24.06.2017 ablaufe. Dieses Schreiben heftete die Büroangestellten des neuen Prozessbevollmächtigten in die Akte, ohne dass sie es dem neuen Prozessbevollmächtigten gezeigt hat. Nach eigenem Vorbringen erhielt der neue Prozessbevollmächtigte am 13.06.2017 eine Ausfertigung des Urteils per Post zugeschickt und meinte, dass hierdurch die Beschwerdefrist ausgelöst worden sei. Am 03.07.2017 reichte er die Beschwerdeschrift bei Gericht ein. Nachdem er bemerkte, dass die Frist bereits am 26.06.2017 abgelaufen war, beantragte er Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand (§ 60 Absatz 1 VwGO).
Ohne Erfolg. Das BVerwG gab dem Antrag auf Wiedereinsetzung nicht statt. Für die Wiedereinsetzung ist nach § 60 Absatz 1 VwGO das unverschuldete Versäumen einer Frist erforderlich. Daran fehlte es hier, denn das Versäumnis war nicht unverschuldet. Zwar sei der Umstand, dass die ansonsten gewissenhaft arbeitende Büroangestellte des neuen Prozessbevollmächtigten das Schreiben einfach abgeheftet hat, ohne es dem neuen Prozessbevollmächtigten zu zeigen, unverschuldet. Anders liege das aber bei der irrigen Annahme des neuen Prozessbevollmächtigten, dass die Frist am 13.06.2017 zu laufen begonnen habe. Der Rechtsirrtum über die Fristauslösung sei nicht unverschuldet und eine Wiedereinsetzung kommt nicht in Betracht.
Hintergrund: Der neue Prozessbevollmächtigte hätte erkennen müssen, dass die postalische Übersendung des Urteils keine „Zustellung“ darstellt (§ 317 Absatz 1 ZPO, § 173 VwGO). Da die Frist durch eine Zustellung ausgelöst wird, hätte der neue Prozessbevollmächtigte Erkundigungen über den Zeitpunkt der Zustellung einholen müssen. Das hätte er beim ursprünglichen Prozessbevollmächtigten oder bei Gericht machen können. Das BVerwG sieht das Verhalten der Büroangestellten als nicht kausal für das Versäumnis an, da der Rechtsirrtum des neuen Prozessbevollmächtigten eine autonome Ursache für das Versäumnis gesetzt habe.
Wäre der Fall anders zu entscheiden, wenn der neue Prozessbevollmächtigte erst nach Ablauf der Frist (26.06.2017) Kenntnis vom Urteil erhalten hätte?
Ja. Denn in diesem Fall wäre allein das fehlerhafte Verhalten der Büroangestellten ursächlich gewesen für das Versäumen der Frist. Erkundigungen über den Zeitpunkt der Zustellung hätten nicht zur Wahrung der Frist führen können, da sie bereits abgelaufen war. Allerdings hätte der Widereinsetzungsantrag binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses gestellt werden müssen (§ 60 Absatz 2 Satz 1 VwGO).
BVerwG, Beschluss vom 15.08.2017 – 4 B 38.17
VGH Mannheim, Urteil vom 03.05.2017 – VGH 3 S 1401/15
VG Freiburg, Urteil vom 21.05.2015 – VG 6 K 1454/14
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